Ein kostspieliges Glückwunschschreiben aus wilhelminischer Zeit
Wolfgang Cortjaens | 21. Dezember 2021
Ein Glückwunschschreiben ganz aus Silber zur Hochzeit des preußischen Kronprinzenpaares ist neu in der Sammlung Angewandte Kunst. Sammlungsleiter Dr. Wolfgang Cortjaens erklärt dessen Bedeutung.
Anders als etwa in kunstgewerblichen Sammlungen, die meist auf gesamtkünstlerische Entwicklungslinien hin angelegt wurden, steht beim Sammlungskonzept des DHM nicht der ästhetische Wert eines Objekts als vielmehr dessen historische bzw. kulturgeschichtliche Aussagekraft im Vordergrund. Gelegentlich kommen aber bei Neuerwerbungen und/oder Schenkungen beide Kriterien in glücklicher Weise zusammen, so im Fall eines kürzlich aus dem privaten Kunsthandel angebotenen Neuzugangs in der Sammlung Angewandte Kunst: ein aus massivem Silber bestehendes, graviertes Glückwunschschreiben nebst verschließbarem silbernem Briefkuvert, in gravierter Sütterlin-Schrift adressiert an den preußischen Kronprinzen Wilhelm (1882–1951) und seine Braut Cecile von Mecklenburg-Schwerin (1886–1954).
Anlass für das ebenso eigenwillige wie kostbare Präsent war die Hochzeit des Kronprinzenpaares, die im Juni 1905 in Berlin gefeiert wurde. Auf der Karten-Vorderseite finden sich die bekrönten Wappen der Neuvermählten, dazu liest man den Spruch
„Thorn, den 6. Juni 1905. / Dem neu vermählten Paare / Viel segensreiche Jahre, Bis einst entsprießt der Myrte leis / Ein silbern und ein golden Reis. / M. Scheidling, Bahnwirt.“
Auftraggeber war der Kaufmann Max Scheidling, Besitzer des Bahnhofshotels im damals westpreußischen Thorn (heute Torún, Polen). Er wurde wenig später Mitbegründer der MITROPA (Mitteleuropäische Schlafwagen- und Speisewagen Aktiengesellschaft).
Die erlesen ausgeführte Silberarbeit verweist indirekt auf den Wohlstand, das bürgerliche Selbstverständnis und nicht zuletzt die wirtschaftliche Bedeutung der östlichen Provinzen für das deutsche Kaiserreich: Neben der früh industrialisierten Rheinprovinz war Schlesien einer der bedeutendsten Industriestandorte Preußens und wurde entsprechend früh verkehrstechnisch erschlossen. Allerdings existierte im Kaiserreich keine zentrale Eisenbahnverwaltung, die einzelnen privaten Eisenbahngesellschaften unterstanden dem Ministerium für Handel und Gewerbe. Wohl auch, um das damals noch in der Gründungsphase befindliche Unternehmen an allerhöchster Stelle zu empfehlen und sich selbst als treuer Untertan der Krone zu präsentieren, beauftragte Scheidling das kostbare Luxusobjekt. Die Ausführung übertrug er dem bekannten Silberschmied Richard Menard aus Bromberg (heute Bydgoszcz, Polen).
Für die Sammlung Angewandte Kunst bedeutet die Neuerwerbung eine sinnvolle Ergänzung des Bestandes mit Geschenken und Ehrengaben von Einzelpersonen oder Institutionen an Mitglieder der kaiserlichen Familie. Ausschlaggebend für die Ankaufsentscheidung waren die hohe künstlerische Qualität der Arbeit und natürlich die originelle Formgebung, die das Stück zu einem überaus sprechenden, neugierig machenden und Besucher*innen leicht zugänglichen Exponat macht.
Der im Sinnspruch geäußerte Wunsch, das Kronprinzenpaar möge auch die Feier der Goldhochzeit („ein golden Reis“) noch erleben, sollte sich nicht erfüllen. Das Objekt selbst aber blieb bis vor kurzem kontinuierlich in Familienbesitz; die letzte Eigentümerin war eine Enkeltochter des Prinzen Wilhelm.