5 Fragen an: Dr. Sven Lüken
5. Januar 2022
Das Zeughaus des Deutschen Historischen Museums wird saniert und die Dauerausstellung „Deutsche Geschichte vom Mittelalter bis zum Mauerfall“ abgebaut. Gleichzeitig arbeitet das DHM an einer neuen Ständigen Ausstellung – ein Großprojekt, das das gesamte Museum betrifft. In der Interview-Reihe „5 Fragen an…“ kommen Mitarbeitende aus verschiedenen Abteilungen zu Wort und berichten von ihren Erinnerungen an die frühere Dauerausstellung und derzeitigen Erlebnissen. Dr. Sven Lüken, Sammlungsleiter Militaria, stand uns ebenfalls Rede und Antwort zu diesem Großprojekt.
Lieber Herr Lüken, die Dauerausstellung ist seit Ende Juni geschlossen. Gab es für Sie ein Objekt oder einen Bereich in der Ausstellung, mit dem Sie eine besondere Erinnerung oder Geschichte verbinden?
Dr. Sven Lüken: Ja, mit dieser Flugabwehrkanone, die ihre große Bedeutung im Erdkampf gewann, weil man damit Panzer abschießen und Panzerungen schnell durchbrechen konnte. Das war ursprünglich gar nicht geplant und hat erst dazu geführt, dass jeder Soldat die „Acht-Acht“ kannte. Insofern ist es ein Leitfossil des Zweiten Weltkriegs und zwar eines der Größe, die wir gerade so noch ausstellen können. 2001 wurde ich als Wirtschafts- und Sozialhistoriker im Deutschen Historischen Museum eingestellt und habe später für die Mittelalterabteilung in der Dauerausstellung gearbeitet. Von Haus aus bin ich eigentlich Frömmigkeitshistoriker, aber ich habe mich immer für Militaria interessiert. Die Flak kam damals als allererstes Objekt ins Zeughaus. Das Gebäude war noch leer. Von der Straße aus konnte man sie sehen, und die Leute drückten sich an der Scheibe die Nase platt.
Im Januar 2008 wurde ich Sammlungsleiter für „Waffen, Rüstungen, Militärisches Gerät“, ab da gehörte die Flak zu meinem Bestand. Genau wie die Besucherinnen und Besucher wollte ich zuerst wissen, wie das Ding funktioniert. Zwölf Mann, jeder mit einer eigenen Aufgabe, waren für die Bedienung nötig. Mich hat aber auch interessiert, was das für Leute waren, welche Erfahrungen sie teilten und wie sie die Bundesrepublik als erste Nachkriegsgeneration geprägt haben. Diese Flakhelfergeneration hat ihre Sozialisation hinter diesem Geschütz erfahren. Dort haben sie gelernt, dass man sich selbst zurücknehmen muss, nur gemeinsam etwas erreichen kann, nämlich einen Bomber abzuschießen. Nur das „Wir“ zählte. Wenn sie einen abgeschossen hatten, wurden als Abschussmarkierungen weiße Ringe um das Rohr gemalt. Am 8. Mai 1945 war das alles wertlos. Aber das hat diese Generation geprägt, aus diesen Erfahrungen haben sie später Sozialstaat und Demokratie aufgebaut. Insofern fand ich das von Anfang an ein tolles Museumsobjekt, an dem man eine Menge erzählen kann. Deswegen hat es für mich eine besondere Bedeutung.
Wie viele Objekte aus Ihrem Sammlungsbereich waren in der Dauerausstellung zu sehen und welche waren die größten bzw. kleinsten?
So ungefähr um die 400 Objekte waren im Zeughaus zu sehen. Wir werden in der neuen Dauerausstellung aber wahrscheinlich sehr viel weniger zeigen können.
Die Flak war das größte Objekt, das ausgestellt war. In unserem Depot haben wir noch einen Panzer der Kasernierten Volkspolizei; Marke Eigenbau aus einer Zeit, in der die Deutschen keine Panzer bauen durften. Unserer ist unter der Ägide der Russen dann quasi als Einzelstück angefertigt worden und war beim 17. Juni 1953 dabei. So wurde er auch im Museum für Deutsche Geschichte gezeigt. Das ist wahrscheinlich das größte Objekt. Eine sowjetische Boden-Luft-Rakete haben wir allerdings auch noch. Die kleinsten Objekte sind winzige Schräubchen, Bestandteile von Gewehrschlössern. Wir haben eine ganze Produktionsstraße für das Gewehr 98, das sich als Dauerleihgabe auf der Zitadelle in Spandau befindet. Hier sieht man, wie die Teile produziert werden. Aber die meisten Objekte der Militariasammlung sind groß, schwer und relativ unempfindlich.
Sie waren damals schon am Haus, als die Dauerausstellung konzipiert und 2006 eröffnet wurde. Ist Ihnen aus dieser Zeit etwas prägend in Erinnerung geblieben?
Das war eine intensive, lange Zeit. Hans Ottomeyer, der damalige Präsident des Deutschen Historischen Museums, sagte immer, Dauerausstellung heißt es, weil es so lange dauert, bis es fertig wird. Daran hängen viele Geschichten, die in Erinnerung bleiben. Zum Beispiel konnte ich eine kleine Abteilung zur Frömmigkeit im Spätmittelalter einrichten und dafür neue Objekte kaufen, was ein großes Privileg ist. In Würzburg habe ich zum Beispiel bei zwei Händlern an einem Nachmittag einen ganzen Altar zusammengekauft. Den haben wir dann aufgebaut, und ich habe in der Abteilung zur spätmittelterlichen Frömmigkeit viele Führungen gemacht. Nicht einfach im kirchenfernen Berlin-Brandenburg. Manchmal kam ich mir vor wie der Heilige Bonifatius, aber die Besucherinnen und Besucher interessierte das. Mit dieser Geschichte habe ich ganz persönlich meine Rechtfertigung als Museumshistoriker erfahren.
Was stellt für Sie mit Blick auf Ihren Sammlungsbereich die größte Herausforderung beim Abbau der Dauerausstellung dar und gab es womöglich Überraschungen?
Als ich 2008 die Abteilung „Waffen, Rüstungen, Militärisches Gerät“ übernahm, existierte die Dauerausstellung schon zwei Jahre. Dadurch kannte ich die schönsten Exponate nur hinter Glas. Für mich ist es jetzt auch ein Erlebnis, die vielen schönen Objekte wieder so „nackt“ zu sehen. Die Exponate kommen ins Depot, wodurch sich viele Termine ergeben, da wir jetzt an die Objekte ohne die Glasvitrine rankommen und es viele Anfragen beispielsweise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gibt, die mit den Objekten arbeiten wollen. Darauf freue ich mich. Es ist das Privileg der Sammlungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, dass wir die Geschichte quasi atmen können: Pferdegasmasken aus dem Ersten Weltkrieg, an denen man noch die Angst des Pferdes riecht, Uniformen, an denen man manchmal noch den Schweiß bemerkt. Aber das Wichtigste ist, dass man die Objekte jetzt von allen Seiten sehen kann.
Manchmal stimmen die Inventarnummern nicht, das müssen wir dann klären. Sonst gab es bislang keine Überraschungen. Aber es müssen Entstehungsgeschichten geklärt werden, zum Beispiel von zwei Elfenbeinsätteln aus dem 15. Jahrhundert aus Budapest. Eine ungarische Kollegin erforscht gerade ihre Herkunft.
Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Gibt es ein Objekt, von dem Sie sagen würden, das sollte unbedingt auch in der neuen Ständigen Ausstellung gezeigt werden? Und wie kann man zum Themengebiet „Kriegsführung“, die sich in den letzten Jahren stark verändert hat, Stichwort Cyberwar, künftig weiter sammeln?
Ich würde mich freuen, unsere Turniergerätschaften des 15. und 16. Jahrhunderts in der neuen Ständigen Ausstellung zu sehen, das sind wirklich Highlights der europäischen Kunstgeschichte.
Ansonsten ist es insgesamt sehr schwierig für uns, an neuere Exponate zu kommen. Unser jüngstes Gewehr stammt aus der späten DDR-Zeit. Die Objekte bekamen wir früher als Königlich Preußisches Zeughaus und dann als Zeughausmuseum vor allem von der Armee, der Bundeswehr zuletzt. Das ist jetzt nicht mehr möglich, weil damit Waffenhandel in Verbindung gebracht wird. Nur das Militärhistorische Museum in Dresden ist davon ausgenommen und unterliegt nicht dem Waffengesetz. Auch Uniformen fallen darunter. Cyberwar darzustellen, aber kein einziges Objekt dazu zu haben, ist natürlich ein Problem. Wie es weitergeht, das wissen wir im Moment nicht.