5 Fragen an: Stefan Bresky
2. März 2022
Das Zeughaus des Deutschen Historischen Museums wird saniert und die Dauerausstellung „Deutsche Geschichte vom Mittelalter bis zum Mauerfall“ abgebaut. Gleichzeitig arbeitet das DHM an einer neuen Ständigen Ausstellung – ein Großprojekt, das das gesamte Museum betrifft. In der Interview-Reihe „5 Fragen an…“ kommen Mitarbeitende aus verschiedenen Abteilungen zu Wort und berichten von ihren Erinnerungen an die frühere Dauerausstellung und derzeitigen Erlebnissen. Diesmal im Gespräch: Stefan Bresky, Leiter der Bildung und Vermittlung am Deutschen Historischen Museum.
Lieber Stefan Bresky, die Dauerausstellung ist seit Ende Juni 2021 geschlossen. Gab es für Sie ein Objekt oder einen Bereich in der Ausstellung, mit dem Sie eine besondere Erinnerung oder Geschichte verbinden?
Stefan Bresky: Hervorheben möchte ich die Verfassung des Deutschen Reiches mit eigenhändigen Unterschriften der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung aus dem Jahr 1849 und den dazugehörenden Hands-On-Bereich.
Auf den ersten Blick handelt es sich um ein recht unscheinbares archivalisches Dokument, das jedoch interessante Gebrauchsspuren aufweist. Dieses Exponat erzählt vom Freiheitswillen der Menschen, vom Abschütteln überkommener Unterdrückung und vom Gedanken der natürlichen Gleichheit der Menschen. Da die deutschen Fürsten jedoch die Macht zurückeroberten, wurde aus diesem Dokument keine Verfassungswirklichkeit; die Revolution 1848/49 war gescheitert.
Aus der Bildungs- und Vermittlungsperspektive ist die Paulskirchenverfassung deshalb ein besonderes Objekt, weil es den Weg zu einem Rechtsstaat und einer Bürgergesellschaft aufzeigt. Dafür steht insbesondere der Grundrechtsteil mit seinen Freiheits- und Eigentumsrechten. Während der Vorbereitung zur Eröffnung der Dauerausstellung im Jahr 2006 beschäftigte uns die Frage, wie man dieses Exponat zum „Sprechen“ bringen kann. Mit welcher Erzählung lässt sich das Besucher*inneninteresse wecken und die epochenübergreifende Bedeutung des Objekts vermitteln? Im Rahmen der damaligen technischen Möglichkeiten entschieden wir uns für zwei didaktische Schubladenelemente, um in unmittelbarer Nachbarschaft zum Original, dessen Wirkungs- und Überlieferungsgeschichte zu thematisieren.
In der ersten Schublade war eine drehbare Rolle integriert, mit deren Hilfe die Freiheitsrechte aus dem Jahr 1849 mit Passagen der Weimarer Verfassung, des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung der DDR verglichen werden konnten. Zugleich erinnert dieser historische Längsschnitt daran, welch prägende Kraft von diesem Exponat für die deutsche Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ausgeht.Die zweite Ebene des didaktischen Moduls stellt die abenteuerliche Überlieferungsgeschichte dieses Objekts mit Hilfe einer Europakarte dar: Nach Stationen in Frankfurt, Köln, Großbritannien, Berlin und Staßfurt wurde dieses Verfassungsdokument 1951 im Neue Garten zu Potsdam gefunden und ins Berliner Zeughaus gebracht. Verfärbungen, Wasserränder und das gewellte Papier zeugen bis heute von der abenteuerlichen Reise dieser Urkunde.
Waren Sie 2006 beim Aufbau und der Eröffnung dabei? Was ist Ihnen prägend in Erinnerung geblieben?
Ich wurde 2004 am Deutschen Historischen Museum angestellt, um an der Didaktisierung der Dauerausstellung mitzuarbeiten. Als neuer Mitarbeiter lernte ich zum damaligen Zeitpunkt – also knapp zwei Jahre vor der Ausstellungseröffnung – wie viel Vorlauf ein solches Großprojekt benötigt und dass viele Planungen bereits abgeschlossen waren. So ließen sich Eingriffe in die Ausstellungsarchitektur und Wandabwicklung zur Integration didaktischer Stationen nur noch eingeschränkt realisieren. Neben solch einem ernüchternden Moment, zeigte dieses arbeitsteilige Projekt jedoch auch, mit welcher Akribie und vielfältiger Expertise Ausstellungen am DHM vorbereitet werden.
Wird sich das Vermittlungsprogramm während der Schließung fortsetzen?
Zum einen sind wir in der wunderbaren Lage, dass der Pei-Bau für unser Publikum weiterhin mit Wechselausstellungen geöffnet bleibt. Zum anderen haben wir bereits im Verlauf der Pandemie zahlreiche digitale Vermittlungsangebote erarbeitet. Dabei handelte es sich um live gestreamte Epochenführungen, mit denen wir deutsche Geschichte vom Mittelalter bis zur Zeitgeschichte abdecken, und verschiedene Themenführungen, die sich beispielsweise mit der Frauen- bzw. Geschlechtergeschichte beschäftigen. Diese Formate bieten wir nun als digitale Präsentationen für Einzelpersonen und Lerngruppen an, in dem wir vorbereitete Sequenzen zu Objekten und zur Szenographie einspielen. Dabei können die Teilnehmenden den Referent*innen live ihre Fragen stellen.
Seit Anfang März ist noch das Lernportal IDA auf der Webseite des DHM hinzugekommen. Dieses interaktive digitale Angebot startet zunächst mit Inhalten zum Mittelalter und zur Französischen Revolution. Die jeweiligen Seiten verbinden kurze Einführungstexte zu Epoche, Ereignissen und Personen mit interaktiven Elementen. Für diese nutzt IDA zum Beispiel ausgewählte 360°-Panoramen aus der alten Dauerausstellung.
Um eine Größenvorstellung von der ehemaligen Dauerausstellung zu erhalten: Wie viele Hands-on Stationen haben sich in der Ausstellung befunden?
Rund 35 Hands-On-Bereiche ergänzten die Ausstellungsszenografie auf rund 7000 qm Ausstellungsfläche. Abgerundet wurde dieses Angebot durch digitale und auditive Angebote. Insgesamt mehr als 500 Hörführungsstationen richteten sich sowohl an Erwachsene als auch an Kinder und Familien. Das steigende touristische Interesse an der Dauerausstellung bedienten wir mit sieben fremdsprachigen Hörführungsvarianten. Besonders stark nachgefragt war in den zurückliegenden Jahren die chinesische Version .
Gibt es etwas, was Sie für Ihren Bereich auch in der neuen Ständigen Ausstellung wieder aufgreifen oder weiterverfolgen möchten?
Ein erster wichtiger Schritt war die abteilungsübergreifende Erarbeitung des Masterplans zur neuen Ständigen Ausstellung. Als Museumspädagoge freut es mich besonders, dass im Zeughaus zukünftig ein eigener Ausstellungsbereich für Kinder und Familien Platz finden wird.
Ein zweiter wichtiger Schritt wird sein, dass die objektbezogene Vermittlung bei den konzeptionellen Überlegungen berücksichtigt wird. Insbesondere wegen der Schauwerte der Exponate kommen die Besucher*innen in unser Museum. Wir wollen sie beim Erkunden von historischen Objekten unterstützen. Parallel zur fortschreitenden Digitalisierung werden klassische Hands-On-Bereiche mit multisensorisch-inklusivem Profil ein wichtiger Baustein des Vermittlungsangebots bleiben. Den zukünftigen Ausstellungsbesucher*innen soll eine anregende Mischung von digitalen und analogen Angeboten zur Verfügung stehen, dass die Geschichte im Museum im Mehr-Sinne-Prinzip vermittelt.