Eine „türkische Bäckerei mit deutschem Material nach deutschem Muster“
Erinnerungen eines Feldbäckers an seine Einsatzzeit in Rumänien während des Ersten Weltkrieges
Nico Geisen | 01. September 2022
Schon im Ersten Weltkrieg war der militärische Austausch von Material zwischen Verbündeten ein gängiges Mittel zur gegenseitigen Unterstützung. Die hinterlassenen Schriftstücke eines deutschen Feldbäckers, der für den Angriff der Mittelmächte auf das Königreich Rumänien einer türkischen Division zugeteilt wurde, geben Einblicke über den streckenweise schwierigen Hergang eines solchen Austausches, wie Nico Geisen, Volontär der Sammlung, in diesem Beitrag schildert.
Am 28. September 1916 erhielt der frisch ernannte stellvertretende Feldbackmeister Richard Gorgas den Befehl, einer türkischen Truppeneinheit beizutreten. Dort sollte er „eine türkische Bäckerei mit deutschen Material nach deutschem Muster“ ausbilden, wie er in einem Erinnerungsheft über seine „Türkenzeit“ festhält. Bereits kurz nach der Ankunft wurde ihm klar, dass ihm eine entscheidende Fähigkeit fehlte: Er sprach kein Türkisch, die einzige gesprochene Sprache in seiner Feldbäckereikolonne. Schon die Meldung bei seinem türkischen Oberleutnant stellte ihn vor Schwierigkeiten. Unterstützung erhielt er durch den ihm zugeteilten Dolmetscher Hassan. Mit seinen Bäckerkameraden hingegen verständigte er sich oft nur über Zeichensprache. Auch seine eigens angefertigten türkischen Sprachnotizen konnten ihm nur wenig weiterhelfen.
Das Königreich Rumänien schloss sich am 17. August 1916 dem Bündnis der Entente-Mächte an. Bis September erklärten alle Mittelmächte dem Königreich den Krieg.[1] Unter deutschem Oberbefehl sollten bulgarische und türkische Truppen von der südlichen Donauseite angreifen. Sie wurden mit deutschen Kriegsmaterialien unterstützt, wie z. B. mit der Feldbäckerei von Gorgas.
Bereits einige Tage nachdem Gorgas in Bulgarien eingetroffen war, begann der Vormarsch der Truppen nach Rumänien. Für die Einarbeitung der Bäcker blieb kaum Zeit. Ohne Worte versuchte er die ihm unterstellten Bäckerkollegen zu unterweisen, konnte zur ersten Inspektion jedoch keine zufriedenstellenden Ergebnisse vorweisen. In Briefen an seine Familie beschrieb er das Urteil des inspizierenden Oberleutnants: „[Ihm] schien die Sache mit den deutschen Öfen nicht recht klar zu sein und stand der Sache höchst skeptisch gegenüber und ich hatte nicht wenig Mühe ihm auf andere Gedanken zu bringen; er ging kopfschüttelnd los.“
Der Vormarsch der Truppe erfolgte weitgehend zu Fuß. Der Transport der Bäckereikolonne – bestehend aus zwölf Öfen, zwölf Packwagen, einem Vorratswagen, einer Feldschmiede und einer Feldküche – verlief daher oft holprig, auch wenn alle Wagen mit mindestens zwei Zugpferden ausgestattet waren. Chaotisch wurde es zum Beispiel kurz vor der Überfahrt der Donau bei Swischtow auf einer abschüssigen Straße. Gorgas resümiert: „1 Wagen kippte um, ein Gespann attackierte an einer Gartenmauer ein anderes, nahm ein Brückengeländer mit, ein Wagen verirrte sich in die Straße, ein anderer wieder in eine[n] anderen Teil, außerdem floß der Regen in Strömen“. Marschiert wurde meist am Morgen, am Abend oder gar in der Nacht, damit tagsüber gearbeitet werden konnte. Bei Einquartierung an einem Ort teilten sich 23 Oberbäcker und Bäcker jeweils in drei Schichten den Betrieb. Pro Tag konnten dadurch etwa 8.000 bis knapp 13.000 Brote gebacken werden. Es war vorgesehen, dass eine Feldbäckerei einen Korps mit 60.000 Mann versorgt. Auch zivile Bäckereien in den eroberten Gebieten sollten dafür nach Belieben besetzt werden.
Gorgas Bäckerei hatte täglich mindestens 8.000 Brote zu liefern, wofür ihm auch brutale und erniedrigende Mittel zu Verfügung gestellt wurden. Smail, sein vorgesetzter Efendi (Leutnant), zeigte ihm seine Peitsche, die er zur „Disziplinierung“ seiner Bäcker nutzen könne. Zwar gibt es keine Aufzeichnungen, dass Gorgas sie einsetzte, doch in seinem Erinnerungsheft hielt er für sich fest, „daß diese Methode doch wohl die richtigste sei“. Sein Efendi hingegen schlug umso heftiger auf die Bäcker ein. Dass sie täglich zumeist nicht mehr als 6.000 Brote auslieferte, erklärte Gorgas sich jedoch nicht mit den unmenschlichen Arbeitsbedingungen, sondern mit seinen rassistischen Vorurteilen gegenüber den türkischen Kameraden, die er als „gleichgültige, faule aber auch sehr beschränkte Arbeiter“ bezeichnete.
Mit weiterem Vormarsch der Frontsoldaten rückte auch die Feldbäckereikolonne immer weiter ins Innere des Landes vor. Die gebackenen Brote waren in großen Teilen nur für die Front vorgesehen, sodass sich die Verpflegungstruppen anderweitig Nahrung suchten. Dafür bedienten sie sich in den Gärten von geflohenen Einwohner*innen und am Vieh der Bauernhöfe. Beim Vormarsch nach Bukarest zählte Gorgas eine auf 500 Tiere angewachsene Hammelherde, die der Kolonne folgte. Die Truppen quartierten sich außerdem in leerstehenden Häusern ein. Plünderungen wurden zur Tagesordnung, an denen sich Gorgas teilweise beteiligte, sie teilweise aber auch anklagte.
Kurz vor Bukarest kam es zu einem Zerwürfnis mit Effendi Smail. Bei einem Mittagessen, zu welchem Gorgas einlud, setzte er seinen muslimischen Gästen absichtlich Schweinefleisch vor, ohne sie davon wissen zu lassen. Die Reaktionen hielt er in seinem Erinnerungsheft fest: „Beide schauen sie sich das Gericht an, schnuppern in die Luft, da sagte einer der beiden ‚dammusett‘ [sic!]. D.h. Schweinefleisch. Wie auf Kommando standen beide auf und verließen ohne jegliches Wort das Zimmer“. Es folgte eine kurze handgreifliche Auseinandersetzung am Tag darauf. Am späten Abend desselben Tages gesellte sich dann der Dolmetscher Hassan zu Gorgas. Er berichtete, dass Smail nach dem Streit verärgert zu den Ställen ging, wütend auf die Pferde einpeitschte und in Rage einen Pferdezüchter zu Tode prügelte.
Trotz der Eskalation meldete Gorgas den Vorfall nicht, angeblich um seinen Dolmetscher zu schützen. Dennoch wurde sein Vorgesetzter abkommandiert und von einem neuen Leutnant ersetzt. Zur Jahreswende 1916/1917 zogen sich die rumänischen Truppen nach Moldau zurück und die Kampfhandlungen wurden wieder zum Stellungskrieg. Damit endete auch Gorgas Einsatz. Den letzten Abend mit seinen türkischen Kameraden beschreibt er so: „In der Mitte der Stube […] in den glühenden Kohlen waren ein Topf mit Wasser. […] Mocca wurde jeden in seiner Tasse welche reichlich mit gemahlenen Kaffee versehen ist aufgebrüht. Zigarr. wurden gereicht und dann mußte ich von Berlin erzählen. […] nur ganz einzelne Worte konnten einige begreifen.“ Zuvor erhielt Gorgas noch die Auszeichnung des eisernen Halbmonds. Die türkische Ansprache seines neuen Leutnants, so gestand er, konnte er jedoch immer noch nicht verstehen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde Gorgas aufgrund den Spätfolgen eines Gallenblasendurchbruchs zu einem Kriegsinvaliden, weshalb er auch seine eigene Bäckerei in Berlin schließen musste. Während der Weimarer Republik musste er dann fortwährend die Arbeitsplätze wechseln.
Verweise:
[1] Für weitere Informationen vgl. Wichmann, Manfred, Kriegseintritt Rumäniens 1916, https://www.dhm.de/lemo/kapitel/erster-weltkrieg/kriegsverlauf/kriegseintritt-rumaeniens-1916.html, zuletzt eingesehen: 15.08.2022
Nico GeisenNico Geisen ist Volontär in der Abteilung Sammlungen am Deutschen Historischen Museum. |