Mit vereinten Kräften zum zentralen Geschichtsmuseum der DDR
Janine Kersten | 17. Mai 2023
Das Museum für Deutsche Geschichte (MfDG) wurde offiziell am 18./19. Januar 1952 in Ost-Berlin gegründet. Die Zeit drängte, denn schon sechs Monate später sollte die erste Dauerausstellung eröffnen. Janine Kersten, Provenienzforscherin am DHM, umreißt die großen Anstrengungen, die das Museum in seinen Gründungsjahren für einen schnellen Sammlungsaufbau unternahm. Sie schaut insbesondere auf die Objekte, die von der Tresorverwaltung im Ministerium der Finanzen der DDR in die Sammlung kamen.
Das Museum setzte in seiner Aufbauphase alles daran, den schnellen Erwerb ausstellungsfähiger Objekte für seine Sammlung voranzutreiben. Nach der Gründung verfügte das MfDG, nebst kleineren Konvoluten, hauptsächlich über die Sammlung des alten Berliner Zeughauses, die fast ausschließlich aus Militariabeständen wie historischen Waffen, Uniformen und Orden bestand.
Durch den Beschluss des Zentralkomitees (ZK) der Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) im Dezember 1951 wurde festgelegt, dass das MfDG durch diverse staatliche Institutionen beim Sammlungsaufbau Unterstützung erhalten solle.[1] In die Pflicht genommen wurden das Staatssekretariat für Hochschulwesen, die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten sowie Massenorganisationen, wie die Freie Deutsche Jugend und der Kulturbund. Außerdem lieferten unterschiedliche staatliche Institutionen Objekte an das Museum: die SED, die Tresorverwaltung im Ministerium der Finanzen, das Ministerium des Innern oder das Ministerium für Staatssicherheit, Exekutivorgane, wie die Räte der Gemeinden, Städte, Kreise und Bezirke, die Dienststellen der Deutschen Volkspolizei und die Zollbehörden Objekte an das Museum. Die Landes- und Heimatmuseen der DDR sollten ebenfalls den Aufbau des MfDG unterstützen.[2]
Das Museum war allerdings nicht nur passiver Empfänger von Museumsgut, sondern bemühte sich um Kontakte zu Institutionen, um an Ausstellungsobjekte zu kommen und unternahm „wissenschaftliche Expeditionen zum Studium und zur Herbeischaffung von Dokumenten und Materialien“. [3] Auch die Bevölkerung wurde in Rundfunk und Zeitung zur tatkräftigen Unterstützung aufgefordert.[4]
Gesucht wurden wertvolle Originale wie Möbel, Gemälde[5], Grafiken, Militariaobjekte (z. B. Orden, historische Waffen oder Uniformteile), Dokumente (z. B. Historische Urkunden, Flugblätter und Plakate) aber auch Publikationen aus dem westlichen Ausland[6] sowie Objekte, die „scheinbar ohne erheblichen künstlerischen oder Sachwert sind, aber die gesellschaftliche Epoche, aus der sie stammen, charakterisieren.“[7]
Im Rahmen eines zweijährigen Grundlagenforschungsprojektes am Deutschen Historischen Museum (DHM), das in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste durchgeführt wird, forscht Janine Kersten zur Abteilung Tresorverwaltung im Ministerium der Finanzen der DDR (MdF) und ihren Übergaben an das MfDG. Insgesamt sind 1.380 Einzelobjekte über die Tresorverwaltung in die Sammlungen des Museums gekommen. Zu diesen Objekten zählen Gemälde, Bücher, historische Dokumente, Gläser, Grafiken, Porzellan, Münzen, Wertpapiere und Schmuck.
Die Tresorverwaltung wurde im März 1953 auf Beschluss des ZK als selbstständige Abteilung im MdF gegründet.[8] In einer streng vertraulichen Mitteilung beschreibt sich die Abteilung als „zentrale Verwertungsstelle für alle in der DDR und dem demokratischen Sektor von Gross-Berlin eingezogenen und gepfändeten Wertgegenstände und Kostbarkeiten.“ [9] Einlieferer dieser Objekte waren einziehende Dienststellen der DDR, wie z.B. die Verwaltungsstellen für Staatliches Eigentum, die Volkspolizei, Staatsanwaltschaften und das Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs sowie pfändende Dienststellen, wie beispielsweise Gerichtsvollzieher.
In der Auflistung der hier genannten „einziehenden und pfändenden“ Einlieferer sind viele der Institutionen aufgeführt, die für die DDR-Provenienzforschung als kritische Provenienzen bezeichnet werden können, d.h. dass die an die Tresorverwaltung abgelieferten Objekte unter anderem aus Enteignungen im Zusammenhang mit der Bodenreform („Schlossbergungen“) in der Sowjetischen Besatzungszone oder auch von aus der DDR Ausgereisten bzw. „Republikflüchtigen“ stammen.
Die Tresorverwaltung übernahm außerdem in den frühen 50er-Jahren im Auftrag des ZK, die „Verwertung“ von in den Tresoren geschlossenen Berliner Altbanken lagernden Verwahrstücken, wie z.B. aus der ehemaligen Reichsbank oder der Deutschen Bank. Dies geschah teilweise ohne rechtliche Grundlage und war von daher streng geheim.
Die ersten Sammlungsankäufe von der Tresorverwaltung tätigte das MfDG im Jahr 1954. In den Ankaufsprotokollen werden in der Hauptsache Meißner Porzellan, aber auch Gemälde und Druckgrafik angeführt. Ein weiterer Ankauf kam im September 1955 in Form von Glaswaren hinzu. Diese erworbenen Objekte stammten nachweislich aus den Tresoren geschlossener Berliner Altbanken.
Das MfDG kaufte jedoch nicht nur museale Gegenstände von der Tresorverwaltung, sondern erhielt auch Objekte als kostenlose Übergabe. Ein Konvolut von über 1.100 historischen Dokumenten wurde bereits 1953 an das Museum übergeben. Im Inventarbuch des MfDG sind die Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) als Einlieferer genannt. Recherchen ergaben jedoch, dass diese Objekte ursprünglich aus der Tresorverwaltung stammen. Die SMB waren nur ein Zwischenlager, bevor die Entscheidung fiel, dass die Handschriften an das MfDG gehen sollten.[10] Zwei Jahre später erhielt das Museum erneut eine kostenlose Überweisung in Form von 16 Kartenstichen, Büchern und diversen Waffen.[11] Unter welchen Umständen diese Objekte in den Besitz der Tresorverwaltung kamen, war für das Museum von untergeordneter Bedeutung – der schnelle Sammlungsaufbau stand im Vordergrund. Da die Tresorverwaltung jedoch in den frühen 1950er Jahren nachweislich eine zentrale Rolle bei der „Verwertung“ von gepfändeten und entzogenem Kulturgut spielte, werden die Objekte mit dieser Provenienz durch die Provenienzforscher*innen des DHM tiefenerforscht.
Das Grundlagenforschungsprojekt zur Tresorverwaltung läuft noch bis Oktober 2023. Einen ersten Einblick zum aktuellen Stand der Recherchen finden Sie in Janine Kerstens Zwischenbericht hier .
[1] Anlage 15 zum Protokoll Nr. 125 von der Sitzung des ZK der SED vom 13.12.1951, BArch DY 30/55926, Bl. 118ff.
[2] Vgl. Anlage 15 zum Protokoll Nr. 125 von der Sitzung des ZK der SED vom 13.12.1951, BArch DY 30/55926, Bl. 118ff.
[3] Entwurf des Statuts des Museums für Deutsche Geschichte vom 25.02.1952, BArch DR3/4039, Bl. 29f.
[4] Vgl. z. B. DHM-HArch, MfDG/Rot/vorl. 538; MfDG/Rot/vorl. 925 und MfDG/Abt. Slg.-Fundus/vorl. 254.1.
[5] Protokoll der Tagung des Wissenschaftlichen Rates des MfDG, 01.03.1952, DHM-HArch, MfDG/41, Bl. 28.
[6] Vgl. ebd.
[7] Vgl. Abschrift eines Rundschreibens von Hermann Weidhaas an die Landeskommission Thüringen der Heimat- und Naturfreunde, März 1952, DHM-HArch, MfDG/458.1, Bl. 122f.
[8] Vgl. Hausmitteilung der Abteilung Tresorverwaltung an den Stellvertreter des Ministers der Finanzen, Martin Schmidt, 6.12.1955, BArch DN 1/3439.
[9] Vgl. ebd.
[10] Vgl. Vgl. Kachel, Doris: Repräsentative Studie zu den Übergaben staatlicher Institutionen und Organisationen an das Museum für Deutsche Geschichte der DDR, Berlin 2020, S. 32.
[11] Vgl. DHM-HArch, MfDG/Abt. Slg.-Fundus/vorl. 6.2. Die Stücke wurden vom MfDG als „schlecht“ bezeichnet und für eine Magazinierung oder Weitergabe vorgesehen.
Janine KerstenJanine Kersten ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Provenienzforschung am Deutschen Historischen Museum. |