Wozu das denn? Die erste Regenbogenflagge auf dem Reichstag
Julia Franke | 21. Juli 2023
Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Violett: 2022 hisste der Deutsche Bundestag zum ersten Mal in der Geschichte des Parlamentsgebäudes die Regenbogenflagge. Ein Jahr später, im Rahmen einer offiziellen Übergabe des Objekts durch die Präsidentin des Deutschen Bundestages Bärbel Bas an den Präsidenten des Deutschen Historischen Museums Raphael Gross, fand die 4,5 x 7 Meter große Flagge Eingang in die Sammlung „Zivile Kleidung und Textilien“ des Museums. Sammlungsleiterin Julia Franke erklärt, was es damit auf sich hat.
Anlässlich des Christopher-Street-Days (CSD) am 23. Juli 2022 wehten die Farben des Regenbogens zum ersten Mal in der deutschen Geschichte auf und vor dem Reichstagsgebäude, dem Sitz des Deutschen Bundestages. Der CSD erinnert jährlich an die gewaltsame Razzia der New Yorker Polizei 1969 in der Bar Stonewall Inn mit mehrheitlich queerem Publikum. Ausgehend vom daraufhin einsetzenden Aufstand und Protest gegen die Polizeigewalt in der New Yorker Christopher Street, den Stonewall Riots, finden seit 1979 auch die ersten Pride-Veranstaltungen in der Bundesrepublik statt. Heute ist der CSD ein sichtbarer Fest- und Protesttag für die Rechte von Schwulen, Lesben, Transsexuellen und Transgendern, Inter- und Bisexuellen, der jährlich in mehreren Städten begangen wird.
Mit dem Hissen der Regenbogenflagge 2022 wollte der Deutsche Bundestag seine Solidarität mit den Menschen zum Ausdruck bringen, die aufgrund ihrer sexuellen Identität diskriminiert werden und gleichzeitig ein Zeichen für die Akzeptanz und den Schutz dieser Vielfalt und gegen Queerfeindlichkeit setzen. Gehisst wurde die mehr als 30 Quadratmeter große Flagge auf dem Südwestturm des Reichstagsgebäudes, also dem Turm mit Ausrichtung zu den Straßen der CSD-Parade. Darüber hinaus trugen auch das Ost- und Westportal mit zwei wesentlich kleineren Portalflaggen das Regenbogenmotiv. Gemäß des offiziellen Flaggenzeremoniells erfolgt das Hissen von Flaggen in der Regel von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Angesichts der Feiernden der Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor waren die Farben des Regenbogens am 22. Juli 2022 bis Mitternacht zu sehen.
Zentrales Symbol des queeren Selbstbewusstseins
Symbole und Zeichen zählen zu den wichtigsten Instrumenten politischen Protests. Der Regenbogen, dessen Symbolgeschichte bis in das Alte Testament hineinreicht, wird heute international als ein Zeichen für Toleranz und für die Akzeptanz von sexueller wie gesellschaftlicher Vielfalt verwendet – mit Ausnahme von Staaten wie Saudi-Arabien, Russland oder dem Iran, die das Symbol queerer Selbstbehauptung mit offiziellen Verboten belegen.
Als Erfinder der Regenbogenflagge, die sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte international zu dem Symbol für die queere Community entwickeln sollte, gilt der amerikanische Künstler Gilbert Baker. 1978 zeigte er eine von ihm selbst geschneiderte Regenbogenflagge zum ersten Mal bei der Gay Freedom Parade in San Francisco. Gemäß ihrem Erfinder sollte sie nicht allein die Schwulenbewegung, sondern allgemeiner „sexual otherness“ repräsentieren, also alle Körper, Identitäten und jegliches Begehren jenseits dessen, was die amerikanische Philosophin Judith Butler als heterosexuelle Matrix begreift.
Gilbert Baker (1951-2017) schrieb jeder der ursprünglich von ihm verwendeten acht Farben eine Bedeutung zu. Im Gegensatz zur Fahne der Friedensbewegung, die häufig die Aufschrift „PACE“ (dt. Frieden) trägt und mit dem blauen Farbspektrum beginnt, begann die ursprüngliche Farbreihung Bakers mit einem grellen Pink, das für ihn für Sexualität stand, die anschließende Farbe Rot symbolisierte für ihn das Leben, Orange Heilung und Gesundheit, Gelb das Sonnenlicht, Grün die Natur, Türkis die Künste, das dunklere Blau stand für ihn für Ruhe und Gelassenheit und Violett für den Geist. Im 21. Jahrhundert hat sich der sechsfach gestreifte Regenbogen international als wiedererkennbares Symbol der queeren Bewegungsgeschichte durchgesetzt. Zur Erfolgsgeschichte des Motivs trugen seine klare Gestaltung, der hohe Wiedererkennungswert sowie dessen einfache grafische Reproduzierbarkeit bei. Im Laufe ihrer Existenz erfuhr die Regenbogenflagge beständig Neugestaltungen: Um möglichst zahlreiche Identitäten und bisher marginalisierte Perspektiven einzuschließen, wurde das Design der Flagge insbesondere in den vergangenen fünf Jahren fortwährend um neue Farben und Gestaltungselemente erweitert. Die wohl aktuellste Version der Flagge ist ein Redesign der Progress Pride Flag mit der Erweiterung durch eine intersex-inklusive Variante.
Flaggenzeremoniell und Regenbogen
Auf Initiative des Lebens- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg (LSVD) hissten 1996 erstmalig in Deutschland drei Berliner Bezirke die Regenbogenflagge an öffentlichen Gebäuden. Das Berliner Abgeordnetenhaus, der Sitz des Landesparlaments, flaggte den Regenbogen knapp zwanzig Jahre später zum ersten Mal – am 27. Juni 2015, ebenfalls anlässlich des Christopher-Street-Days als Zeichen „für die gesellschaftliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen“ und gegen „Intoleranz und Homophobie“.
Bevor es auf Bundesebene zum Flaggen des nicht-hoheitlichen Symbols kam, gab es bereits seit mehreren Jahren vonseiten der Verfassungsorgane – Bundespräsident, Deutscher Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat, Bundesverfassungsgericht – die Überlegung, die Regenbogenflagge ebenfalls im öffentlichen Raum sichtbar zu machen. Über die Beflaggung seiner Gebäude entscheidet jedoch jedes Verfassungsorgan eigenständig. Diese Entscheidung vollzieht sich auf Gebäuden wie dem Reichstagsgebäude nach einem eigenen Regelwerk. Der Beflaggung des Südwestturms des Reichstagsgebäudes im Juli 2022 ging eine Änderung des Beflaggungserlasses der Bundesregierung durch die zuständige Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser voraus. Daran knüpfte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas an und schlug dem Präsidium und dem Ältestenrat des Deutschen Bundestages eine Änderung der Beflaggungsordnung des Deutschen Bundestages vor. Fortan ist es möglich, das Zeichen für queere Sichtbarkeit und Emanzipation zu einem konkreten Termin und Anlass wie beispielsweise dem Christopher-Street-Day zu setzen.
© DHM/Thomas Bruns |
Julia FrankeJulia Franke ist Leiterin der Sammlung Alltagskultur (Zivile Kleidung und Textilien, Politik, Religiosa, Abzeichen) am Deutschen Historischen Museum. |