Wozu das denn? Ein Schuhbuch in der DHM-Bibliothek

Charlotte Lenz | 24. Oktober 2023

In unserer aktuellen Vitrinenausstellung zum Thema „Das ist doch kein Buch – Ungewöhnliche Buchformen in der DHM Bibliothek“ wird u.a. das aus dem Jahr 2019 stammende künstlerische Schuhbuch gezeigt. Ein Anlass für Charlotte Lenz, Mitarbeiterin der Bibliothek, den interessanten Fragen nachzugehen, wozu eine wissenschaftliche Spezialbibliothek zur deutschen Geschichte ausgefallene Buchformate und Publikationen über Mode sammelt.

Als eine der größten Museumsbibliotheken in Deutschland sammelt die DHM-Bibliothek aktuelle Forschungsliteratur zur deutschen Geschichte und zu besonderen Themen der Wechselausstellungen. Außerdem erwirbt sie passende historische Drucke, welche die Sammlung thematisch ergänzen. Ein weiterer Bestandteil des Fachbereichs sind Bücher, die vorrangig als Ausstellungsobjekt und erst in zweiter Linie als Informationsträger angesehen werden. Dazu zählt auch das im Jahr 2020 erworbene Schuhbuch – ein Künstlerbuch aus dem Faber & Faber Verlag, welches in seiner Form an die von einem Schuhmacher angefertigten Leisten erinnert.

Das Sachbuch, Band 1 [Damenschuh] und Band 2 [Herrenschuh], Leipzig: Faber & Faber GmbH, [2019], DHM-Bibliothek R 2020/21 – [1] / – [2]

Eine genaue Definition für die Gattung der Künstlerbücher gibt es bis heute nicht. Grund dafür mag sein, dass es als hybrides Objekt mehreren wissenschaftlichen Fächern zugeordnet werden kann, zuvorderst der Literatur-, Kunst- und Buchwissenschaft. In jedem Fall handelt es sich aber immer um sehr „aufwendig angefertigte Bücher“. 1 Prinzipiell stehen bei diesem Publikationsformat die Gesamtgestaltung und das optische Erscheinungsbild im Vordergrund und nicht der als allgemein gültig angesehene eigentliche Zweck eines Buches – das Lesen. Künstlerbücher haben daher vor allem künstlerischen Anspruch und bibliophilen Charakter.2

Nach eigener Maxime „Nichts ist schöner, als das Uniforme zu verlassen und nach individuellem Ausdruck zu suchen“, nahm der Verlag Faber & Faber nach langjähriger Pause 2019 seine Tätigkeit wieder auf und verbindet bis heute Kunst und Literatur in einzigartiger Weise in seinem Verlagsprogramm.3 Als eine der ersten Veröffentlichungen entstand das hier im Zentrum stehende Schuhbuch in Form eines ungleichen Schuhpaars – mit einem Damen- und einem Herrenschuh. Während der Damenschuh extravagant hergestellte Schuhe in zum Teil limitierten Exemplaren enthält, erzählt der Herrenschuh berühmte Schuhgeschichte(n). Michael Faber, einer der Gründer, verband mit dieser Gestaltungsidee seine eigene Affinität zu Schuhen mit dem Grundgedanken des Verlages, Bücher zu produzieren, die sich von der Masse abheben.

Solche einfach schön anzusehenden Objekte passen auf den ersten Blick scheinbar nicht in eine Spezialbibliothek mit dem Schwerpunkt deutsche Geschichte. Dennoch gibt es viele Argumente sie anzuschaffen. Um eine Erwerbung von solchen Objekten zu begründen, werden in der DHM-Bibliothek Überlegungen auf bibliothekarischer und musealer Ebene angestellt.

Bibliothekarisch gesehen, sollte ein für den Ankauf vorgesehenes Buch zunächst thematisch in den Sammlungsbestand passen. Dies ist bei dem Schuhbuch insofern gegeben, da die DHM-Bibliothek neben den bereits genannten Bereichen Literatur für die Arbeit in anderen Abteilungen des Hauses sammelt, so u.a. auch für den Fachbereich Alltagskultur: Zivile Kleidung und Textilien – Politik – Religiosa – Abzeichen. Diese sammelt neben Kleidung und modischen Accessoires natürlich ausgewähltes Schuhwerk. Da viele dieser Objekte aus Übernahmen und Schenkungen von Privatpersonen stammen, ist heute noch nachvollziehbar, wer, wann und zu welchem Anlass ein besonderes Kleidungsstück, so auch ein bestimmtes Paar Schuhe getragen hat. Dies ermöglicht zum einen Besucher*innen des Museums in Ausstellungen anhand von Mode Geschichte durch Geschichten zu vermitteln. Zum anderen stellt solch erläuternde und begleitende Literatur auch für Mitarbeiter*innen eine Hilfe dar, wenn sie in ihrem Arbeitsalltag modische Objekte museal dokumentieren.

Ein anderes Kriterium beim Bestandsaufbau in einer Museumsbibliothek, das bei Neuerwerbungen zu erfüllen ist, ist die der Aussagekraft des Buches als Ausstellungsobjekt. Als das nationale Geschichtsmuseum ist das DHM bemüht, neben Quellen vergangener Geschichte aus allen erdenklichen Sparten, vermehrt auch zeitgenössische Erwerbungen zu tätigen, die in der Zukunft dann als historische Zeitzeugen die aktuelle politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Gegenwart belegen können. Das Schuhbuch leistet dazu seinen Beitrag, wenn es durch seine optische Präsenz ein Vertreter der Buchgattung Künstlerbücher ist und damit ein Zeugnis der „differenzierten Erscheinungsformen“ in der neuzeitlichen Buch- und Medienwissenschaft. Zudem ist das Schuhbuch ein perfektes Beispiel für ein Objekt, das neben dem „Gebrauchswert“, repräsentiert durch das über den Inhalt vermittelte Wissen, auch einen sogenannten „Sammlungswert“, gemessen an der „Ästhetik“ und „Exemplar-Individualisierung“, besitzt. Des Weiteren sind an dieser Publikation auch materialwissenschaftliche Themen sowie Herstellungsverfahren in der Buch- und Kunstproduktion ablesbar. Nicht zuletzt steht das Schuhbuch für die sich immer noch stetig im Wandel befindliche „kulturelle Relevanz“4 von Büchern und damit für ihre Bedeutung in der menschlichen Gesellschaft. Denn diese werden schon seit geraumer Zeit nicht mehr nur als Träger von Informationen hergestellt, von denen man nur profitiert, wenn man sie gelesen hat.

Der Schuh ist als Gegenstand fest verankert in den Sammlungen des Deutschen Historischen Museums. Es verwundert daher nicht, dass auch die DHM-Bibliothek über die Jahre diesbezüglich vielfältige Publikationen in ihren Bestand aufgenommen hat, zu dem auch das Schuhbuch von Faber & Faber gehört. Wer sich näher mit diesem außergewöhnlichen Objekt oder auch anderen schuhbezogenen Veröffentlichungen beschäftigen möchte, ist herzlich eingeladen während der Öffnungszeiten der DHM-Bibliothek (Mo-Fr 9-15.00 Uhr) die aktuelle Vitrinenausstellung zu besichtigen oder virtuell über den Onlinekatalog (Link) die modische Seite der Bibliothek zu erkunden.


1 Hildebrand-Schat, Viola: Die Kunst schlägt zu Buche, Offenbach: Die Neue Sachlichkeit, 2013, S. 19ff.

2 Vgl. Rehm, Margarete: Lexikon Buch – Bibliothek – Neue Medien, München [u.a.]: K. G. Saur, 1991, S.167

3 Faber & Faber: Über uns (https://www.verlagfaberundfaber.de/ueber-uns/) Letzter Zugriff: 11.10.2023

4 Fabian, Claudia: Der Altbestand in 50 Jahren – ein Versuch zur Zukunft des schriftlichen Kulturerbes, In: Zeitschrift für Bibliothek und Bibliographie, 66.2019,3, S.131ff

 

 

Charlotte Lenz

Charlotte Lenz ist stellvertretende Leiterin der Bibliothek des Deutschen Historischen Museums