Schach dem König – eine Brettspielkassette aus Bernstein
Interview mit Dr. Wolfgang Cortjaens und Dr. Thomas Weißbrich | 14. Februar 2024
„Spielerische Allianzen“ – unter diesem Titel findet am 29. Februar und 1. März 2024 eine interdisziplinäre Tagung am Deutschen Historischen Museum statt. Im Zentrum steht eine 1607 in Königsberg entstandene Brettspielkassette aus Bernstein, die das DHM 2021 erwarb. Als Vorschau auf das vielfältige Vortragsprogramm geben die beiden Konzeptgeber und Organisatoren der Veranstaltung, Dr. Wolfgang Cortjaens, Leiter der Sammlung Angewandte Kunst & Grafik, und Dr. Thomas Weißbrich, Leiter der Sammlung Militaria, auf dem DHM-Blog ein paar Einblicke und schlagen eine Brücke zwischen zwei auf den ersten Blick recht unterschiedlichen Sammlungsbereichen:
Was versteht man unter einer „Brettspielkassette“? Was ist das Besondere?
Im späten 15. Jahrhundert entstand mit dem „Drei-Spiele-Kasten“ eine neuartige Sonderform des Brettspiels. Es war nun möglich, mehrere Spiele (meist Mühle- oder Gänsespiel, Tric Trac/ Backgammon und Schach) sowie die zugehörigen Figuren und/oder Spielsteine in einer verschließbaren Kassette aufzubewahren, die sich gut zum Transportieren eignete. Im Lauf der Zeit wurde die Verarbeitung zunehmend vielseitiger und das Material immer kostbarer. Kulturhistorisch interessant ist das zeitliche Zusammenfallen mit dem Aufschwung der Bernsteinverarbeitung ab den 1560er-Jahren. Bernstein, der durch seine Transparenz und Leuchtkraft fasziniert und dessen Ursprung aus dem Meer seine rätselhafte Aura noch erhöhte, wurde einer der begehrtesten Werkstoffe für Luxuswaren – und eben auch Spielbretter. Neue Schnitttechniken, so die beim Exemplar des DHM in höchster Vollendung angewandte Mikroschnitzerei, und farbige Einlegearbeiten kamen zum Einsatz.
Woher stammt die Kassette?
Eine Drehscheibe des Bernsteinhandels war Königsberg. Herzog Albrecht von Brandenburg als Inhaber des sog. Bernstein-Monopols förderte gezielt die Ansiedlung talentierter Kunsthandwerker und Bernsteindreher im Umfeld seines Hofes, unter ihnen auch der „Hofbernsteindreher“ Hans Klingenberg, der mutmaßliche Hersteller des Berliner Brettspielkastens. Die Neuerwerbung steht in einer Reihe mit nur ganz wenigen Vergleichsstücken ähnlicher Qualität. Zwei der nächstverwandten Referenzobjekte befinden sich in der Hessen Kassel Heritage und im Landesmuseum Württemberg in Stuttgart; beide werden auf der Tagung von den Kustodinnen der Sammlungen ausführlich vorgestellt.
Was ist über die Herkunft der Neuwerbung bekannt?
Das Objekt hat eine ebenso hervorragende wie spannende Provenienz, die bis in die Zeit seiner Entstehung zurückreicht. Wegen der Kostbarkeit und Seltenheit derartiger Luxusobjekte liegt es nahe, in dem Spielbrettkasten ein diplomatisches Geschenk des Herzogtums Preußen an das Haus Stuart zu sehen. Als erster Besitzer wird James I. (1566–1625), König von England und Irland, angenommen; dies ist bisher jedoch nicht durch Quellen belegt. Die erste schriftliche Erwähnung der Kassette findet sich im posthumen Inventar des 1649 hingerichteten Königs Charles I. („A Paire of Tables of White and Yellowe Amber garnished with silver“ mit 13 Figuren). Charles I. schenkte das Brett seinem Ratgeber, dem Lord High Admiral und Lord-Großschatzmeister William Juxon, dem späteren Erzbischof von Canterbury. Über Juxons Erben gelangte der Kasten an die Lords of Hesketh of Rufford Hall – so verzeichnet in einem Inventarbuch von 1855 – und verblieb bis Anfang des 21. Jahrhunderts in Familienbesitz. Von 2008 bis 2010 war er im Victoria & Albert Museum in London ausgestellt, ehe er aus dem Kunsthandel für das DHM erworben werden konnte.
Welche Themen lassen sich mit dem Objekt verknüpfen?
Die Kassette ist als Luxusobjekt par excellence mit dem im 16. Jahrhundert verbreiteten Phänomen der Kunst- und Wunderkammern in Verbindung zu bringen, also repräsentativen, meist fürstlichen Schausammlungen, in denen z.B. kostbare Artefakte, wissenschaftliche Instrumente, Fossilien, Exotika oder Naturalia, wie der kürzlich im Blog vorgestellten Coco de mer oder ein jüngst für die Sammlung Angewandte Kunst erworbenes graviertes Straußenei aus dem frühen 17. Jahrhundert mit Motiven aus der „Neuen Welt“, nach bestimmten Kriterien arrangiert wurden. In den Kunst- und Wunderkammern waren die Kuriosa nur einem ausgewählten Personenkreis zugänglich, sie dienten vorrangig der Repräsentation des Besitzers.
Spielkassetten dieser Art sind eng mit dem Bereich der frühneuzeitlichen Spielkultur verbunden. Dabei war das Schachspiel ein wichtiges, aber bei weitem nicht das einzige Element. Beliebt waren weitere Brett- und Karten- sowie noch andere Gesellschaftsspiele. Der Brettspielkasten des DHM ist aber wohl kaum regelmäßig zum Einsatz gekommen; seine Oberfläche weist kaum Kratz- oder Schleifspuren auf.
Mit der Kassette lassen sich, um einen dritten Zusammenhang zu erwähnen, diplomatische Geschenke in Beziehung setzten: wertvolle Objekte der höfischen Kultur, die der eine Herrscher einem anderen schenkte, um seine Sympathie auszudrücken, um ein Bündnis zu kräftigen oder um in Verbindung mit dem Geschenk eine Bitte vorzutragen.
Warum die Brettspielkassette als Objekt auch aus Sicht der für die Militaria-Sammlung interessant?
Der Bezug zur Militaria-Sammlung, also zu Waffen, Rüstungen, zu Uniformen und Fahnen, ist mittelbar. Das Schachspielen ist schon früh mit dem Thema „Kampf“ und „Krieg“ in Verbindung gebracht worden. Eine Beziehung zum Brettspielkasten des DHM bilden jene Rahmenfelder, die antike Krieger oder den Kriegsgott Mars zeigen (Abb. 1 und 2).
Die Zeit, aus der das Brettspiel stammt, ist von einer großen militärischen Reform geprägt, die von den Niederlanden ausgehend Europa erfasst. Sie ging einher mit neuen strategischen und taktischen Überlegungen über das Aufstellen und Bewegen von Truppen im Feld. Das Schachspiel sollte, sehr allgemein, dazu beitragen, intellektuelle Fähigkeiten wie das Einschätzen von Positionen und Interaktionen sowie von (gefährlichen) Situationen zu schulen. Von unmittelbarer Nutzanwendung kann natürlich keine Rede sein.
Seit den Napoleonischen Kriegen, um 1800, gibt es dann öffentlich verbreitete Grafiken, die Kriege im Bild des Schachspiels veranschaulichen, wobei es sich oft um eine „Schachmatt“-Szene handelt. So soll dem Sieger der Partie gut durchdachtes planerisches Vorgehen zugeschrieben werden, während der Verlierer handlungsunfähig erscheint. Dieses Motiv hat sich etabliert und ist gegenwärtig auch bei der Veranschaulichung aktueller Konflikte zu finden.
Dr. Wolfgang CortjaensWolfgang Cortjaens ist Leiter der Sammlung Angewandte Kunst und Grafik am Deutschen Historischen Museum. |
Dr. Thomas WeißbrichDr. Thomas Weißbrich ist Leiter der Militaria-Sammlung im DHM, die Uniformen, Fahnen, Orden, Ehrenzeichen und Uniformkundliche Graphik umfasst. |