Aus Naturmaterialien Geld machen – Porzellan-Notgeld
Lili Reyels | 13. März 2024
Ein Blick in die Sammlungen des Deutschen Historischen Museums zeigt die große Vielfalt an Objekten, die im Bezug zu verschiedenen Epochen und Themen deutscher Geschichte stehen. Sie erzählen Geschichten von zurückliegenden oder aktuellen Lebenswelten, von berühmten und eher unbekannten Personen und Ereignissen. In unserer neuen Blogserie #Umweltsammeln stellen wir die Vielfalt unserer Sammlungsobjekte zum Themenfeld „Umwelt“ vor. Dabei eröffnen überraschende Fragestellungen der Sammlungsleiter*innen neue Perspektiven auf historische Objekte und oftmals erstaunliche Parallelen zu heutigen Fragestellungen.
Naturmaterialien wie Ton wurden in Krisenzeiten nicht nur für die üblichen Zwecke, also z.B. zur Herstellung von Gefäßen genutzt, sondern mit Erfindungsreichtum auch auf andere Weise verwandt. Zeugnisse dieser anderen Art der Verwendung befinden sich in der Finanz- und wirtschaftsgeschichtlichen Sammlung des Museums, wie die Sammlungsleiterin Dr. Lili Reyels berichtet.
Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam es zu einer Knappheit an Bargeld, weil die Bevölkerung das edelmetallhaltige Kleingeld hortete. Durch die steigende Inflation hatte das Geld seinen Wert verloren, bald war das Silber in einem Markstück mehr wert als die Mark, zu der es geprägt war. Die Reichsbank setzte deshalb ab August 1914 Darlehnskassenscheine und Münzen aus Zink und Eisen in den Umlauf, dennoch ging den Deutschen das Kleingeld aus. Selbst die Auszahlung der Löhne geriet in Gefahr. Der Reichsfinanzminister genehmigte schließlich Ende 1916 die Herstellung lokaler Zahlungsmittel durch Kommunen und größere Betriebe. Gegen Ende des Krieges stieg der Bedarf an Kleingeld noch einmal sprunghaft an. Metalle wie Kupfer oder Nickel wurden für die Rüstungsindustrie gebraucht. So kam die Idee auf, nicht nur aus Papier, sondern sogar aus dem Naturmaterial Ton Notgeld herzustellen.
Als historische Anknüpfungspunkte dienten unter anderem die zahlreichen Medaillen aus Porzellan, die auf dem Vorbild der Medaille aus Metall fußten. Die Idee wurde 1917 erstmals umgesetzt: Es entstand die erste keramische Kleingeldersatzmarke in Deutschland zu 10 Pfennig von der Porzellanfabrik Philipp Rosenthal & Co. in Selb (Nordbayern).
Ihr folgte unter anderem die Porzellanfabrik Pfeffer in der Stadt Gotha, die aus dem sogenannten Pfeffer-Porzellan städtisches Notgeld herstellte. Material und Prägetechnik waren dazu jedoch ungeeignet, die Produktion wurde schließlich eingestellt. Die Stadt Gotha ließ an ihrer Stelle 1921 in der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meißen neue Münzen herstellen. Die Gothaer „Quarzmünze“ im Wert von 50 Pfennig befindet sich in der Sammlung des Deutschen Historischen Museums.
Von den in der Folge entwickelten verschiedenen Münzen aus Feinsteinzeug und Biskuitporzellan erlangte das Notgeld aus Meißen besonders große Bekanntheit. Aus Sachsen wurden für viele Städte und Gemeinden in Deutschland Notgeldmünzen aus „Böttgersteinzeug“ geprägt. Der Münzgraveur und Medailleur an der sächsischen Staatsmünze in Muldenhütten Friedrich Wilhelm Hörnlein schnitt die Stahlstempel zur Münzherstellung nach Entwürfen, die vor allem Emil Paul Börner, Bildhauer und Maler aus Meißen, kreiert hatte.
Steinzeug ist eine gebrannte keramische Masse. Damit der Scherben Steinzeugqualität bekommt, muss die keramische Masse in der Regel bei Temperaturen zwischen 1.200 °C und 1.300 °C gebrannt werden. Sachsen steht besonders in der Tradition der Porzellan- und Steinzeugherstellung und knüpft damit quasi bei der Notgeldherstellung an: 1706 war das „Böttger-Steinzeug“ durch Johann Friedrich Böttger, einem Apotheker und früheren Alchimisten, und Ehrenfried Walther von Tschirnhaus, einem Naturforscher und Leiter der sächsischen kurfürstlichen Laboratorien, entwickelt worden. Bei dem Feinsteinzeug handelte es sich um „rothes Porcelain“ – das höfische Böttgersteinzeug wurde einige wenige Jahre produziert und verwendete eine Mischung aus Rohstoffen aus der Umgebung Dresdens wie Ton, roter Bolus und Eisenoxid. August der Starke hatte durch ein Dekret bestimmt, das alles aus heimischen Rohstoffen zu sein hatte – ein frühes Beispiel von Nachhaltigkeit und Regionalität.
Auch das Porzellan-Notgeld des frühen 20. Jahrhunderts aus Meißen wurde laut Verordnung des Sächsischen Finanzministeriums aus dieser ursprünglichen Zusammensetzung des frühen 18. Jahrhunderts hergestellt. Das Material bot viele Vorteile für den Umlauf als Währung: Es war gegen Wasser unempfindlich und wurde nicht schnell schmutzig, außerdem besaß es eine hohe Bruchfestigkeit. Durch die leichte, schüsselartige Vertiefung in der Mitte der Münzen befand sich der Hauptteil der Masse am Rand und stabilisierte sie; gleichwertige Münzen konnten so aufeinandergelegt und in Rollen für den Transport verpackt werden.
1919 hatte die Staatliche Porzellanmanufaktur Meißen in Sachsen begonnen, die Probemodelle der Münzen zu entwerfen, zu prägen und in separaten Brennöfen zu brennen. Der Direktor der Manufaktur, Max Adolf Pfeiffer, hatte damit Pläne im großen Stil, denn das Finanzministerium des Deutschen Reiches hatte in Erwägung gezogen, flächendeckend staatliches keramisches Notgeld herauszugeben. Eine heftige Diskussion über die Vor- und Nachteile des roten Feinsteinzeugs entbrannte, die letztendlich gegen die Einführung von Keramikgeld als Reichsgeld entschieden wurde. Daher haben die Probemünzen aus dem Jahr 1920 vor allem Sammlerwert – sie wurden bereits kurz nach Erscheinen in entsprechenden Kreisen hoch gehandelt.
Dennoch entschloss sich der Staat Sachsen 1921 als erstes Land, das sogenannte Sachsengeld – die Probestücke der Meißner Manufaktur – als offizielles Porzellan-Notgeld in Umlauf zu bringen. Bis zu einem Gesamtwert von 5 Millionen Mark wurden die Geldersatzzeichen aus braunem Böttgersteinzeug von der staatlichen Finanzhauptkasse ausgegeben, zum Nennwert von 20 Pfennig, 50 Pfennig, einer Mark und zwei Mark.
Hergestellt wurden auch Münzen zu fünf, zehn und 20 Mark. Die Manufaktur Meißen arbeitete zwar direkt im Auftrag des Sächsischen Staates, galt aber nicht als Prägestätte in Sachsen. Als Geldersatz waren schließlich mit Genehmigung aus Berlin nur die Stücke mit der Jahreszahl 1921 zugelassen, ausschließlich aus diesem Jahr war eine Ausgabe der Münzen gültig.
Das auf den Stücken zu fünf, zehn und 20 Mark aufgebrachte Golddekor sollte an die frühere Reichsgoldwährung erinnern; diese Nennwerte waren vor dem Ersten Weltkrieg als Goldstücke im Umlauf. Die Farben wurden nach der Bemalung noch zusätzlich eingebrannt. Neben der obligatorischen Wert-, Jahres- und Herkunftsangabe mit typischen Motiven von Produktionszweigen verwiesen die Schwertzeichen auf jeder Münze auf die Herkunft aus der Meißener Porzellan-Manufaktur.
Sogar internationales Interesse bestand am Meißener Porzellangeld. Als Guatemala in Mittelamerika die Ausgabe neuer Münzen erwog, beauftragte man 1922 Proben für 2-Pesos-Stücke, die von Emil Paul Börner entworfen wurden. Zur Ausgabe gelangten diese Münzen aber nicht.
Am 17. Juli 1922 erfolgte ein staatliches Verbot der Herstellung jeglichen Notgeldes, was allerdings nicht überall befolgt wurde. Man ersetzte die Wertbezeichnungen einfach durch andere Symbole, wie zum Beispiel ein Eichenblatt oder eine Rosette.
Am 1. November 1923 wurde die Rentenmark eingeführt. Damit verschwand schließlich das Notgeld aus Porzellan.
Literatur
Scheuch, Karl: Münzen aus Porzellan und Ton der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen und anderen Keramischen Fabriken des In- und Auslandes, Biebertal 1978, S. 35
Münzen aus Porzellan, in: Das Fenster in der Halle der Kreissparkasse Köln, März 1962
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Dr. Lili ReyelsDr. Lili Reyels ist Leiterin der Sammlung Finanz- und Wirtschaftsgeschichte am Deutschen Historischen Museum. |