Frauen in der Revolution von 1848/49

Daniel Morat | 27. März 2024

Am 27. März 2024 jährt sich die Verabschiedung der ersten gesamtdeutschen Verfassung zum 175. Mal. Was wäre gewesen, wenn der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die ihm von der deutschen Nationalversammlung angetragene Kaiserkrone angenommen hätte? Dieser Frage widmet sich eine Sektion in der Ausstellung „Roads not Taken. Oder: Es hätte auch anders kommen können“. Dort sieht man unter anderem den Stich von Paul Bürde (Abb. 1), der das in der Frankfurter Paulskirche tagende Parlament von 1848 zeigt und auf dem insgesamt 81 Abgeordnete porträtiert sind. Neben den Abgeordneten erkennt man auf den Besuchertribünen auch einige Frauen. Mit deren Rolle in der Revolution von 1848/49 beschäftigt sich in diesem Blogbeitrag Prof. Dr. Daniel Morat, Kurator am Deutschen Historischen Museum für das 19. Jahrhundert in der in Vorbereitung befindlichen neuen Ständigen Ausstellung.

Was wäre gewesen, wenn sich Frauen 1848 nicht mit den Zuschauerplätzen hätten begnügen müssen und ins Parlament hätten gewählt werden können? Diese Frage ist wohl falsch gestellt, denn das passive Wahlrecht für Frauen lag tatsächlich sehr weit außerhalb des politischen Vorstellungsvermögens der meisten Männer und auch Frauen in den 1840er Jahren. Die allgemeine Politisierung der Gesellschaft im sogenannten Vormärz, den Jahren zwischen dem Wiener Kongress 1815 und der Märzrevolution 1848, hatte jedoch auch viele Frauen ergriffen. Obwohl die (von Männern formulierte) Idee der bürgerlichen Gesellschaft eine klare Trennung zwischen der privaten Sphäre der Frauen und der öffentlichen Sphäre der Männer vorsah, wurde diese Trennung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit vielfach aufgebrochen. So konnten sich auch bürgerliche Frauen an der politischen Publizistik im Vormärz beteiligen und in semi-öffentlichen Salons das politische Gespräch organisieren. Schon vor 1848 erstritten sie sich den Zugang auf die Besuchertribünen vieler Landesparlamente.

Abb. 1: Die Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung, Paul Bürde, 1848 (nach) © DHM

In der Paulskirche war die Zulassung von Zuschauerinnen dann wenig kontrovers. Frauen wurden durchaus als Teil der sich hier formierenden Nation wahrgenommen, selbst wenn ihre politische Repräsentation allein durch die Männer erfolgen sollte. Auf der sogenannten Damengalerie fungierten sie als „teilnehmende Beobachterinnen“ (Alexa Geisthövel), unterrichteten Freundinnen, Freunde und Familie per Brief über die Verhandlungen und hielten ihre Beobachtungen in Parlamentstagebüchern fest. Das gilt etwa für die Frankfurter Publizistin Clotilde Koch-Gontard, die zugleich einen wichtigen Salon unterhielt, in dem viele Abgeordnete ein und aus gingen und der so die politische Kommunikation zwischen Parlament und Stadtgesellschaft beförderte.

Während die Aktivität von Frauen in den Parlamenten und politischen Clubs (den Vorformen der heutigen Parteien) auf das Zuschauen und Kommentieren von der Galerie aus beschränkt blieb (Abb. 2), konnten sie auf den Barrikaden auch mitkämpfen. Viele der Revolutionärinnen, deren Namen man heute noch kennt, haben sich durch ihre Beteiligung an den bewaffneten Kämpfen in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben.

Abb. 2: Sitzung des Demokratischen Clubs im Clubhaus in der Leipziger Straße Nr. 48 in Berlin, Robert Kretschmer, Berlin 1848 © DHM

Das gilt für Emma Herwegh und Amalie Struve in Baden ebenso wie für Lucie Lenz, die beim Zeughaussturm im Juni 1848 in Berlin dabei war. Oder für Henriette Zobel, die in Frankfurt für schuldig befunden wurde, den preußischen General Hans von Auerswald beim Barrikadenkampf mit ihrem Regenschirm erstochen zu haben. (Der Regenschirm wird heute im Historischen Museum Frankfurt ausgestellt.) Das Dienstmädchen Pauline Wunderlich erlangte traurige Bekanntheit, weil sie in einem Aufsehen erregenden Prozess für ihre Beteiligung am Maiaufstand 1849 in Dresden zu lebenslanger Zuchthaushaft verurteilt wurde. Ob sie es ist, die auf dieser Bilderzeitung aus Dresden (Abb. 3) unten rechts verewigt wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Das Bild der Barrikadenkämpferin übt jedoch noch heute eine gewisse Faszination aus, gerade weil es den im 19. Jahrhundert etablierten Geschlechterzuschreibungen widerspricht.

Abb. 3: Dresdens erste Maitage, 1849, Bilderzeitung, Ludwig Schmidt, Dresden 1849 © DHM

Die Frauen auf den Barrikaden stellten allerdings die Ausnahme dar. Es ist in der Forschung wiederholt darauf hingewiesen worden, dass Parlamente und Barrikaden primär männliche Orte waren und dass eine Fokussierung auf diese Orte bei der Beschäftigung mit der Revolution von 1848/49 die Frauen systematisch aus dem Blick bzw. an den Rand geraten lässt. Wendet man sich jedoch allgemeiner den Reformbemühungen der Zeit zu, etwa auf dem Feld der Erziehung und der Bildung, begegnet man einer Vielzahl politisch engagierter Frauen, die das Freiheitsversprechen der Revolution auch für sich und ihre Geschlechtsgenossinnen in Anspruch nehmen wollten. Zu den bekanntesten unter ihnen gehört Louise Otto (ab 1858 Otto-Peters). Die aus Meißen stammende Publizistin war schon vor 1848 mit dem demokratischen Politiker und Publizisten Robert Blum im engen Austausch (Abb. 4), in dessen „Sächsischen Vaterlandsblättern“ sie bereits 1843 feststellte: „Die Teilnahme der Frauen an den Interessen des Staates ist nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht“.1 1848/49 setzte sie sich dann auf vielfältige Weise für die Verbesserung der Stellung der Frauen ein, vor allen Dingen was ihr Recht auf Bildung und auf freie Erwerbstätigkeit anbelangte.

Abb 4: Im November 1847 sandte Robert Blum ein Exemplar der Staatszeitung an Louise Otto mit einem persönlichen Gruß. Nota von Robert Blum an Louise Otto, 01.11.1847 © DHM

Im Zuge der Revolution von 1848/49 wurde einer wachsenden Anzahl von Frauen bewusst, dass das politische Freiheitsversprechen nur unzureichend eingelöst wird, wenn es ausschließlich den Männern zugutekommt, ja dass dann eine Hälfte des Menschengeschlechts, wie Louise Otto es ausdrückte, in Knechtschaft belassen werde. Die Enttäuschung darüber, dass es nur sehr wenige Männer waren, denen das ebenfalls bewusst wurde, veranlasste Louise Otto und andere dazu, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, eigene Vereine zu gründen und eigene Zeitschriften herauszugeben. Selbst wenn nach dem Ende der Revolution 1849 viele davon wieder eingingen oder verboten wurden und selbst wenn der Allgemeine Deutsche Frauenverein erst 1865 gegründet wurde, lässt sich der eigentliche Beginn der organisierten Frauenbewegung in Deutschland auf die Revolution von 1848/49 zurückführen.


Literatur

Birgit Bublies-Godau/Kerstin Wolff (Hg.), „Wohlauf denn, meine Schwestern“! Die 1848/49er Revolution und ihre Geschlechterverhältnisse (Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte, Bd. 79), Kassel 2023.

Alexa Geisthövel, Teilnehmende Beobachtung. Briefe von der Damengalerie der Paulskirche 1848, in: Jürgen Herres/Manfred Neuhaus (Hg.), Politische Netzwerke durch Briefkommunikation. Briefkultur der politischen Oppositionsbewegungen und frühen Arbeiterbewegungen im 19. Jahrhundert, Berlin 2002, S. 303-333.

Stadt Frankfurt – Frauenreferat (Hg.), Revolutionär:innen. Ausstellungskatalog, Frankfurt am Main 2023.

Henning Türk, „Ich gehe täglich in die Sitzungen und kann die Politik nicht lassen“. Frauen als Parlamentszuschauerinnen und ihre Wahrnehmung in der politischen Öffentlichkeit der Märzrevolution 1848/49, in: Geschichte und Gesellschaft 43 (2017) 4, S. 497-525.

Vormärz und Revolution auf LeMO


  1. Zit. n. https://www.dhm.de/lemo/biografie/louise-peters-otto [14.3.2023]. ↩︎

Prof. Dr. Daniel Morat

Prof. Dr. Daniel Morat ist wissenschaftlicher Mitarbeiter  in der Abteilung Sammlungen im Team für die neue Ständige Ausstellung. Er lehrt außerdem neuere und neueste Geschichte an der Freien Universität Berlin.