Eine erstaunliche Form von Gegenöffentlichkeit
Um-Welt-Plakate aus der DDR von Manfred Butzmann und Martin Hoffmann
Matthias Struch | 17. April 2024
Ein Blick in die Sammlungen des Deutschen Historischen Museums zeigt die große Vielfalt an Objekten, die im Bezug zu verschiedenen Epochen und Themen deutscher Geschichte stehen. Sie erzählen Geschichten von zurückliegenden oder aktuellen Lebenswelten, von berühmten und eher unbekannten Personen und Ereignissen. In unserer neuen Blogserie #Umweltsammeln stellen wir die Vielfalt unserer Sammlungsobjekte zum Themenfeld „Umwelt“ vor. Dabei eröffnen überraschende Fragestellungen der Sammlungsleiter*innen neue Perspektiven auf historische Objekte und oftmals erstaunliche Parallelen zu heutigen Fragestellungen.
Umwelt lässt sich nicht nur im ökologischen Sinne verstehen, sondern auch in einer politischen und sozialen Dimension. Dieser Erweiterung des Wortsinns im Rahmen der Auseinandersetzung mit vordergründig ökologischen Themen widmet sich Matthias Struch, Leiter der Plakatsammlung, in der Betrachtung von besonderer Gebrauchsgrafik in der DDR.
In der Plakatsammlung des DHM finden sich zahlreiche Arbeiten von Manfred Butzmann (Jg. 1942) und Martin Hoffmann (Jg. 1948), die sich seit den 1970er-Jahren künstlerisch mit dem Thema Umwelt und ihrer Bedrohung und Zerstörung auseinandergesetzt haben. Ökologische Fragestellungen wurden darin zumeist auch in ihrer gesellschaftspolitischen oder soziologischen Dimension gesehen. Vor dem DDR-Hintergrund erscheinen sowohl Medium als auch Themensetzung, aber auch Produktion und Veröffentlichung mehr als ungewöhnlich.
Bei Martin Hoffmann fing es mit dem Wasser an. 1974 bewarb sich der angehende Maler und Grafiker mit zwei Entwürfen beim Plakatwettbewerb zum Thema „Wasser“ im Rahmen der Internationalen Plakatbiennale Warschau, der wohl wichtigsten weltweiten Ausstellung für das zeitgenössische Plakat. Aufgewachsen in Halle (Saale), hatte Hoffmann die zunehmende, massive Verschmutzung der Saale durch die Industrie miterlebt, und auch, wie diese zu einem wichtigen Thema in der Stadt wurde. Ein Entwurf des jungen Künstlers wurde ausgewählt und war in der Ausstellung in Warschau zu sehen; gedruckt wurde das Plakat jedoch nie. Die Themen Ökologie und Umwelt, auch im weiteren Sinn, sollten Hoffmann fortan nicht mehr verlassen.
Einen weiteren, ebenfalls in Warschau eingereichten Entwurf konnte er 1982 drucken lassen. „Die Pest“ ließ an plakativer Deutlichkeit nichts vermissen. Dazu Synästhesie für Eingeweihte: Wer einmal das Starten eines Trabis gehört, gesehen, gerochen hat, wird diese Erfahrung beim Anblick des Plakates abrufen können, bis hin zum Zittern des Auspuffs.
Angeregt durch seinen Künstlerfreund Manfred Butzmann hatte sich Martin Hoffmann etwa ab 1980 neben überwiegend künstlerisch-grafischen Arbeiten verstärkt dem Plakat zugewandt, das in der DDR eigentlich unter der Bezeichnung Gebrauchsgrafik firmierte. Doch Butzmann, Zeichner, Maler und Grafiker in Berlin, hatte dieser Funktionsbeschreibung durch seine Plakate ab Mitte der 1970er eine neue Deutung hinzugefügt. Angesichts der auf vielen Ebenen zunehmend erkennbaren Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit war die Notwendigkeit von Kommentierung und Kritik offenkundig, wenn auch in der DDR – außer im Sinne der offiziell vorgegebenen Doktrin – kaum opportun. Dringend gebraucht wurden sie, auch in Form künstlerischer Gebrauchsgrafik.
Bei Klaus Staeck hatte Butzmann die Möglichkeiten, auch in den 1970ern mit Plakatkunst gesellschaftspolitisch Relevantes anzusprechen, gesehen. Und so wie Staeck-Plakate einen besonderen Stil erkennen ließen, hat auch Butzmann einen eigenen Code entwickelt, der vom Publikum verstanden und goutiert wurde: Meist wurde eine kurze verbale Ansprache mit einer Reihe von Fotografien als visuelle zweite Ebene verbunden. Die enthaltene Kritik musste mehr und minder durch Entschlüsselung freigelegt werden – ein in der DDR mit großer Kreativität praktiziertes Verfahren wie auch das Zwischen-den-Zeilen-Lesen oder die Annahme der „Offenheit in der Deutung“.
Nicht selten waren es vermeintlich kleinere Themen und Sujets, die Butzmann und etwas später auch Hoffmann in ihren Plakaten aufgriffen, Dinge und Beobachtungen aus der unmittelbaren Umwelt. Stadträume, Müllplätze und Bäume, Fahrräder und Autos. Doch wie häufig spiegelt sich im Einzelnen das Ganze wieder, wird die Dimension des Großen auch im Kleinen erkennbar. In einer Gesellschaft, in der per ideologischem Postulat der Mensch im Mittelpunkt stand, konnte man deren Umgang mit ihm ernst nehmen und daran messen, aber auch umgekehrt, das Agieren des Menschen in der Gesellschaft, seinen Umgang mit seiner Um-Welt.
Dieser Umgang war und ist immer auch ein Hinweis auf den Zustand und die Verfasstheit einer Gesellschaft, ein Gradmesser für die Wahrnehmung von Verantwortung und Bewusstsein. So erweitert sich bei vordergründigem Blick auf ökologische Aspekte die Perspektive zwangsläufig. Umwelt wird vor diesem Hintergrund universell, ihr Schutz existentiell. In einer Gesellschaft, in der Kritik an den Verhältnissen im öffentlichen Diskurs in der Regel nur bezogen auf die Gegenseite(n) erlaubt gewesen war, stellten die Plakate von Butzmann und Hoffmann eine Form von Gegenöffentlichkeit her und lieferten damit nicht nur in ästhetischer Hinsicht Subversion.
Martin Hoffmann wird nach dem Reaktorunfall im sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl nahe der ukrainischen Stadt Prypjat am 26. April 1986 und der offiziellen DDR-Propaganda wesentlich direkter und konkreter werden. Ein Jahr später gestaltete er den Umschlag für Christa Wolfs Erzählung „Störfall. Nachrichten eines Tages“ (Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar (DDR)), einer literarischen Betrachtung der Nuklearkatastrophe.
Eine Besonderheit und im Plakatbereich eher ungewöhnlich: Butzmann wie auch Hoffmann führten ihre Arbeiten in eigenem Auftrag aus. Selbstermächtigt zur Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs. Eine Form von Selbstverständnis und Selbstbewusstsein, die sie auch in anderen Zusammenhängen vertraten, nicht nur als Künstler, So war Martin Hoffmann 1981 einer der Mitbegründer*innen des Pankower Friedenskreises, einer unter dem Dach der Evangelischen Kirche agierenden oppositionellen Gruppe, die zur Friedens- und Umweltbewegung der DDR gehörte. Butzmanns Interventionen wiederum reichten von eigenständigen Pflanzaktionen (auch diese werden im Plakat festgehalten) bis zu konkreten Auseinandersetzungen mit der Macht, wenn er z.B. Druck- und Ausstellungsverbote mit Günter Schabowski, zu dieser Zeit Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung von Berlin, direkt zu besprechen versuchte.
Die Sammlungen des DHM beherbergen mit etwa 140 Motiven einen großen Teil des Plakatwerks von Manfred Butzmann von 1973 bis 2000. 2023/24 konnte das Museum mit etwa 70 Plakaten und Plakatentwürfen aus den Jahren 1974 bis 1996 auch das Plakatschaffen von Martin Hoffmann übernehmen. Ganz nebenbei bildet sich damit auch eine Arbeitsbeziehung und Künstlerfreundschaft in der Sammlung ab. Butzmann und Hoffmann hatten nicht nur gemeinsame Ausstellungen bestritten, zahlreiche Künstlergespräche geführt, in denen man „fast immer schon nach 10 Minuten von der Kunst zu allgemeineren, gesellschaftlich relevanten Themen gekommen ist“ (Martin Hoffmann) und ihre Plakate gemeinsam auf Kunstmärkten wie dem jährlichen Grafikmarkt beim Fest an der Panke zum Preis von 5 bis 10 Mark verkauft.
Auch unter einem anderen DDR-spezifischem Aspekt sind die Plakate von Interesse, stehen sie doch für eine sehr kleine, aber wichtige Nische im DDR-Plakatschaffen. Der überwiegende Teil der Arbeiten von Butzmann und Hoffmann entstand nicht nur im eigenen Auftrag, sondern auch jenseits des offiziellen Druckgenehmigungsverfahrens und entzog sich damit jener Vorzensur, die fast ausnahmslos alle Drucksachen in der DDR durchlaufen mussten. Inhalt, Auflagenhöhe und Verteilung konnten damit nahezu vollständig und umfassend gesteuert werden. Diese Form der Zensur ermöglichte eine umfangreiche, totalitär anmutende Kontrolle nahezu jeglicher Form von drucktechnischer Veröffentlichung. Mitunter jedoch fanden sich Schlupflöcher. Abgesehen von den Wegen und Spielarten des DDR-Untergrunds, entwickelte sich in den 1970er Jahren im Umfeld der Berliner Druckerei Graetz in der Auguststraße eine der wenigen Möglichkeiten, das System von Kontrolle und Zensur ganz offiziell zu umgehen. Hier war dem Drucker Walter Graetz im Zusammenspiel mit Manfred Butzmann eine kreative Interpretation und Ausweitung bestehender Regel- und Kontrollsysteme gelungen. Die Plakate wurden als Künstlerplakate bzw. Originalgrafik bezeichnet, die man dann ohne Genehmigung in einer Auflage von 100 Stück drucken konnte. Nicht selten wurde sich dann bei der Nummerierung verzählt und damit bei der Auflagenhöhe getrickst; manchmal kamen so 500 Exemplare eines Plakates in Umlauf. Dies ermöglichte Freiräume. Zumindest für Künstler*innen, die Mitglied im Verband Bildender Künstler der DDR waren, ergab sich so ein anderer Weg, Plakate zu veröffentlichen und sogar über den Staatlichen Kunsthandel der DDR zu vertreiben. Eine erstaunliche Form von Gegenöffentlichkeit.
Matthias StruchMatthias Struch ist Sammlungsleiter für Plakate und Postkarten am Deutschen Historischen Museum. |