Werkstatttermin. Ein Gespräch zu den Augsburger Monatsbildern
4. September 2024
Die vier großformatigen Gemälde des 16. Jahrhunderts, die sogenannten Augsburger Monatsbilder, sind Highlight-Objekte der Sammlung des DHM. Sie begeisterten in der 2021 abgebauten Dauerausstellung das Publikum und werden auch in der neuen Ständigen Ausstellung im Zeughaus zu sehen sein. Das Monatsbild „Januar – Februar – März“ steht derzeit im Mittelpunkt der Kinderausstellung „Rein ins Gemälde! Eine Zeitreise für Kinder“. Was erzählen uns diese Gemälde über ihre Epoche, inwiefern sind sie historische Quellen ihrer Zeit? Was wissen wir heute aufgrund der umfangreichen Restaurierungsarbeiten über die Bilder? Und welche neuen kulturgeschichtlichen Fragestellungen ergeben sich?
In der Restaurierungswerkstatt des DHM trafen sich Brigitte Reineke, Leiterin Zentrale Dokumentation und Provenienzforschung, Mathias Lang, Fachbereich Konservierung und Restaurierung, sowie Ulinka Rublack, Frühneuzeithistorikerin an der Universität Cambridge, um über die Augsburger Monatsbilder zu sprechen. Das Interview führte Stephanie Neuner, Leiterin des Fachbereichs Ständige Ausstellung. Der Text erschien zuerst in der 6. Ausgabe des Magazins des Deutschen Historischen Museums „Historische Urteilskraft“.
„zusammengerollte Leinwände und Salami“, Ulinka Rublack
Stephanie Neuner: Eines der vier sogenannten Augsburger Monatsbilder liegt vor uns auf dem Boden. Es ist das Monatsbild April, Mai, Juni. Es ist vom alten Keilrahmen abgenommen. Warum?
Mathias Lang: Alle Augsburger Monatsbilder erhalten einen neuen Zierrahmen im Stil der Renaissance für die neue Ständige Ausstellung. Wir denken, dass sie ursprünglich in einem Stadthaus oder Landsitz einer Patrizierfamilie in einer Wandvertäfelung eingebaut waren. Später sind sie wahrscheinlich herausgeschnitten worden, was erklärt, warum die Bilder leicht unterschiedliche Formate haben. Bei ihrer Neuaufspannung wurde die bemalte Leinwand einfach über den Rand des neuen Spannrahmens geknickt. Wir haben uns jetzt für den ungewöhnlichen Schritt entschieden, alle Bilder für die Rahmung auf eine Höhe zu bringen. Dazu werden die Originale mit Zusatzleinwand ergänzt und durch Retusche komplettiert.
Neuner: Verrät uns die Rückseite des Gemäldes etwas über seine Geschichte? Gibt es Aufdrucke oder Beschriftungen?
Brigitte Reineke: Rückseiten können an sich schon etwas über Bilder und ihre Geschichte verraten und im besten Fall auch über ihre Vorbesitzer. Diese Rückseite hier verrät nicht viel. Wer der Auftraggeber war, wissen wir nicht. Wir schauen nicht auf die originale Leinwand, sondern auf die Leinwand einer Doublierung des 19. Jahrhunderts, also eine ergänzte Gemälderückseite. Es gibt Thesen zur Provenienz, wonach sich der Gemäldezyklus im späten 19. Jahrhundert im Besitz der Wittelsbacher befunden hat und in der Mitte des 20. Jahrhunderts in einem Schloss in der Nähe von Regensburg wieder aufgetaucht ist. Die Bilder kamen jedenfalls aus dem Kunsthandel 1990 ans DHM und waren ziemlich viel unterwegs gewesen.
Lang: Als die Bilder im DHM ankamen, waren sie in sehr schlechtem Zustand. Sie waren stark beschädigt und bereits mehrfach überarbeitet und unfachmännisch ausgebessert sowie übermalt worden. Die Oberfläche wurde vermutlich durch eine unsachgemäße Behandlung stark in Mitleidenschaft gezogen, vielleicht mit Scheuersand und einer Wurzelbürste, wohl mit dem Ziel, einen proteinhaltigen Firnis, der stark gebräunt war, abzutragen. Im Laufe der Zeit wurden die großformatigen Werke wahrscheinlich im Zuge von Transporten und Lagerungen geknickt und gefaltet. Das ist heute an Fehlstellen in der Malerei noch erkennbar. Die Nahtlinien in der Mitte zeigen, dass der Malträger aus zwei Stoffbahnen besteht.
Neuner: Die Augsburger Monatsbilder sind auf Leinwand gemalt. Diese Originalleinwand spielt für Sie bei der Datierung der Gemälde eine wichtige Rolle. Warum?
Lang: Wir kennen nördlich der Alpen kaum Malerei auf grundierter Leinwand für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts. Hauptsächlich wurde Holz als Malträger verwendet. Eine Ausnahme sind die großen Orgelflügel aus bemalter Leinwand in der Kirche St. Anna in Augsburg, die Jörg Breu d. Ä. zugeschrieben werden. Außerdem kommt die graue Imprimatur, die in den Augsburger Monatsbildern Verwendung findet, im deutschen Raum erst Ende des 16. Jahrhunderts auf. Dies lässt die Überlegung zu, dass die Gemälde in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden sind.
Neuner: Dennoch finden wir schon früher im 16. Jahrhundert Malerei auf Leinwand, auch gerade mit Bezug zur patrizischen Lebenswelt, richtig?
Ulinka Rublack: Insbesondere für ephemere und repräsentative Bilder, die nicht unbedingt lange haltbar sein sollten, wurde Leinwand verwendet, zum Beispiel für Darstellungen von Festzügen oder Turnieren. Auch Lucas Cranach d. Ä. malte bekanntlich auf Leinwand. Deswegen kommt mir die These etwas zu verabsolutierend vor, dass in der ersten Hälfe des 16. Jahrhunderts nördlich der Alpen kaum auf Leinwand gemalt worden sein soll.
Lang: Natürlich wurde ausgehend von der sogenannten Tüchleinmalerei Leinwand schon früher genutzt, aber hier wurde die Leinwand nicht grundiert. In der wissenschaftlichen Untersuchung von Gemälden verbinden wir beispielsweise Beobachtungen zur Maltechnik mit verwendeten Materialien, die für eine Datierung richtungsweisend sein können. So finden wir in den Augsburger Monatsbildern Reste spätgotischer Maltechnik, gleichzeitig sehen wir aber eine schnelle und „wirtschaftliche“ Ausführung, die für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts ungewöhnlich ist und eher zum Ende des 16. Jahrhunderts einsetzt.
Neuner: Die Reichsstadt Augsburg gilt als bedeutende Kunststadt der Renaissance. Wie fanden bedeutende Kunstwerke und Künstler aus anderen europäischen Ländern ihren Weg nach Augsburg?
Rublack: Durch die Reichstage war Augsburg eine internationale Stadt. Tizian malte hier 1548 das bekannte Portrait von Karl V. auf Leinwand. Ich habe mich außerdem mit Hans Fugger beschäftigt – er starb 1598 –, und er bekam beispielsweise Lieferungen seiner Agenten aus Venedig, zusammengerollte Leinwände mit flämischer Malerei, zusammen mit anderen Dingen wie Salami.
„absolute Gier nach neuen Farben“, Ulinka Rublack
Neuner: Es sind vor allem die vielen Einzelszenen in den Monatsbildern, die uns fesseln. Etliche Details haben Sie rekonstruiert. Wie sind Sie vorgegangen?
Lang: Für das Bildverständnis haben wir anhand der Scheibenrisse von Breu und zeitgenössischen Darstellungen relevante Motive, die nur noch rudimentär erhalten waren, rekonstruiert. So zum Beispiel den nur in Teilen vorhandenen Vogel auf dem Arm eines Falkners oder einen Mann mit einer der ersten Handfeuerwaffen am Rande eines künstlichen Sees. Auch seine Darstellung wies nur noch stark beschädigte Reste der Figur auf. Das Zündfeuer war als winziger roter Punkt erhalten, daneben gab es noch Reste von Weiß. Es handelt sich um den Pulverdampf, der nach der Zündung entsteht – das haben wir gemeinsam mit unserem Sammlungsleiter für Militaria erörtert. Insgesamt sind die Szenen auf allen vier Gemälden von sehr unterschiedlicher Qualität und zeugen von unterschiedlichen Malern einer Werkstatt.
Neuner: Das Bild wird aufgrund dieser zahlreichen einzelnen Figuren und Szenen, die es zu entdecken gilt, als Wimmelbild bezeichnet. Der Begriff suggeriert eine Gleichwertigkeit der Darstellungen und führt damit auf eine falsche Fährte. Denn es gibt ja eine bewusste Bildkomposition, die uns verrät, wer oder was hier im Mittelpunkt stehen soll.
Reineke: Es ist nicht alles gleichrangig dargestellt. Die Bilder wurden auf Augenhöhe präsentiert und es war und ist sicherlich toll und unterhaltsam, all diese Kleinigkeiten zu entdecken. Aber es gibt eine klare Bildkomposition mit einem eindeutigen Vordergrund, einem Mittel- und einem Hintergrund. Die Gemälde knüpfen an die Tradition der Monatsbilder an, die szenische Darstellungen von typischen landwirtschaftlichen Tätigkeiten in den Monaten eines Jahreszyklus zeigen. Im Vordergrund stehen aber natürlich die Patrizierinnen und Patrizier Augsburgs. Sie haben sich hier verewigt.
Neuner: Die Auftraggeber nutzten die tradierte Form der Monatsbilder zur Selbstdarstellung ihrer wirtschaftlichen und politischen Macht. Sind die Monatsbilder als Medien der Repräsentation vergleichbar? Etwa mit dem Kleidungsbüchlein von Matthäus Schwarz, das Sie, Frau Rublack, intensiv beforscht haben, oder auch den bekannten Freundschaftsbüchern, beispielsweise des Kunstagenten Philipp Hainhofer?
Rublack: Das kann man sicher so sehen. Allerdings hatten die Freundschaftsbücher zudem noch den Zweck, gesellschaftliche Netzwerke – und damit wiederum Macht – zu dokumentieren.
Neuner: Die Patrizierinnen und Patrizier dokumentieren hier ihre Macht durch ihre äußere Erscheinung, ihre Kleidung und ihren Schmuck. Die Details sind weit weniger gekonnt ausgeführt als in den Porträts von Lucas Cranach d. Ä. oder Hans Burgkmair d. Ä. Inwiefern spiegeln die Augsburger Bilder dennoch Mode, Materialität und Farbigkeit des 16. Jahrhunderts wider?
Rublack: Neben der Qualität von Stoffen, zum Beispiel Samt als Material für den Sommer oder Pelz für den Winter, ging es auch um das Volumen von Ärmeln und Röcken, das anzeigte, wie viel man sich von diesen teuren Stoffen, die überwiegend Importware waren, leisten konnte. Das lässt sich im Bild deutlich erkennen. Auch die Qualität der Stoffe wird ja angedeutet, die changierende Farbigkeit von Seide kann man erkennen. Was das ganze 16. Jahrhundert bestimmt, ist eine absolute Sensibilität für neue Farbtöne und die Gier danach. Hans Fugger suchte zum Beispiel über dänische Agenten nach neuen Farbtönen. Und wenn man zur gesellschaftlichen Elite gehörte, konnte man immer nachfärben, denn die Färbungen hielten nicht lange. Es kann gut sein, dass das hier dargestellte Grün der völlige Modehit der Zeit war. Genauso wie Rosa – eine absolute Modefarbe für Männer in den ersten Dekaden des 16. Jahrhunderts, die man auch vielfach in Bildern der Zeit sieht. In Dürers Jabach-Altar gibt es zum Beispiel diesen brillantrosa Mantel, den der Maler im Selbstbildnis trägt. Gemeinsam mit einem Färber experimentiere ich aktuell, wie derartige Rosatöne mit Brasilholz gefärbt werden konnten.
Neuner: Wir sehen viel gelb oder gelbgoldene Kleidung. Was denken Sie, warum?
Rublack: Gelb ist in den Bildern vor allem malerisch eingesetzt. Der Blick wird dadurch auch auf die Details im Hintergrund gelenkt. Das heißt nicht, dass die Leute damals kein Gelb trugen, dann wäre die gelbe Kleidung auf den Bildern nicht plausibel. Gelb hing mit Naturphilosophien und Lebensauffassungen zusammen. Es gibt bei Marsilio Ficino, dem zeitgenössischen italienischen Philosophen, die Vorstellung, dass man sich golden anzieht und damit die Energie der Sonne auf sich zieht. Goldfäden waren Bestandteil von Kleidung und Kopfbedeckungen. Geradezu ikonisch geworden ist die Goldhaube von Jakob Fugger, die in den Monatsbildern gut zu erkennen ist.
Neuner: Die Kleidung von Handwerkern oder Marktfrauen auf dem Winterbild besitzt die gleiche Farbigkeit wie die patrizischer Männer und Frauen. Wie stand es mit der Farbigkeit der Mode der Zeit generell, war farbige Kleidung jenseits der Oberschicht gängig?
Rublack: Giovanni Paolo Lomazzo schreibt Ende des 16. Jahrhunderts über die zeitgenössische Malerei, die Bilder würden suggerieren, dass alle Menschen nur noch Seide tragen. Das war natürlich falsch. Hochwertiges Material und aufwändig hergestellte Kleidung waren teuer. Trotzdem gab es auch für weniger reiche Bewohnerinnen und Bewohner der Städte die Möglichkeit, sich farbig zu kleiden und sich über Accessoires wie Gürtel oder Täschchen, die ja auch in diesen Bildern mehrfach dargestellt sind, zu schmücken. Es gab zum Beispiel bunte Seidenbänder, die neben künstlichen Haarteilen in die Zöpfe geflochten wurden. Das war nicht teuer und sah gut aus. Eigentlich würde man eine größere Farbpalette erwarten, die soziale Unterschiede kenntlich macht. Das ist für mich ein Hinweis darauf, dass es sich bei der Darstellung der Monatsbilder wiederum ein Stück weit um ein Fantasiegebilde handelt. Zum anderen ist es positiv zu werten, dass die Bilder durch die Art ihrer Darstellungen und Farbigkeit eine Atmosphäre der Freude schaffen und die Teilnahme aller Menschen an einem gesellschaftlichen Ganzen damit unterstreichen.
„eine moderne Zeit, die Frauen für sich reklamierten“, Ulinka Rublack
Reineke: Auf dem Platz sieht man einen auffälligen Tross an Frauen, die einen Patrizier auf dem Pferd gewissermaßen rahmen. Zwei der Frauen sind schulterfrei, also ohne Leinenhemd, gekleidet. Ganz im Gegensatz dazu scheinen die Frauen in langen Mänteln mit traditioneller Haube zu stehen.
Rublack: Diese Szene sticht tatsächlich völlig heraus. Frauen kleideten sich traditionell hochgeschlossen. Die Darstellung weist im Grunde auf Prostitution hin. Frauen trugen hierzulande Oberhemden, die Schultern und der Hals waren bedeckt, nicht frei wie hier. Oder die Abbildung weist auf ausländische Besucherinnen hin. Im Gegensatz zu Frauen in deutschen Reichsstädten bedeckten Engländerinnen ihr Dekolletee nicht. Als Anna von Kleve als Braut in England ankam und hochgeschlossen angezogen war, fand Heinrich VIII. das ganz unattraktiv. Wie man außerdem in den Monatsbildern generell sieht, wurde es in der Zeit für Frauen üblicher, Haar zu zeigen – auch wenn Haarsichtigkeit gesellschaftlich immer eine gewisse Herausforderung bedeutete. Kopfbedeckungen wurden genderfluide, Frauen übernahmen die Barette der Männer. Wir haben es hier eben schon mit einer modernen Zeit zu tun, die die Frauen für sich reklamierten.
Neuner: Die Augsburger Monatsbilder zeigen gesellschaftliche Idylle. Krieg oder Konflikte um Religion spielen keine Rolle. War die Botschaft der Bilder auch: Wir Patrizier regieren gut, wir haben unsere Konflikte im Griff?
Rublack: Es ist tatsächlich so, dass hier gesellschaftliche Harmonie dargestellt wird. Es gehört zum Bildprogramm, dass keine gesellschaftliche Abgrenzung gezeigt wird: Straßenhändler und Angehörige einfacher Berufe, die spinnen oder mit Holz handeln, werden neben Patriziern und Patrizierinnen im absoluten Vordergrund gezeigt. Es geht hier um eine Vorstellung davon, was Stadt idealerweise sein soll.
Neuner: Die Bilder porträtieren eine goldene Zeit und alles andere als eine krisengeschüttelte Gesellschaft. Auch wenn wir wissen, wie stark idealisiert die Darstellungen sind, ist das Grundgefühl, das sie vermitteln, historisch stimmig? Wurden die Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts trotz der vielfachen Umbrüche von einem positiven Lebensgefühl getragen?
Rublack: Es ist eine Zeit des Aufbruchs, eine der Zukunft zugewandte Zeit für Eliten, die sich mit der Internationalität des kaiserlichen Reiches identifizieren. Es geht nicht nur um die Krise. Die Augsburger Monatsbilder transportieren ein zukunftsgewandtes Lebensgefühl inmitten des reichsstädtischen Alltags.