Von der Idee zur Umsetzung – Interview mit Petra Larass und Stephanie Neuner
12. September 2024
Mit der Ausstellung „Rein ins Gemälde! Eine Zeitreise für Kinder“ zeigt das Deutsche Historische Museum erstmals eine inklusiv gestaltete Ausstellung für Kinder im Grundschulalter. Ausgehend von dem Monatsbild „Januar – Februar – März“, das zu dem berühmten Jahreszeiten-Zyklus der sogenannten „Augsburger Monatsbilder“ aus dem 16. Jahrhundert und zu den bedeutendsten Kunstwerken der Sammlungen des DHM gehört, entfalten sich die Lebenswelten vor 500 Jahren wie eine begehbare 3D-Kulisse. Auf dem Gemälde abgebildete Menschen treten in den Ausstellungsraum und werden zu historischen Erzählfiguren, die zum gemeinsamen Erforschen und Erleben einladen.
In unserer Interviewreihe stellen wir die Personen und Teams vor, die mit ihren Ideen und ihrer Expertise die Ausstellung möglich gemacht haben. In diesem Beitrag sprechen die Kuratorinnen Petra Larass und Stephanie Neuner über die Ausstellung.
„Geschichte macht auch einfach Spaß und man kann so viel entdecken“
Colin, Schüler der Klasse 5c der Grundschule am Tränkegraben Berlin-Lichtenberg und Mitglied des Kinderbeirats der Ausstellung
Sie haben die erste Kinderausstellung für das DHM konzipiert. Wieso sind Kinder eine wichtige Zielgruppe für ein historisches Museum?
Petra Larass: Es sind immer die Kinder von heute, die später als Erwachsene unsere Zukunft gestalten. Keine einfache Aufgabe. Daher sehen wir es als unseren musealen Auftrag, Kindern schon in jungen Jahren spielerisch und forschend einen Zugang zu Geschichte zu ermöglichen. Wir wollen die Kinder damit empowern, eine Haltung zu den komplexen Zusammenhängen der Vergangenheit sowie der Gegenwart zu entwickeln. Als historisches Museum vermitteln wir Geschichte vor allem über historische Objekte. Diese verraten sehr viel über das Leben und Handeln in vergangenen Zeiten. Mit den Worten des 10-jährigen Mika, der Mitglied des Beirats der Kinderausstellung war, auf den Punkt gebracht: „Wir müssen ja wissen, was auf der Welt passiert ist. Das weiß man nicht einfach so, wenn man geboren wird. Und man muss wissen, was gut ist: Was man wieder so machen kann und was man nicht nochmal so machen sollte.“
Wir dürfen bei unserer Arbeit immer wieder miterleben, wie groß die kindliche Freude an dem Eintauchen in vergangene Zeiten ist. Kinder sind neugierig, wollen entdecken und den Dingen auf den Grund gehen. Sie sind genauso fasziniert von historischen Objekten wie Erwachsene und haben eine Menge kritischer Fragen. Und genau das können wir als Museum den Kindern auch mitgeben: Es lohnt sich, Dinge zu hinterfragen. Wir möchten dies nicht nur in dieser ersten Ausstellung für Kinder tun, sondern auch in einer neuen ständigen Ausstellung für Kinder und Familien im Rahmen der neuen Ständigen Ausstellung im Zeughaus, an der wir gerade arbeiten.
Warum haben Sie sich als Thema der Ausstellung für ein Gemälde aus dem Zyklus der Augsburger Monatsbilder entschieden?
Stephanie Neuner: Die Augsburger Monatsbilder sind Highlight-Objekte der Sammlungen und befinden sich seit den letzten Jahren in einem spannenden Restaurierungsprozess. Die Darstellungen der großformatigen Renaissance-Gemälde, die schon in der alten Dauerausstellung das Publikum jeglichen Alters begeistert haben, sind jetzt noch besser erkennbar. Das Augsburger Monatsbild, das wir zeigen, ist neu gerahmt worden, um die historische Rezeptionssituation und Präsentation nachzuvollziehen. Das alles war Grundlage dafür, sich mit neuem Blick dem Gemälde zu widmen.
Petra Larass: Letztlich haben wir uns auch für diese Ausstellungsidee entschieden, weil unser Kinderbeirat „Die klugen Zauberdrachen“, mit dem wir seit drei Jahren eng zusammenarbeiten, sehr begeistert war von dem Augsburger Monatsbild. Das Gemälde ist bei unserer Zielgruppe auf Anhieb sehr gut angekommen.
Was waren die Leitlinien bei der Entwicklung des Konzepts?
Stephanie Neuner: Zunächst haben wir überlegt, wie spannende erzählerische Zugänge zu den historischen Inhalten des Gemäldes aussehen könnten. Wir haben uns für vier Erzählfiguren entschieden, die auf dem Gemälde zu sehen sind und die wir für die Ausstellung aus dem Bild heraussteigen lassen. Diese Erzählfiguren nehmen die jungen Besucher*innen an die Hand und erzählen ihnen ihre Geschichte: Ein Hirte führt ein in das Thema Mensch und Natur, eine reiche Patrizierin begrüßt die Besucher*innen in ihrem Haushalt und führt ein in die Gesellschaft und materielle Kultur der Zeit. Ein junger Mann, der als Kaufmannssohn aus Lissabon auftritt, lädt dazu ein, Handwerk und Handel in Augsburg kennenzulernen. Ein Turnierreiter erzählt von Spiel und Musik der Zeit.
Für uns war es eine spannende Herausforderung, ausgehend vom Gemälde Themen aufzumachen, um damit einen Zugang zu Lebenswelten der Frühen Neuzeit zu schaffen. In unserer Ausstellung wollen wir dabei auch immer anregen, hinter die Fassade dieser auf dem Gemälde dargestellten schönen Welt zu gucken. Wir wollen den kritischen Blick schulen: Schaut genau hin! Überlegt doch mal, meint ihr wirklich, dass alles so friedlich ablief in einer Stadt dieser Zeit? Waren alle Menschen so wohlhabend, gut angezogen und wohl genährt? Was waren die Hintergründe des Reichtums der Reichstadt Augsburg, deren Kaufleute im 16. Jahrhundert bereits weltweit Fernhandel betrieben? Kinder sind kritisch genug, um Schein und Sein recht schnell zu differenzieren, mit Blick auf die Vergangenheit wie auf unsere Gegenwart. Das ist unsere Erfahrung aus unseren Gesprächen mit Kindern vor dem Gemälde.
Die Ausstellung besteht aus zwei Bereichen – einem Ausstellungsraum und einem Werkstattraum. Wie kam es zu dieser Zweiteilung?
Petra Larass: Das Spannende an einem Gemälde sind eigentlich seine zwei Seiten: die prominente Schauseite, aber auch eine für Besuchende gemeinhin unsichtbare Rückseite mit dem von der Leinwand umspannten Keilrahmen. Unsere Kinderausstellung ist dementsprechend zweigeteilt, weil sie sich sowohl mit der Schauseite als auch der Rückseite, nämlich der Geschichte der Bilder sowie ihrer Restaurierung, beschäftigt. Im Werkstattbereich gewähren wir damit Einblicke in die praktische Museumsarbeit. Beide Ausstellungsteile ergänzen sich und werden gleichermaßen von unseren Besucher*innen geschätzt. Der Werkstattbereich fordert die Kreativität der Besucher*innen, die hier partizipativ ein großes Landschaftspanorama mit ihren Ideen bereichern können.
Was unterscheidet eine Kinderausstellung von einer Ausstellung für Erwachsene?
Petra Larass: Zunächst nicht so sehr viel, denn der in „Rein ins Gemälde!“ verfolgte erlebnisorientierte und stimmungsvolle Ansatz ist gleichermaßen für Kinder wie für Erwachsene anregend. Auch partizipative Anlässe, die die Verknüpfung zum eigenen Leben herstellen, erleichtern im Grunde jeder*m den Zugang zu historischen Themen. Der Unterschied ist eher die konsequente Verknüpfung der historischen Objekte mit interaktiven Spielanlässen. Kinder lernen gerne in der Bewegung, im Handeln. Dort wo sie sich körperlich und geistig einbringen können, wird das zu vermittelnde Thema für sie spannend. Daher spielt das Storytelling eine übergeordnete Rolle. In dieser Ausstellung ist es das Eintauchen in die Szenen des Augsburger Monatsbilds: Das Kind steigt durch einen Bilderrahmen in das Gemälde und findet sich plötzlich auf einem zentralen Platz Augsburgs zwischen den Menschen und ihren Dingen vor 500 Jahren wieder. Die Szenographie des Ausstellungsraums greift vier prägnante Architekturformen des Gemäldes auf und macht diese erlebbar: Man kann nun auch hinter die Fassaden schauen und durch die Arkaden wandeln. So können wir Unsichtbares sichtbar machen, in die Tiefe gehen, hinterfragen, auf Missstände hinweisen.
Stephanie Neuner: Ich denke, dass wir mit „Rein ins Gemälde!“ eine Ausstellung anbieten, die gleichermaßen Kinder und Erwachsene ansprechen kann. Aber natürlich ist unser Fokus die Zugänglichkeit der Inhalte und Angebote vor allem für die Altersgruppe der 6- bis 12-Jährigen: Wir schreiben Ausstellungstexte anders, Vitrinen und spielerische Elemente sind so gestaltet, dass Kinder Objekte gut sehen und auf interessante Art und Weise entdecken können, interaktive und inklusive Stationen und Sitzgelegenheiten sind so gestaltet, dass sie für Kinder passen. Wir erfahren gerade während der Laufzeit, dass die Ausstellung mit ihrer spielerischen Präsentation historischer Inhalte und den großartigen Sammlungsobjekten für alle Besucher*innen unabhängig vom Alter interessant ist und Spaß macht. Für uns unterstreicht diese Erfahrung das große Potenzial und die schöne Herausforderung, Ausstellungen für Familien zu entwickeln, in der Kinder und Erwachsene gemeinsam historische Themen erleben und sich für Geschichte begeistern können.
Foto: DHM/Thomas Bruns |
Petra LarassPetra Larass ist Kunsthistorikerin. Als Kuratorin am Deutschen Historischen Museum entwickelt sie im Rahmen der neuen Ständigen Ausstellung den erstmalig vorgesehenen Ausstellungsbereich für Kinder und Familien. |
Foto: DHM/Thomas Bruns |
Stephanie NeunerStephanie Neuner ist Historikerin. Sie leitet den Fachbereich Ständige Ausstellung am Deutschen Historischen Museum. |