An der Sammlung von Wertpapieren lässt sich Geschichte ablesen

Lili Reyels | 8. Januar 2025

Im Rahmen der Blogserie zur Arbeit der Sammlungen im Deutschen Historischen Museum geht es um zentrale Punkte wie den Entscheidungen für oder gegen die Aufnahme von Objekten, um die unterschiedlichen Wege der Zugänge, die sich ändernden Forschungsfragen an die Sammlungen, an die Erforschung der Herkunft der Objekte und viele weitere Aspekte.

Wie und warum kommt es eigentlich zu einem umfangreichen und fortlaufenden Schenkungs- und Kooperationsvertrag zwischen einer Institution des Bundes und dem Deutschen Historischen Museum? Dieser Frage geht Dr. Lili Reyels, die bis Ende 2024 die Sammlung Finanz- und Wirtschaftsgeschichte geleitet hat, am Beispiel eines der spektakulärsten existierenden Bestände an historischen Wertpapieren, dem sogenannten „Reichsbankschatz“, nach.

Was ist der „Reichsbankschatz“ und wie kam er zustande?

Dass sich gegen Ende des Zweiten Weltkrieges bereits der überwiegende Teil der deutschen Wertpapiere in Berlin-Mitte befand, lag an einer Anordnung des Reichsministers der Finanzen von 1942, nach der sämtliche im Deutschen Reich anfallenden Wertpapiere an die Deutsche Reichsbank bzw. an die Preußische Staatsbank abzuliefern waren. In den Berliner Tresoren hatten die Wertpapiere die Luftangriffe überdauert, bis Ende April 1945 die Bankinstitute im Stadtzentrum Berlins unter sowjetische Besatzung kamen. Nachdem am 28. April den Banken jedwede Geschäftstätigkeit vom Chef der Besatzung der Stadt Berlin untersagt worden war, verfügte im August 1945 die Alliierte Kommandantur, dass auch alle Organisationen und privaten Personen im Gebiet von Groß-Berlin die ausländischen Wertpapiere der Berliner Stadtbank, ebenfalls Berlin-Mitte ansässig, zu übergeben hätten. So befanden sich bei Gründung der DDR 1949 nicht nur die riesigen Bestände der Reichsbank und der Preußischen Staatsbank, sondern fast alle erreichbaren Wertpapiere in Berlin im Ostteil der Stadt. Dieser Bestand an historischen Wertpapieren – der „Reichsbankschatz“ – umfasste ursprünglich mehr als 25 Millionen Wertpapiere aus Deutschland und etwa fünf bis zehn Millionen ausländische Wertpapiere.

Warum ist der Bestand so interessant für das DHM?

Diese Wertpapiere stellen einen großen Teil des Anlagevermögens der deutschen Bevölkerung aus der Zeit vor 1945 dar, gewissermaßen wie in einer Zeitkapsel die Investition der Zeitgenossen in die vergangene Zukunft ihrer Zeit. So hat sich neben der Industrialisierung des Kaiserreichs und der Inflationszeit auch die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten im Bestand erhalten, beispielsweise sind „Arisierungen“ im Bereich der Namenspapiere ebenso nachzuvollziehen wie die wirtschaftliche Ausbeutung der besetzten Länder und Territorien während des Zweiten Weltkrieges. Neben der gewaltigen „Wirtschaftsmasse“ ist der Wertpapierbestand auch ikonografisch interessant, er enthält beispielsweise Nationalallegorien, Abbildungen historischer Geschäftspraktiken und Hinweise zu Unternehmensgeschichten. Unsere Kenntnisse der Wertpapieremissionen haben sich erheblich erweitert, insbesondere hinsichtlich der Zeit von 1930 bis1945[1]. Erkenntnisperspektiven ergeben sich auch für die Erforschung der Arbeit der DDR-Ministerien. 1951 gingen sämtliche Tresore in Ost-Berlin auf die Tresorverwaltung des Ministeriums der Finanzen über. 1969 übernahm das Amt für den Rechtsschutz des Vermögens der DDR die Verwaltung des Bestandes und begann mit der schrittweisen Erschließung. Ab Anfang der 1980er Jahre entdeckte die KoKo, der Bereich „Kommerzielle Koordinierung“ im Ministerium für Außenhandel, die historischen Wertpapiere aus dem Reichsbankschatz als Quelle zur Beschaffung von Devisen. Bis 1989 gelangten etliche Wertpapiere in Privatbesitz. Ein geplanter Verkauf großer Teile durch den Leiter der KoKo, Alexander Schalck-Golodkowski, kam nicht mehr zustande. Aber auch, was danach folgte, ist ein Stück deutsche Geschichte.

Ehemaliger Reichsbanktresor nach Öffnung © Bernd Settnik/ dpa

Denn nach der Wiedervereinigung bemühte sich das neu gegründete Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (BARoV, heute BADV= Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen) darum, die Wertpapiere ihren ursprünglichen Eigentümern zuzuführen. Ca 10.000 Papiere wurden den eingegangenen Anträgen entsprechend herausgegeben. Für die nicht von Inhabern beanspruchten Wertpapiere erhielt das BADV das Verwertungsrecht. Im Fall der Veräußerung historischer Wertpapiere ist vorgesehen, dass der Bund den Erlös zur Wiedergutmachung von NS-Unrecht und Vermögensschäden der DDR verwendet und diesen dem Entschädigungsfonds zuführt. Seit 2003 kam es zur Versteigerung der Wertpapiere in mehreren Schüben.[2]

Wie kommt eine Querschnittsammlung des „Reichsbankschatzes“ ins DHM?

Inzwischen sind die Rechtsverhältnisse an den Aktien und Anleihen zum Großteil geklärt und die meisten Aktien haben ihre Gültigkeit verloren – sind also Nonvaleurs geworden. Neben dem gesetzgeberischen Auftrag, die Wertpapiere zu verwerten, ist Teil des Konzepts des Bundes für die Sammlung, das Wissen um die Wertpapierbestände für die Zukunft zu erhalten und Einzelstücke der Öffentlichkeit zu präsentieren. In diesem Zusammenhang hat das BADV mit dem DHM eine Vereinbarung abgeschlossen, im DHM eine Querschnittsammlung zu errichten. Sowohl das Museum für Deutsche Geschichte (MfDG) der DDR als auch das DHM sammelte bereits vor 1990 historische Wertpapiere als Zeugnisse der industriellen und politischen Geschichte – soweit sie überhaupt am Markt waren. Nachdem bekannt wurde, dass das BADV die Wertpapiere aus der Sammelverwahrung der ehemaligen Deutschen Reichsbank übernommen hatte, hatte sich das DHM bereits darum bemüht, eine Querschnittsammlung unentgeltlich für das Haus zu sichern. Ein erster Teilbestand wurde als Eigentumsübertragung 2013 übernommen, seither kommen regelmäßig neue Objekte hinzu, die sukzessive von den Kolleginnen und Kollegen des BADV abgesammelt und vorbereitet, von der Sammlungsleitung Finanz- und Wirtschaftsgeschichte des DHM ausgewählt und in die Sammlung übernommen werden. Insofern sprechen wir nun nicht mehr von einem Bestand, also einer mehr oder weniger zufällig zusammengekommenen Masse an Wertpapieren, es handelt sich vielmehr um eine Sammlung, die nunmehr gezielt und ausgewählt zusammengestellt wurde, um diese Dimension der deutschen Geschichte abzubilden.

Interessante Beispiele in der Sammlung Finanz- und Wirtschaftsgeschichte

An der Sammlung von Wertpapieren lässt sich Geschichte direkt ablesen. So ist die gezeigte unverzinsliche Schatzanweisung des Deutschen Reiches von 1943 ein Beispiel für die Indienstnahme von Reichsbank und Schuldenverwaltung im Dienst der Kriegswirtschaft. Seitdem die Reichsbank ab 1939 direkt Adolf Hitler unterstand, konnte dieser damit selbst Kredite auf das Deutsche Reich gewähren.

Inv.Nr. N 2018/367: Unverzinsliche Schatzanweisung des Deutschen Reiches, 1943 © DHM

Eine der wenigen direkten Belegstellen für „Arisierungen“ im Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften ist die Aktie der Becker-Werke AG. Ursprünglich 1883 als Handschuhfabrik gegründet, wurde im Jahr 1924 das Unternehmen OHG Eduard Becker Söhne daraus, welches wiederum im Mai 1927 in die Eduard Becker Söhne AG überführt wurde. Neben den beiden Brüdern Karl und Arthur Becker gehörte unter anderem der Rechtsanwalt Dr. Arthur Weiner dem Aufsichtsrat an. Nach dessen Ermordung wanderten Karl und Arthur Becker im September 1933 nach Holland aus. Im Lauf der nächsten Jahre erfolgte der Ausschluss der ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Fritz Kirsch und des Prokuristen Otto Wolfsheimer aus der Firma. Am 10. Juni 1938 wurde das Unternehmen in Becker-Werke AG umbenannt.

Inv.Nr. N 213/8207: Aktie der Becker-Werke AG, 1941 © DHM

Bei der französischen Staatskasse hatten die Reparationen aus dem Ersten Weltkrieg Elsass-Lothringen betreffend am 20. Dezember 1940 fällig sein sollen, eine deutsche Notiz vermerkt allerdings, dass das Stück „zurzeit nicht eingelöst werden [kann]“ – „sämtliche Zahlungen aus Frankreich [seien] gesperrt“ – ein Effekt deutschen Besatzung in Frankreich seit Sommer 1940, der zur Folge hatte, dass die französische Wirtschaft und die Staatsfinanzen in den Dienst des Deutschen Reiches gestellt wurden.

Inv.Nr.n N 2024/56.1: Rèpublique française, Trésor Public, Aktie, 716 Francs, 1925 © DHM
Inv.Nr.n N 2024/56.2: Zusatzschreiben zur Aktie Rèpublique française, Trésor Public, Aktie, 716 Francs, 1941 © DHM

[1] Vgl. Christian Stoess: Der Reichsbankschatz, in: Vorträge zur Geldgeschichte im Geldmuseum 2, Frankfurt a. M. 2005, S. 55-75. 

[2] Constanze Budde-Hermann: Der Reichsbankschatz. Das Schicksal der Reichsbank. Wertpapierbereinigung und Perspektiven der Sammlung, in: Archiv und Wirtschaft, 53, Jg. 2020, Sonderheft, S. 50-56.

Dr. Lili Reyels

Dr. Lili Reyels ist ehemalige Sammlungsleiterin Finanz- und Wirtschaftsgeschichte am Deutschen Historischen Museum.