
Chauvinismus im Schafspelz. Ein Blick auf die Frauen der Aufklärung und wie sie uns bis heute prägen
Harriet Merrow | 6. März 2025
Mit der Aufklärung verbinden wir die Forderung nach Gleichheit und Emanzipation. Doch galt das auch für Frauen? Die Antwort auf diese Frage ist zwiespältig: auf der einen Seite ein sich aufgeklärt gebender Chauvinismus, auf der anderen Seite starke Frauen, die sich dennoch ihren Platz in der Gesellschaft erkämpften. Harriet Merrow, Projektassistentin der Ausstellung „Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert“, blickt anlässlich des Weltfrauentages 2025 auf die verschiedenen Rollen der Frau in dieser Epoche.
Die Frage „Was ist Aufklärung?“ stammt aus einer Fußnote eines kritischen Beitrags über die Zivilehe in der Berlinischen Monatsschrift vom Dezember 1783. Gestellt hatte sie der konservative Theologe Johann Friedrich Zöllner (1753–1804). In seinem Aufsatz „Ist es rathsam, das Ehebündniß nicht ferner durch die Religion zu sanciren?“ warnt der Pfarrer vor dem drohenden Verfall der Sitten, sollte die Ehe zweier Heiratswilligen nicht mehr religiös (sondern nur noch zivilrechtlich) geschlossen werden und fragt in einer Fußnote: „Was ist Aufklärung? Diese Frage, die beinahe so wichtig ist, als: was ist Wahrheit, sollte doch wo[h]l beantwortet werden, ehe man aufzuklären anfinge! Und noch habe ich sie nirgends beantwortet gefunden!“
Der Vorstoß, die Zivilehe einzuführen, hatte zum größten Teil mit dem aufklärerischen Ideal der religiösen Toleranz zu tun (bei dieser Eheschließungsform könnten etwa Paare unterschiedlicher Konfessionen oder sogar Religionen heiraten). Den Ehekontrakt als Vertragsschluss vor dem Staat zu sehen hatte jedoch auch für die Gattinnen nützliche Implikationen. Eine Ehe, die nicht mehr nur „vor den Augen Gottes“ geknüpft wurde, konnte sich auch ohne göttlichen Segen entzweien und bedeutete mehr Scheidungsfreiheit. „Gegenseitige Abneigung“ oder „Nicht-Übereinstimmung der Charaktere“[i] gehörten nun zu Trennungsgründen und ein „partnerschaftlicher Umgang“[ii] zwischen Eheleuten wurde angestrebt. Sich im 18. Jahrhundert für aufgeklärt zu halten hieß auch, mit seiner Auffassung von Eherechten und -pflichten den „hohen zivilisatorischen Standard des Zeitalters“[iii] zum Ausdruck zu bringen. Ist die Aufklärung mit ihren Debatten um die Zivilehe also der große Gleichmacher zwischen den Geschlechtern? Das stimmt so nicht ganz. Die Frau als Ehe- und Lebenspartnerin wurde im bildungsbürgerlichen Milieu zwar als „kultivierter“ sparring partner idealisiert, eine teilweise – geschweige denn vollkommene – Gleichberechtigung erlangte sie allerdings nicht.

Stattdessen sahen die bekanntesten Aufklärer die Frau als „außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft mündiger, gleichberechtigter Bürger“[iv] stehend; das Ideal der ebenbürtigen Gefährtin war performativ und gefiel doch eher in der Theorie. Eine Grundausbildung sollte eine gute Ehefrau erhalten haben, damit sie im Gespräch mithalten und auch mal amüsieren konnte – zu weit durften ihre Ambitionen allerdings selten gehen. Im satirischen Kupferstich „Die gelehrte Frau“ von Johann Heinrich Ramberg (1763–1840) übertreibt der Künstler augenzwinkernd die Risiken, die eine Ablenkung von Haushalt und Kindeserziehung wohl mit sich bringen würde. Das Beispiel der Zivilehe und der Rolle der Frau in Zeiten der Aufklärung illustriert deutlich ein Spannungsfeld, das diese Epoche mit Blick auf die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau prägt. Man könnte von einem sich aufgeklärt gebenden Chauvinismus, einem Chauvinismus im Schafspelz sprechen.Gleichzeitig – auch das zeichnet die Aufklärung aus – gibt es Frauen, die sich mit dem Status quo nicht abfinden und sich ihren Platz in der Gesellschaft erkämpfen.
Die Ausstellung „Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert“, die nach Zöllners mittlerweile weltberühmter, viel zitierter Fußnoten-Frage benannt ist, thematisiert diesen sozialen Kontext, und stellt Frauengeschichten in allen Räumen der Ausstellung vor. Frauen, die nicht nur zufällige Produkte des 18. Jahrhunderts waren, sondern ohne die die Aufklärung „nur unzureichend geschildert und verstanden werden“[v] kann. So bildet die Ausstellung auch auf rein struktureller Ebene die Tatsache ab, dass Frauen in diesem philosophischen, von männlichen Denkern dominierten Zeitalter auf vielfältige Weise ihre Zeichen setzen konnten: Aufklärerische Protagonistinnen findet der/die Besucher*in nicht nur im Raum „Geschlechtermodelle“, sondern auch in allen weiteren Räumen, wie etwa „Herrschaft der Vernunft“, „Wissenschaft“ oder „Staatskunst“.

Wissenschaftlich engagierte Frauen, die in „Was ist Aufklärung?“ präsentiert werden, deren Leben allerdings noch viel intensiver erforscht werden müssten, sind etwa Émilie du Châtelet (1706–1749), Marie-Anne Pierrette Paulze Lavoisier (1758–1836) oder Dorothea Christiane Erxleben (1715–1762). Während die Marquise du Châtelet sich zeit ihres Lebens der Physik Newtons widmete und dessen Werke übersetzte, kommentierte und dem französischen Publikum vermittelte, beteiligte sich Marie-Anne Lavoisier an den chemischen Experimenten ihres 15 Jahre älteren Gatten Antoine. Mit ihrer detaillierten Dokumentation der Versuchsanordnungen in seinem Labor und der Übersetzung wissenschaftlicher Publikationen trug sie auch über seinen Tod hinaus entscheidend zur Formulierung der Erkenntnisse und ihrer empirischen Überprüfbarkeit bei. Dorothea Erxleben, die nur in Begleitung eines männlichen Verwandten Medizin hätte studieren dürfen, wandte sich 1741 mit ihrer Bitte um einen Studienplatz an Friedrich II. (1712–1786). Auf dessen Veranlassung wurde sie an der Reformuniversität in Halle zugelassen. Über ein Jahrzehnt später reichte sie im Alter von 39 Jahren ihre Dissertation ein und wurde somit 1754 zur ersten promovierten Frau Deutschlands.
Die Ausstellung thematisiert auch künstlerisch tätige Frauen der Aufklärung, wie etwa die Dichterin Phillis Wheatley (ca. 1753–1784), die Autorin Luise Gottsched (1713–1762) oder die Malerin Anna Dorothea Therbusch (1721–1782). Der 1773 erschienene Gedichtband der mehrfachdiskriminierten Versklavten Phillis Wheatley machte sie zur ersten Autorin afrikanischer Herkunft in Amerika, die unter ihrem Namen veröffentlicht hat.[vi] Die „Gottschedin“ publizierte unterdessen schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehrere Theaterstücke unter eigenem Namen. Mehr noch: inzwischen geht die Forschung davon aus, dass einige der Werke ihres Ehemanns Johann Christoph Gottsched (1700-1766) eigentlich von ihr geschrieben wurden – zum Beispiel etliche Passagen der moralischen Wochenschrift „Die vernünftigen Tadlerinnen“.

Die künstlerische Laufbahn der Anna Therbusch ist – gerade für eine Zeit, in der Frauen der Zugang zur Ausbildung an Akademien kaum möglich war – beachtenswert: Die Berliner Künstlerin führte sogar Aufträge für den europäischen Adel aus und signierte nach ihrer Aufnahme in die Pariser Académie Royale 1767 ihre Werke fortan mit „Peintre du Roi de France“ , auf Deutsch: „Maler des französischen Königs“.
Neben der Wissenschaft ist es oft der gesellschaftliche Wandel, der eng mit unserem Bild der Aufklärung verknüpft ist. Und so ist es kaum verwunderlich, dass die Zeit auch von sozialkritischen, politisch engagierten Denkerinnen geprägt ist. Dazu gehören etwa die französische Revolutionärin Olympe de Gouges (1748–1793) oder die englische Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft (1759–1797). De Gouges setzte sich nicht nur für die gleichen Rechte für Mann und Frau ein, sondern ist auch ein Beispiel einer weißen Frau, die in ihren Schriften und Theaterstücken gegen den Rassismus ihrer Zeit kämpfte. Die Einführung eines Scheidungsrechts forderte sie ebenfalls.[vii]

Mary Wollstonecraft, deren Hauptwerk Die Verteidigung der Frauenrechte von 1792 gleich zu Beginn der Ausstellung zitiert wird, sprach sich unterdessen klar gegen die Reduzierung der Frau auf die Rolle der hingebungsvollen Ehegattin aus – ob mit oder ohne Scheidungsrecht. Die mitunter als Mutter der Frankenstein-Autorin Mary Shelley bekannte Philosophin und Übersetzerin lebte jahrelang unverheiratet mit dem Vater ihres ersten Kindes zusammen. Ihren Einfluss auf die Entwicklung der Kämpfe um Gleichberechtigung im europäischen Raum erlebte sie wegen ihres frühen Todes durch das Kindbettfieber nur im Ansatz. Dabei sollte sie mit ihrer Argumentation für eine die eines Mannes gleichende Vernunftbegabung der Frau Folgegenerationen prägen.
Die Frauen der Aufklärung hatten in einer Ära des Chauvinismus im Schafspelz ein ganz schönes Päckchen zu tragen und konnten sich selten darauf verlassen, mit ihrem Schaffen die gebührende Aufmerksamkeit zu erlangen. Dank der jahrzehntelangen Forschungsarbeit von (oft explizit feministisch motivierten) Historiker*innen sind ihre Geschichten noch heute nachvollziehbar und bilden Teile des Fundaments der modernen Frauenbewegung, die knapp ein Jahrhundert nach Ausklingen der Aufklärung, im Jahr 1911, die Einführung des Weltfrauentags durch international vernetzte Sozialistinnen hervorbrachte. Eine traurige Ironie besteht darin, dass die beiden Länder, Frankreich und England, die mit Wollstonecraft und de Gouges die radikalsten Kämpferinnen für Frauenrechte hervorgebracht haben, erst vergleichsweise spät das Frauenwahlrecht eingeführt haben, nämlich 1928 (GB) und 1944 (FR).
[i] Buchholz, Stephan: „Ehe“, in: Schneiders, Werner (Hrsg.), Lexikon der Aufklärung), München 2001: S. 87–88.
[ii] Stollberg-Rilinger, Barbara: Die Aufklärung, 5. Aufl. Stuttgart 2021: S.147.
[iii] Ebd.
[iv] Meyer, Annette: Die Epoche der Aufklärung, 2. Aufl. Berlin 2018: S. 189.
[v] Ebd.: S. 188.
[vi] Vgl. Bissig, Florian: „Einleitung“, in: Wheatley, Phillis: Nie mehr, Amerika! Gedichte und Briefe. Aus dem Englische von Florian Bissig. Berlin 2023: S. 13.
[vii] Vgl. Stokowski, Margarete: „Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit“, in: De Gouges, Olympe: Die Rechte der Frau und andere Texte: Stuttgart 2022: S. 74–75.
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Harriet MerrowHarriet Merrow ist die Projektassistentin am Deutschen Historischen Museum für die Ausstellung „Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert”. |