Bühnentechnik ohne Strom in der Zeit der Aufklärung: das Dalberg’sche Bühnenmodell

Irmgard Siede | 19. März 2025

Während zeitgenössische Bühnen mit modernster Technik arbeiten, um Publikum und Sinne zu fesseln, zeigte schon das 18. Jahrhundert beeindruckende mechanische Bühneneffekte. Das Dalberg’sche Bühnenmodell, das derzeit als Leihgabe in der Ausstellung „Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert” zu sehen ist, gibt faszinierende Einblicke in die ausgeklügelte Theatermaschinerie dieser Zeit. Dr. Irmgard Siede von den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim (rem) stellt die Geschichte hinter dem Bühnenmodell vor.

Zeitgenössisches Theater muss sich mit der medialen Bilderflut, einer schnellen Bildwahrnehmung und der Omnipräsenz besonderer Geräuschs-, Geruchs- oder Lichteffekte messen. Dem wird mit einer ausgefeilten Bühnentechnik Rechnung getragen, die sich moderne Soundgeräte, Beleuchtungsapparate oder starke Motoren zu Nutze macht. Kaum vorstellbar – doch Bau und Einrichtung von Verwandlungsbühnen sowie besondere Effekte waren dank einer ausgeklügelten mechanischen Bühnentechnik im ausgehenden 18. Jahrhundert ebenso möglich. Ein Beleg dafür ist das Dalberg’sche Bühnenmodell, das im Zentrum der Theaterausstellung der rem in Mannheim steht.

Dalberg’sche Bühnenmodell, spätes 18. Jahrhundert, Holz, Metall, Baumwolle, Pergament, Farbmittel, Mannheim, Reiss-Engelhorn-Museen, Theatersammlung; Foto: Jean Christen © rem.

Das Modell ist nach der Familie Dalberg benannt, der der erste Intendant des Mannheimer Nationaltheaters, Wolfgang Heribert von Dalberg (1750-1805), entstammt. Dem Stadtplan Mannheims liegen bis heute in der Innenstadt die berühmten Quadrate zugrunde. Dort bewohnte die Familie Dalberg zunächst im Quadrat B 1, 10 ein Palais. Wohl im Laufe des Jahres 1782 hatte sich Wolfgang Heribert von Dalberg im Quadrat N 3, 4 eingemietet, im heutigen Dalberghaus. Er bekleidete hohe Ämter: Seit 1775 hatte Dalberg das Amt eines Obrist-Silberkämmerlings inne, 1778 war er Vizepräsident der Hofkammer, 1780 wurde er Mitglied des Geheimen Rates, was ihm Einblicke in die Regierungsgeschäfte der Kurpfalz ermöglichte, bis er schließlich 1791 bis 1803 Präsident des Oberappelationsgerichtshofs, also der obersten pfälzischen Justizbehörde, wurde.

Portrait Wolfgang Heribert von Dalbergs, um 1800, Öl auf Leinwand, Mannheim, Reiss-Engelhorn-Museen, Theatersammlung; Foto: Jean Christen © rem.

Mit kurfürstlichem Reskript (amtlicher Bescheid) vom 1. September 1778 wurde Dalberg die Oberaufsicht über die Mannheimer „National-Bühne“ übertragen, die bereits im Januar 1777 eröffnet worden war. Damit war er der erste Intendant dieses Hauses und stand ihm fast 25 Jahre bis 1803 vor. 1778 war Dalberg zudem Obervorsteher der Kurpfälzisch Deutschen Gesellschaft geworden. Schon zuvor hatte er sich auch als Theaterautor und Übersetzer von Stücken hervorgetan, da diese in der Landessprache aufgeführt werden sollten. Damit wollte der Intendant Aufklärung erlebnisnah gestalten. Mit diesem innovativen, vom absolutistischen Fürsten Carl Theodor (1724-1799) geförderten Format ging eine weitere Neuerung einher: Ein Theaterausschuss – bestehend aus Intendant, Schauspielern und weiteren Akteuren – diskutierte über das Theater, wie es über acht Jahre hinweg, von 1781 bis 1789, in Sitzungsprotokollen festgehalten ist. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde auch über die Bühnentechnik gesprochen. Die Ansprüche des Publikums waren gestiegen, und der Bühnenbetrieb wurde auch von der Bühnentechnik her immer aufwendiger und teurer. Zugleich wurden der „Blick hinter die Kulissen“ und Theatermaschinen damals immer wieder graphisch dargestellt. Solche Graphiken fanden meist Eingang in Enzyklopädien. Im theoretischen Diskurs des späten 18. Jahrhunderts diente die avancierte Bühnentechnik zugleich als praktische Einübung in die Mechanik der Aufklärung.

Wo das Modell um 1800 stand, ist nicht eindeutig belegt. Nach Aschaffenburger Überlieferung stammt es aus dem Besitz der Familie Dalberg. Mannheim erwarb es im Juni 1929 von der Stadt Aschaffenburg für die Sammlungen des Mannheimer Schlossmuseums.

Vergleichbar einem Guckkasten blickt man in ein Bühnenhaus mit klassizistisch gestaltetem Proszenium (Bühnenbereich zwischen Vorhang und Orchester) und einem Bretterboden: Dies sind die berühmten „Bretter, die die Welt bedeuten (sollen)“ bzw. die Darstellungsfläche. Der Bretterboden ist leicht ansteigend. Blickpunkt wäre eigentlich ein Bühnenprospekt. Das Proszenium verdeckt die Obermaschinerie und die seitlichen, nach hinten gestaffelten Kulissenwägen. Die Untermaschinerie ist im Modell dreigeschossig. Umrundet man das Modell, so erkennt man auf beiden Seiten je fünf Kulissenwägen, in die die meist auf Leinwand gemalten Kulissen eingehängt werden konnten. Die Rahmen reichen durch Schlitze in den Bühnenboden und können dort mittels Schienen in der Untermaschinerie hin und her bewegt werden. In der Obermaschinerie wird eine Konstruktion mit Wellbaum und Rädern, Schnurzügen und Gewichten sichtbar. Sie diente dazu, den Vorhang, die Soffitten (von der Decke abhängende kurze Kulissen), den Bühnenprospekt oder die Kulissen zu bewegen. Die Kulissenwägen sowie der Rückprospekt und die Soffitten waren nach einem ausgeklügelten System durch Seile mit einer zentralen Walze, dem sogenannten Wellbaum, verbunden. Damit konnte innerhalb weniger Sekunden die Bühne komplett verwandelt werden. Optische Effekte wie Wellenbewegungen ließen sich ebenso wie Geräusche, etwa mittels einer Windmaschine erzeugen. All dieses sollte das Publikum in Erstaunen versetzen. Die Kulissengassen dienten auch zur Aufbewahrung von Requisiten und zur indirekten Beleuchtung der Bühne. An den Kulissenrahmen konnten Öllampen angebracht werden.

Im Schlosstheater in Schwetzingen war die barocke Bühnentechnik im frühen 20. Jahrhundert noch in großen Teilen erhalten. Sie wurde von dem Theaterwissenschaftler Kurt Sommerfeld vor 1927 genau beschrieben. Dies belegt, dass das Dalberg’sche Bühnenmodell tatsächlich gebaute Maschinerien zeigt.

Als am 13. Januar 1782 unter Dalbergs Intendanz die Uraufführung von Schillers „Räubern” im alten Nationaltheater im Quadrat B 3 erfolgte, wird sich das Bühnenbild mehrfach mit Hilfe einer solchen Mechanik verwandelt haben.

Dr. Irmgard Siede

Dr. Irmgard Siede ist Kunsthistorikerin und wissenschaftliche Sammlungsleitung in den rem in Mannheim. Seit 2019 betreut sie die Mannheimer Theatersammlung, die eine der nur fünf solchen Sammlungen in der deutschen Museumslandschaft darstellt.