Nadelkissen der Amischen
Was haben Nadelkissen mit dem Protestantismus zu tun? In unserer Rubrik „Wozu das denn?“ erklärt Ihnen Anne-Katrin Ziesak, Kuratorin und Projektleiterin der Ausstellung „Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt“, den überraschenden Zusammenhang.
Viele Täufer, darunter die meisten Amischen, viele Brethren und einige Mennoniten, verwenden bis heute keine Knöpfe an ihrer Kleidung. Dies ist Ausdruck ihres Ideals der Schlichtheit. Die Kleider von Frauen werden mit Metallhaken oder Zylinderstiften zusammengehalten. Aufgrund der Menge von Stiften und Nadeln, die in einem großen Haushalt mit vielen Personen benötigt wurden, stellte man Nadelkissen aller Art und Größe her, die zur Aufbewahrung dienten. Diese Kissen wurden aus bunten Stoffen und in fantasievollen Formen gefertigt und waren damit auch Dekorationsgegenstände. Manchmal wurden sie an Regale gehängt oder in Vitrinenschränke gelegt. Es erforderte große Kunstfertigkeit, um die 86 winzigen Quadrate und Dreiecke des „Piecework Ball“ mit Aufhängeschlaufe zusammenzunähen. Der rot-gelbe „Puzzle Ball“, bestehend aus zwölf ausgestopften elliptischen Teilen, war im ausgehenden 19. Jahrhundert eine beliebte Form bei den Amischen und Mennoniten im Südosten Pennsylvanias. Die Verwendung einfarbiger anstatt bedruckter Stoffe für das quadratische Nadelkissen lässt vermuten, dass dieses Exemplar von den Amischen stammt.
Die britischen Kolonien in Nordamerika boten Raum, religiöse Utopien verschiedenster Art umzusetzen. Der Quäker William Penn wagte mit seiner Koloniegründung 1681 ein „Heiliges Experiment“. Er wollte einen Zufluchtsort für verfolgte Glaubensbrüder und -schwestern aus Europa schaffen. Anders als in den Kolonien, in denen die Puritaner und Anglikaner den Ton angaben, sollte in Pennsylvania religiöse Toleranz gelten. Toleranz und wirtschaftliche Möglichkeiten übten eine große Anziehungskraft aus. Neben englischen, walisischen und schottischen Quäkern, Anglikanern und Presbyterianern wanderten viele Protestanten aus dem deutschen Sprachgebiet ein: Zu den ersten Kolonisten gehörten täuferische Gruppen, darunter Mennoniten, Amische und Schwarzenauer Brüder, von denen sich später das Ephrata Cloister abspalten sollte. Es folgten Schwenkfelder und Herrnhuter, Lutheraner und Reformierte.
Das „Heilige Experiment“ Pennsylvania ist ein Schwerpunkt im Ausstellungsteil Vereinigte Staaten der großen Schau „Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus in der Welt“. Bis zum 5. November 2017 können Sie im Martin-Gropius-Bau, der auch am Reformationstag, den 31. Oktober 2017 geöffnet sein wird noch mehr über die protestantische Vielfalt in den Vereinigten Staaten sowie Schweden, Korea und Tansania erfahren.