Das Schiffsmodell einer Lübecker Fleute

Dass sich in der Sammlung eines historischen Museums auch Modelle von Schiffen befinden, ist einleuchtend, wenn auch nicht unbedingt jedem geläufig. In unserer Reihe „Wozu das denn?“ stellt Ausstellungskurator Thomas Eisentraut am Modell einer Fleute aus der Dauerausstellung exemplarisch die europäische Geschichte aus maritimer Perspektive dar. Welch wichtige Rolle das Meer in der europäischen Geschichte und im Selbstverständnis der Europäer spielt, zeigt das Deutsche Historische Museum ab Juni 2018 in seiner großen Überblicksausstellung „Europa und das Meer“.

Die Sammlung des Deutschen Historischen Museums verfügt über unterschiedliche Schiffsmodelle, die mit der maritimen Geschichte Deutschlands eng verbunden sind. Für den einen oder anderen mag die unerwartete Fülle an Schiffsmodellen zunächst verwunderlich sein, doch Schiffe spielten durch alle Zeiten hindurch eine wichtige Rolle für die Entwicklung Deutschlands und Europas. Spätestens seit dem Mittelalter war die Seefahrt ein unerlässlicher Bestandteil des internationalen Handels. Mächtige Handelsbündnisse wie die „Hanse“ nutzten hierfür Schiffe, vorzugsweise die Kogge oder Fleute.

Große Schiffe = hohe Abgaben

Das um 1900 angefertigte Holzmodell einer Fleute zeigt einen ganz besonderen Schiffstyp, der die europäische Seefahrt langfristig revolutionierte. Die in den Niederlanden entwickelte Fleute war ein Spezialbau, der erstmals Ende des 16. Jahrhunderts in den Schriftquellen überliefert wurde. Mit seinen drei hohen Masten verfügte das Schiff über eine große Segelfläche, die eine hohe Geschwindigkeit ermöglichte. Über der langgestreckten jedoch bauchigen Rumpfform des Schiffes lag ein schmal geschnittenes Deck. Dieser besonderen Konstruktionsform lag ein wirtschaftlicher Anreiz zugrunde. In der Zeit von 1429 bis 1857 kostete die Passage durch den Öresund Geld. Jedes Schiff musste für die Passage der Meerenge zwischen Nord- und Ostsee eine festgesetzte Abgabe entrichten, die in die Privatschatulle des dänischen Königs floss. Bis 1669 berechnete sich diese Abgabe zum überwiegenden Teil auf Grundlage der Quadratmetergröße des Schiffdecks. Ein bauchiges, jedoch an Deck schmal geschnittenes Schiff zahlte folglich weniger Abgaben als ein breiter konstruiertes („trichterförmiges“) Schiff.

Die Anfertigung von Schiffsmodellen hat eine lange Tradition. Ihr Zweck diente unterschiedlichen Funktionen. Zum einen waren sie als Anschauungsobjekt für Schiffbauer ein unerlässliches Instrument sowohl beim Bau als auch bei der Weitergabe von Wissen. Je nach Zweck gab es unterschiedliche Modellformen, die das Schiff verschieden darstellten. Dabei dominierten als Gattungen die sogenannten Rumpf-, Halb- und Vollmodelle. Zum anderen wurden Schiffsmodelle hergestellt, um einem möglichen Geldgeber – vorrangig den Königen – Anschauungsbeispiele zu präsentieren und diese dadurch zum Bau anzuregen. Erst im Laufe des 17. Jahrhunderts wurde es Brauch, die Schiffsmodelle maßstabsgetreu zu bauen.

Modell einer Lübecker Fleute, 1700/1900 (Modell), 1726 (Original) © DHM

Modell einer Lübecker Fleute, 1700/1900 (Modell), 1726 (Original) © DHM

Aussehen einer Flöte

Der Bezeichnung des Schiffes als „Fleute“ liegen unterschiedliche Erklärungsansätze zugrunde. Eine der verbreiteten Annahmen ist zugleich sehr augenscheinlich: Das Schiffsheck ähnelt mit seiner markanten Ausbuchtung über dem Schiffsruder in seinem Aussehen dem Kopf einer Flöte. Wahrscheinlich daher leitet sich der Name in seinen unterschiedlichen Schreibungen als „Fluite“, „Vliete“ oder „Fleute“ ab.

Mit der Zeit übernahmen viele europäische Länder die Konstruktion der Fleute, die sich für den Transport schwerer und sperriger Ladung eignete. Einzelne Handelsstädte, so auch Lübeck, bauten die Schiffe nicht selbst, sondern kauften diese stattdessen aus den Niederlanden oder weiteren Ländern an. Im Laufe des 17. Jahrhunderts dominierte die Fleute schließlich die gesamte europäische Schifffahrt. Ausgehend von der Konstruktion der Fleute wurden spätere Kriegsschiffe wie die Fregatten und Linienschiffe des 18. Jahrhunderts entwickelt.

Heute befinden sich größere Sammlungen von Schiffsmodellen in vielen europäischen Marine- und Schiffsmuseen, beispielsweise dem Deutschen Schiffahrtsmuseum (Bremerhaven), Deutschen Technikmuseum (Berlin), Deutschen Museum (München), Internationalen Maritimen Museum (Hamburg), dem niederländischen Rijksmuseum (Amsterdam), dem britischen National Maritime Museum (London), dem polnischen Nationalen Maritimen Museum in Gdańsk oder dem schwedischen Statens Maritima Museer (Karlskrona, Stockholm).

 

Am 1. November 2017 um 18 Uhr erläutert Thomas Eisentraut weitere Schiffsmodelle und die maritime Geschichte anhand ausgewählter Exponate in der Reihe „Fokus DHM: Jung“.