Objekte und ihre Herkunft – zur Provenienzforschung am Deutschen Historischen Museum
In der Diskussion um die Aufgaben von Museen kommt der Provenienzforschung, der Erforschung der Herkunft von Objekten, eine wichtige Rolle zu. Im Deutschen Historischen Museum ist sie Bestandteil der alltäglichen Sammlungsarbeit und wird gleichsam gesondert erforscht. Dabei ist ebenso wichtig wie die Klärung der Herkunftsverhältnisse von Objekten zwischen 1933 und 1945 die Zeit zwischen 1945 und 1989, während der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Dr. Brigitte Reineke, Leiterin des Bereichs Zentrale Dokumentation und Beauftragte für Provenienzforschung, gibt anlässlich des Symposiums zur Provenienzforschung zur SBZ und DDR einen Einblick in die Herausforderungen der Provenienzforschung am Deutschen Historischen Museum.
Das Deutsche Historische Museum, wie wir es heute mit einem Gesamtbestand von rund einer Million Objekten kennen, beherbergt neben seiner seit 1987 aufgebauten Sammlung die großen Sammlungsteile aus der Anfangszeit des Zeughauses im 18. Jahrhundert wie auch aus dem nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebauten Geschichtsmuseum der DDR, dem Museum für Deutsche Geschichte (MfDG). So vielschichtig die wechselvolle Geschichte des Hauses ist, so komplex sind daher auch die Fragen nach der Herkunft der Objekte im heutigen Gesamtbestand. Die Beantwortung dieser unterschiedlichsten Fragen ist Kern der Provenienzforschung.
Provenienzforschung beginnt mit der Forschung nach der Herkunft eines Objektes, mit seinem ursprünglichen Herstellungs- und Gebrauchszusammenhang, und ist deshalb auch immer genuine Arbeit in den Sammlungen. Es schließen sich Fragen nach dem Weg der Objekte vom Hersteller oder erstem Eigentümer bis zum Museumserwerb an, mit dem Ziel, Hinweise auf unrechtmäßigen Entzug des Objektes vom rechtmäßigen Eigentümer auszuschließen oder zu finden.
Aufgrund seiner eigenen Geschichte befasst sich die Provenienzforschung im Deutschen Historischen Museum nicht nur mit möglichen Enteignungen in der NS-Zeit zwischen 1933 und 1945, sondern ebenso mit denen in der Zeit der Bodenreform zwischen 1945 und 1949 und während der DDR. Gerade die Sammlungsspezifika des Deutschen Historischen Museums in seiner Gesamtheit machen uns jedoch die Antworten bzw. die Suche nach den Antworten schwer: Die Recherchen richten sich nicht nur auf Objekte, für die zumindest eine erkennbare Autorschaft existiert wie z.B. auf Gemälde oder Skulpturen, sondern besonders auch auf Objekte der Alltagskultur, deren Herkunft kaum nachvollziehbar ist und von denen mehrheitlich weder der Verkäufer oder Schenker noch der Hersteller bekannt ist.
Die Recherche in den vorhandenen Inventarbüchern wirft oftmals mehr Fragen auf, als beantwortet werden können. Begrifflichkeiten sind heute nicht mehr klar verständlich, vielleicht waren sie aber auch absichtlich zur Verschleierung gewählt: Was ist eine Überweisung im Unterschied zu einer Übernahme? Oder eine Übergabe? Meint dies die Übertragung des Eigentums von einer zur anderen staatlichen Institution? Wo waren die Dinge davor? Gibt es Kunstgegenstände aus Enteignungen, die als Überweisung deklariert und die damit verschleiert wurden? Aus diesen unklaren Angaben ergeben sich weiterführende Fragen: Haben Verkäufer die Provenienz der Objekte überhaupt nachvollziehbar angegeben? Gibt es weitere Vorbesitzer, so dass sich die Objektwege nachvollziehen lassen?
Recherchen nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut müssen sammlungsübergreifend und systematisch angestellt werden. Was heißt das genau für ein Museum, das erst 1987 gegründet wurde und deshalb auf den ersten Blick unbelastet erscheint? Das Museum hat viele Objekte, insbesondere künstlerische Werke wie graphische Blätter, Gemälde oder Plakate, beispielsweise über Auktionen oder im Kunsthandel erworben. Hier muss nun nachträglich geklärt werden, welche Eigentümer die Gegenstände vor dem Erwerb, insbesondere in der Zeit der Naziherrschaft, besaßen. Auch wenn der Erwerb in gutem Glauben geschehen sein mag, besteht die Verpflichtung, den Objektweg vor dem Zugang zum Museum zu erforschen, um nicht unwissentlich in den Besitz von enteignetem Kulturgut gekommen zu sein. So werden in einem Forschungsprojekt, gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, derzeit systematisch die nach 1987 vom Deutschen Historischen Museum in Auktionen und im Kunsthandel erworbenen Gemälde von einer Spezialistin für Provenienzforschung untersucht.
Ebenso werden die Wege von Objekten in der Zeit der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) erforscht. Vom ersten Tag der Übernahme der Sammlungen des Museums für Deutsche Geschichte hat diese Facette der Provenienzforschung die Museumsmitarbeiterinnen und –mitarbeiter des DHM gefordert. Es wurden Anträge auf Restitution an das Museum von nachweislich rechtmäßigen Eigentümern gestellt, parallel konnten aufgrund von Einträgen in Inventarbüchern oder Hinweisen an den Objekten selber ihre ursprüngliche Herkunft aufgedeckt werden. Bereits seit den frühen 1990er Jahren konnte das DHM so viele Objekte aufgrund von eigenen Recherchen an andere Museen wie auch an Privateigentümer zurückgeben.
Ebenso wie die Rückführung von Objekten an ihre rechtmäßigen Erben, ist auch die Rückführung von Objekten in die Sammlungen des Deutschen Historischen Museums Teil unserer Provenienzforschung: So konnten einige Objekte des ehemaligen Zeughauses durch Forschungen in anderen Sammlungen deutscher Museen wiederentdeckt werden und sind in der Nachfolge der ursprünglichen Sammlung des Zeughauses heute in der umfangreichen und vielschichtigen Sammlung des Deutschen Historischen Museums für folgende Generationen bewahrt.