Geschichte(n) aktuell: Der Tag des Kolumbus
Am 12. Oktober 1492 landete Christoph Kolumbus auf der Insel Guanahani, die heute zu den Bahamas gehört. Warum dieser Tag noch immer erinnert wird und in Spanien Nationalfeiertag ist, erzählt die Historikerin Christiana Brennecke, die in unserer Ausstellung Europa und das Meer die Sektion zur europäischen Expansion kuratiert hat.
Klein und unscheinbar liegt er da, der erste Brief, den Christoph Kolumbus über seine Entdeckungen im Atlantik verfasste. Der lateinische Erstdruck des in spanischer Sprache geschriebenen Briefes aus dem Jahre 1493 markiert in der Ausstellung Europa und das Meer den Moment, in dem die Nachricht von der europäischen Entdeckung Amerikas in Europa publik wurde und sich dank des florierenden Buchdrucks in großer Geschwindigkeit verbreitete. Von „Amerika“ bzw. einem neuen Kontinent ist hier zwar noch keine Rede, da Kolumbus bis zu seinem Tod 1506 glaubte, in Asien gewesen zu sein. Auch wissen wir heute, dass Kolumbus keineswegs der Erste war, der jenseits des Atlantiks auf Land traf. Doch die Bedeutung der ersten Kolumbus-Reise und ihrer schnellen Bekanntmachung ist unumstritten, wirkten die Nachrichten doch als wesentlicher Katalysator für das weitere Ausgreifen Europas in die Welt.
Der 12. Oktober 1492 im Spiegel der Zeit
In seinem Buch „Kolumbus und der Tag von Guanahani. 1492: Ein Wendepunkt der Geschichte“ hat der Historiker Stefan Rinke, Professor am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin, die Bedeutung des 12. Oktober 1492 für die Weltgeschichte nachgezeichnet und untersucht, wie das Ereignis von den Zeitgenossen und nachfolgenden Generationen interpretiert wurde. Das Bewusstsein, dass am 12. Oktober 1492 etwas „Neues“ begann, das mit den althergebrachten Weltvorstellungen nur schwer in Einklang zu bringen war, ist bereits früh in europäischen Quellen zu finden. Eine wichtige Bestätigung fand es durch die Erkenntnis von Amerigo Vespucci (1451-1512), dass es sich bei den entdeckten Gebieten um einen neuen Kontinent handelte. Die Wahrnehmung und Einordnung der Geschehnisse als Epochenwende entstand jedoch erst im Laufe der Jahrhunderte und war eng an das Fortschreiten der europäischen Expansion und ihre weitgreifenden Folgen gekoppelt. Kolumbus selbst geriet dabei zunächst eher in Vergessenheit. Als Namenspatron für den neuen Kontinent setzte sich Amerigo Vespucci durch. Darüber hinaus überlagerten bereits vor Kolumbus‘ frühem Tod drei weniger erfolgreiche Expeditionen die Erfolgsnachrichten seiner ersten Reise. Doch mit der Zeit – und mit zunehmender Öffnung der spanischen Archive – kehrte Kolumbus zurück ins öffentliche Bewusstsein und wurde weltweit zum Sinnbild für die europäische Expansion des 15. und 16. Jahrhunderts.
Die Bewertung seiner Figur und seiner Leistung hing dabei nicht nur vom Wissensstand ab. Sie war an den jeweiligen Zeitgeist und politischen Kontext gebunden. Während die Vereinigten Staaten von Amerika mit der Unabhängigkeit von der britischen Krone ihr eigenes Narrativ entwickelten und Kolumbus in ihre Nationalmythen integrierten, war die Auseinandersetzung in Europa und in Mittel- und Südamerika eng mit dem Blick auf die spanische Expansion an sich verknüpft. Spätestens seit der Veröffentlichung von Bartolomé de Las Casas Schrift Kurzgefasster Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder (Sevilla, 1552), die die Kolonialmacht Spanien an den Pranger stellte, waren Kolumbus und der 12. Oktober nicht mehr losgelöst von den Folgen der Expansion zu betrachten. Zur Interpretation des Geschehens als spanische, europäische oder christliche Erfolgsgeschichte gesellten sich seitdem immer wieder auch kritische Stimmen, die die Legitimität der Expansion in Frage stellten. Es sollte jedoch noch lange dauern, ehe diese Kritik breit und öffentlich diskutiert wurde. Letztlich setzten erst im Zusammenhang mit den Vorbereitungen für die 500-Jahr-Feier 1992 heftige Auseinandersetzungen über die eurozentrische Interpretation des Geschehens und über Begrifflichkeiten wie „Entdeckung Amerikas“ ein.
Columbus Day, Indigenous Peoples Day und Fiesta Nacional de España – wie heute an den 12. Oktober erinnert wird
Die sich wandelnde Interpretation des 12. Oktobers 1492 spiegelt sich bis heute in der Existenz ganz unterschiedlich bezeichneter Gedenktage wieder. In den USA, wo der 12. Oktober seit Beginn des 20. Jahrhunderts als „Kolumbus Tag“ (Columbus Day) begangen wurde, wird heute in vielen Regionen mit der Bezeichnung „Tag der Indigenen Völker“ (Indigenous Peoples Day) an die Rechte der indigenen Völker erinnert, die infolge des 12. Oktobers 1492 unterdrückt oder gar ausgelöscht wurden. In Mittel- und Südamerika wiederum wurde der Tag zu Beginn des 21. Jahrhunderts vom „Tag der Rasse“ (Día de la Raza) zum „Tag der Begegnung zweier Welten“ (Día del Encuentro de Dos Mundos), zum „Tag des indigenen Widerstandes“ (Día de la Resistencia Indígena) oder zum „Tag des Respekts vor der kulturellen Diversität“ (Día del Respeto a la Diversidad Cultural) – um nur einige der heute existierenden Bezeichnungen für den 12. Oktober zu nennen.
Und in Spanien? Auch die einstige Kolonialmacht, in deren Auftrag Kolumbus 1492 seine Reise antrat, blickt inzwischen differenzierter auf ihre Vergangenheit. Die Bedeutung des 12. Oktober 1492 für die spanische Monarchie schlägt sich jedoch bis heute dergestalt nieder, dass Spanien am 12. Oktober seinen Nationalfeiertag (Fiesta Nacional de España) begeht. Auch hier firmierte der Tag lange unter der Bezeichnung „Tag der Rasse“ oder „Tag der Hispanität“ (Día de la Hispanidad), um die gemeinsamen Wurzeln mit den inzwischen unabhängigen Kolonien in Amerika zu betonen. Per Gesetz vom 7. Oktober 1987 wurde er dann offiziell zum Nationalfeiertag umbenannt. Die Begründung hierfür nimmt – natürlich – Bezug auf den historischen Jahrestag, spiegelt allerdings allein die spanische Perspektive: Ohne auf die gravierenden Folgen der Expansion einzugehen, heißt es hier leicht abstrakt, der 12. Oktober 1492 symbolisiere den Moment, in dem der sich formierende spanische Nationalstaat einen Prozess der linguistischen und kulturellen Projektion jenseits der europäischen Grenzen anstößt.