Das Sparbuch der Anna Gleiß

In der Ausstellung „Sparen – Geschichte einer deutschen Tugend“, die noch bis zum 4. November 2018 zu sehen ist, findet sich das scheinbar unspektakuläre Sparbuch der Anna Sophia Henriette Gleiß. Wieso es aber ein wichtiges Zeugnis der frühen Sparbewegung ist, erläutert Maike Schimanowski in der Rubrik „Wozu das denn?“.

Woran hat die kleine Anna Sophia Henriette von Gleiß wohl gedacht, als sie mit zehn Jahren von ihrem Vater ein Sparbuch geschenkt bekam? Eingezahlt waren bereits 10 Mark, was hätte sie sich davon alles kaufen können, damals 1826? Doch sie sparte und ihr Vater, ein Mit-Gründer der Plöner Sparkasse, zahlte jedes Jahr Geld auf dieses Sparbuch ein.

Sparbuch der Spar- und Leihkasse Plön für Anna Sophia Henriette Gleiß, 1826–1847 © Deutscher Sparkassen- und Giroverband e.V., Sparkassenhistorisches Dokumentationszentrum

Sparbuch der Spar- und Leihkasse Plön für Anna Sophia Henriette Gleiß, 1826–1847 © Deutscher Sparkassen- und Giroverband e.V., Sparkassenhistorisches Dokumentationszentrum

Als 1826 die Sparkasse im damaligen dänischen Herzogtum Schleswig-Holstein-Plön von privaten Aktionären gegründet wurde, hieß es im „Plan zur Gründung einer Spar- und Leih-Kasse in der Stadt Plön“:

„Die Sparkasse soll jedem Einwohner der Stadt Ploen und Umgegend, ohne Unterschied des Standes und Alters, Gelegenheit geben, seinen Sparpfennig bey ihr niederzulegen.“[1]

Gerade die Wenig-Verdienenden, Gewerbetreibenden und anderweitigen Geldbedürftigen waren demnach willkommen und aufgerufen das Beiseite-Gelegte nicht mehr zu horten, also unangetastet beiseite zu legen, sondern institutionell zu sparen. Dabei lag der besondere Vorteil der Eröffnung eines Sparkontos darin, mit dem Eingezahlten Zinsen zu erwirtschaften.

Die Überzeugung, die sich zwischen den Zeilen des Gründungsplans herauslesen lässt, ist, dass es jede Menge Kleinverdiener – „Unbemittelte“ – gab, die einen finanziellen Überschuss erarbeiteten und diesen bisher nur in ihren Sparstrümpfen aufbewahrten. Eine Annahme, die sich in den Gründungsakten mehrerer früher Sparkassen findet, Armut nicht mehr als gottgegebenes Schicksal versteht. Der vernunftbegabte Mensch sei nach Immanuel Kant in der Lage, sich selbständig und selbstverantwortlich aus einer misslichen Lage zu emanzipieren und so eine individuelle finanzielle Vorsorge anzulegen. Der soziale Aufstieg sollte also in Ausübung von Fleiß und Sparsamkeit – den bürgerlichen Tugenden – erreichbar werden. Die Unterstützung der ärmeren Bevölkerungsschichten basierte auf einer grundlegenden Erwartung, „wobey man hoffet, daß sie (die ärmeren Bevölkerungsschichten) diese ihnen verschaffte Bequemlichkeit sich zur Aufmunterung gereichen lassen mögen, um durch Fleiß und Sparsamkeit dem Staate nützlich und wichtig zu werden“[2].

Annas Mutter starb nach schwerer Krankheit schon 1832. Mit nur 16 Jahren sorgte das Mädchen von nun an wahrscheinlich für die Geschwister und den Vater. Im März des Jahres 1836 schließlich starb auch der Vater, der Zollverwalter Caspar Diedrich von Gleiß, nach achttägiger Krankheit an der „galoppierenden Schwindsucht“ – der Lungentuberkulose.  Anna und ihre Geschwister wurden nun zwei Jahre lang vormundschaftlich von der Stadt Neustadt in Holstein betreut und erhielten finanzielle Unterstützung. Die Stadt erlebte Anfang des 19. Jahrhunderts durch den Hafen und Getreidehandel einen wirtschaftlichen Aufschwung.

Nach dem Ende der Vormundschaft ab 1838 waren die Gleiß‘schen Kinder auf sich alleine gestellt. Trotzdem dauerte es noch rund 10 Jahre, bis Anna Sophia Henriette von Gleiß am 7. Juli 1847 an ihren „Notgroschen“ in Höhe von 98,90 Mark gehen musste. Das Fräulein von Gleiß war 31 Jahre alt und lebte mittlerweile wahrscheinlich ledig im aufstrebenden Neustadt. Sie hatte in den zehn Jahren nach dem Tod ihres Vaters keine einzige Mark von ihrem Lohn auf das Sparkonto einzahlen können. Anzunehmen ist, dass sie auch die knapp hundert Mark sorgfältig einteilen musste.

Sparbuch der Spar- und Leihkasse Plön für Anna Sophia Henriette Gleiß, 1826–1847 © Deutscher Sparkassen- und Giroverband e.V., Sparkassenhistorisches Dokumentationszentrum

Sparbuch der Spar- und Leihkasse Plön für Anna Sophia Henriette Gleiß, 1826–1847 © Deutscher Sparkassen- und Giroverband e.V., Sparkassenhistorisches Dokumentationszentrum

Nach der Pariser Februarrevolution 1848 kam es in ganz Europa zu politischen Unruhen, und in vielen deutschen Staaten brach die März-Revolution aus. Auch im dänischen Gesamtstaat überschlugen sich die Ereignisse: Im Juli 1848 begann die Schleswig-Holsteinische Erhebung der deutschen Nationalbewegung in den Herzogtümern Schleswig und Holstein mit dem Königreich Dänemark. Not, Glück oder Voraussicht hatten Anna Gleiß dazu bewegt, ein Jahr vor Beginn des dreijährigen Krieges gegen das Königreich Dänemark ihr Geld von der Bank abzuheben und das Konto aufzulösen. Zinsen in Höhe von 35 Mark und 10 Schilling hatte sie erhalten. Ihr geringer Lohn erlaubte es ihr wahrscheinlich nicht, das Konto weiterzuführen.  Mit der Kontoschließung verlieren sich die Spuren der Anna Henriette Sophie Gleiß.

Nachweise

[1] Stadtarchiv Plön, Akte 701: P.S. Schönfeldt (königl. privil. Buchdrucker): Plan zur Gründung einer Spar- und Leih-Kasse in der Stadt Ploen, Itzehoe 1825, S. 5 § 7.

[2] Zit. Nach Josef Wysocki: Untersuchungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der deutschen Sparkassen im 19. Jahrhundert (Forschungsberichte der Gesellschaft zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung über das Spar- und Girowesen e.V., Bd. 11), Stuttgart 1980, S. 198.