Salzburg – Wien – Berlin: Der Weg einer Suche

Dr. Heike Krokowski | 8. April 2020

Initiiert vom Arbeitskreis für Provenienzforschung findet einmal jährlich im April der Tag der Provenienzforschung statt. An diesem Tag stellen Museen ihre aktuellen Forschungsansätze und Fragestellungen vor. Für den DHM-Blog beleuchten die Provenienzforscherinnen und Provenienzforscher des Hauses ihre meist detektivische Suche nach der Herkunft und den ursprünglichen Besitzerinnen oder Besitzern der Objekte. In diesem ersten Beitrag schildert Dr. Heike Krokowski ihre Recherche zum Porträtgemälde „Hofzwerg” aus dem früheren Besitz von Max Reinhardt und wieso eine Reise von Berlin nach Salzburg und Wien und schließlich zurück nach Berlin nötig war, um den Weg des Gemäldes ins Museum nachzeichnen zu können.

Wie hat man sich eigentlich eine Provenienzrecherche im Einzelnen vorzustellen? Das Beispiel eines Gemäldes im DHM zeigt, wie (zeit)aufwendig die Recherche zur Provenienz eines Kunstwerkes sein kann. Wie zahlreiche Bücher gewälzt, Archive besucht, Anfragen gestellt werden müssen, und es trotzdem manchmal dem Zufall zu verdanken ist, dass man zu einem Ergebnis kommt.

Inv.Nr. 1988/987: Anonym, „Hofzwerg“, um 1680, 82,5 x 64,5 cm DHM

Inv.Nr. 1988/987: Anonym, „Hofzwerg“, um 1680, 82,5 x 64,5 cm © DHM

Das Porträtgemälde „Hofzwerg“ erwarb das Deutsche Historische Museum 1988 im Münchener Kunsthandel. Es trägt auf der Rückseite zwei Aufkleber, die Auskunft über einen seiner früheren Besitzer geben: „Sammlung Max Reinhardt“ und „Schloss Leopoldskron Nr. 2477“. Wenn einem der Name des berühmten Theaterregisseurs und -direktors Max Reinhardt und sein legendärer Ruf für das moderne Theater nicht ohnehin geläufig ist, genügt ein Blick in die einschlägigen Quellen, um herauszufinden, dass Reinhardt aufgrund seiner jüdischen Herkunft während der nationalsozialistischen Herrschaft ins Exil gehen musste. Es war also dringend geboten, sich Klarheit zu verschaffen, wann und wie der „Hofzwerg“ seinen Besitzer gewechselt hat.

Rückseite: Aufkleber Schloss Leopoldskron, Aufkleber Sammlung Max Reinhardt

Rückseite: Aufkleber Schloss Leopoldskron, Aufkleber Sammlung Max Reinhardt

Zunächst musste ich klären, ob sich das Gemälde auch nach 1933 noch im Besitz von Max Reinhardt befand, um auszuschließen, dass das Bild vor Beginn der NS-Herrschaft verkauft wurde. Einige biographische Beschreibungen aus dem nahen Umfeld von Max Reinhardt – Erinnerungsberichte seiner zweiten Ehefrau, seines jüngeren Sohnes und seiner langjährigen Privatsekretärin – belegen die Sammelleidenschaft des großen Regisseurs. Hier werden auch einzelne Kunstwerke erwähnt, der „Hofzwerg“ aber leider nicht. Eine andere Publikation beschäftigt sich explizit mit der Enteignung und Restitution von Reinhardts Besitz im Salzburger Land, dem Schloss Leopoldskron. Die zahlreichen Hinweise auf Archivmaterial in diesem Buch versprachen Informationen zur Kunstsammlung auf Schloss Leopoldskron und ihrem Verbleib während der NS-Herrschaft.

Schloss Leopoldskron mit Weiher, um 1929, Inv.-Nr. Schönstein2186 © DHM

Schloss Leopoldskron mit Weiher, um 1929, Inv.-Nr. Schönstein2186 © DHM

Reinhardt hatte das fürstbischöfliche Schloss aus dem Spätbarock zu Ende des Ersten Weltkriegs gekauft. Er ließ es renovieren, umbauen und mit Kunstwerken aus seiner Berliner Sammlung ausstatten. 1937 gingen Max Reinhardt und seine Ehefrau, die Wiener Schauspielerin Helene Thimig, ins Exil in die USA, nach Hollywood. Als im März 1938 Österreich an das Deutsche Reich „angeschlossen“ wurde, beschlagnahmte die Gestapo Reinhardts Salzburger Besitz bereits wenige Wochen später.

Um nach Spuren des Bildes zu suchen, war also eine Reise nach Salzburg notwendig. Im Salzburger Landesarchiv existieren Akten zur Beschlagnahme und Vermögenssicherung über Reinhardts Salzburger Besitz.1 Darin befinden sich mehrere Listen mit Kunstgegenständen, die im März 1938 beschlagnahmt oder 1939 an die Gauleitung Salzburg gemeldet worden waren. Doch auch auf diesen Listen wird der „Hofzwerg“ nicht angegeben.

Die nächste Station meiner Reise war die Wienbibliothek in der Österreichischen Hauptstadt, die einen Teilnachlass von Max Reinhardt aufbewahrt.2 Zu großen Teilen besteht er aus Briefen von Rosina Gwinner, Haushälterin auf Leopoldskron, an Reinhardts Ehefrau und seine Privatsekretärin Auguste Adler. Gwinner war dafür zuständig, die im November 1938 von der Reichsregierung in Berlin freigegebenen Kunstwerke, Möbel und Haushaltsgegenstände nach Hollywood zu verschicken. Vorab sandte sie eine Liste mit den entsprechenden Gegenständen in die USA. Aber: der „Hofzwerg“ ist nicht dabei.

Liste "Freigegebene Gegenstände", November 1938, Seite 1, Ausschnitt: Auflistung der Inventarnummern 2474-2476. Wienbibliothek, ZPH 1565, Box 11, Dok. Nr. 2.4.56.

Liste „Freigegebene Gegenstände“, November 1938, Seite 1, Ausschnitt: Auflistung der Inventarnummern 2474-2476. Wienbibliothek, ZPH 1565, Box 11, Dok. Nr. 2.4.56.

Schließlich hatte ich die Hoffnung, mehr über den Verbleib des „Hofzwergs“ in der regionalen Abteilung des Wiener Bundesdenkmalamts in Salzburg, die für das Leopoldskroner Schloss zuständig war, herauszufinden. Das dortige Archiv führt Akten zur Unterschutzstellung und Restaurierung der historischen Gebäude und des Schlossparks. Besonders interessant sind die Fotoaufnahmen von den Innenräumen und einzelnen Kunstwerken aus dem Schloss. Der „Hofzwerg“ ließ sich aber weder auf den Fotografien noch auf einer Liste mit Kunstgegenständen, die nach der Restitution des Schlosses im Jahr 1950 von den Erben Max Reinhardts nach München abtransportiert wurden, entdecken.

Und doch gab diese Liste den entscheidenden Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang mit München. Denn das DHM erwarb das Gemälde bei einem Münchener Kunsthändler. Dieser erklärte auf Anfrage, man habe das Porträt einige Jahre vor dem Verkauf ans DHM auf einer Versteigerung im Münchener Auktionshaus Hugo Ruef erworben. Nun führte die Recherche also zurück nach Berlin: In der Kunstbibliothek prüfte unsere studentische Mitarbeiterin Liesa Andres Auktionskataloge und die Kunsthandelszeitschrift „Die Weltkunst“. Mit Erfolg: in einer Auktionsankündigung in der „Weltkunst“ vom 1. November 1983 wird der Verkauf einer großen Anzahl von Kunstgegenständen aus dem ehemaligen Besitz von Max Reinhardt annonciert. In seinem Katalog zur Versteigerung am 13. November 1983 berichtet das Auktionshaus Hugo Ruef, dass Max Reinhardts Sohn Gottfried die mehr als 500 Werke in den Verkauf gegeben hat. Und diesmal ist der „Hofzwerg“ mit einer Abbildung vertreten! Verwechslung ausgeschlossen. Somit führte meine Suche nach dem „Hofzwerg“ von Berlin über Salzburg, Wien und München wieder zurück nach Berlin. Die Recherche ergab, dass sein Erwerb nach erfolgter Restitution und freiwilligem Verkauf durch die Erben als unbedenklich zu betrachten ist. Zu bewundern ist das Porträt „Hofzwerg“ in unserer Dauerausstellung im Zeughaus.

Verweise

1 Salzburger Landesarchiv, AA 235/1940, VMS 4182/1953, VMS 161/45/249.
2 Wienbibliothek, Teilnachlass Max Reinhardt, ZPH 1565 und ZPH 989.