Die Spitze des Eisbergs
Das Museum für Deutsche Geschichte und das Schloss „Zur Fröhlichen Wiederkunft“
Christopher Jütte | 17. April 2020
Die Redewendung von der „Spitze des Eisbergs“ besagt, dass von einem Problem bzw. einem Sachzusammenhang nur ein sehr kleiner Teil erkennbar ist und augenfällig wird. Der viel größere Teil des Eisbergs – oder des Problems – bleibt zunächst verborgen. In diesem dritten Beitrag unserer Serie anlässlich des Tags der Provenienzforschung schildert Christopher Jütte anhand seiner Recherchen, dass es Provenienzforschende häufig mit solchen „Eisbergen“ zu tun haben.
Nach einer ersten Prüfung der Provenienz des Gemäldes mit der Darstellung des sogenannten „Altenburger Prinzenraubes“1 entschied sich das DHM 2015 für weitere Nachforschungen nach den Vorbesitzern, denn das Bild trägt auf der Rückseite einen Aufkleber, der es als vormaligen Bestandteil des Altenburger Schlossinventars ausweist. Wie aber kam das Gemälde in die Sammlungen des Deutschen Historischen Museums? Da weder Inventarbuch noch Museumsdatenbank Hinweise auf den Vorbesitzer lieferten, waren tiefergehende Recherchen nötig. Festgestellt werden konnte nur, dass das Gemälde 1958 als Teil der Sammlungen des Museums für Deutsche Geschichte (MfDG) inventarisiert wurde.
Das Museum für Deutsche Geschichte
Das MfDG wurde 1952 in Ost-Berlin mit Sitz im Berliner Zeughaus als zentrales Geschichtsmuseum der DDR gegründet. Im Zuge der Deutschen Einheit wurde es jedoch aufgelöst und die Bestände dem seit 1987 bestehenden Deutschen Historischen Museum übertragen.
Besonders in der Anfangsphase in den 1950er-Jahren wurden dem MfDG zahlreiche Objekte durch staatliche Institutionen der DDR übergeben oder übereignet. Zu einem großen Teil stammen die Objekte aus Enteignungen von Schloss- und Gutsbesitzern, sogenannten „Schlossbergungen“, die im Rahmen der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) ab Mitte der 1940er-Jahre durchgeführt wurden.
Naheliegend war daher die Frage, ob das gesuchte Gemälde aus diesem Bodenreform-Kontext stammte. Ein anderes Bild aus dem Altenburger Schloss, zu dem – im Gegensatz zum „Prinzenraub“ – ein weiterer Vorbesitzer in der Datenbank vermerkt war, erbrachte neue Recherchewege. Die neue Spur führte ins Schloss „Fröhliche Wiederkunft“ im thüringischen Wolfersdorf. Die Prüfung der Datenbank und der Inventarbücher auf die Provenienz „Wolfersdorf“ zeigte weitere zwischen 1955 und 1965 inventarisierte Objekte auf. Erwähnenswert sind hier vor allem vier große Tafelgemälde des 17. Jahrhunderts, die das Leben des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich I. (1503-1554) abbilden2 und die bereits 1955 inventarisiert wurden, drei Jahre vor dem „Prinzenraub“. Da diese Objekte auf eine noch ungeklärte Weise zusammen zu gehören schienen, entschlossen wir uns für weitere Archivrecherchen.
Ernst II. von Sachsen-Altenburg und das Schloss „Zur Fröhlichen Wiederkunft“
Das Bindeglied zwischen den Schlössern in Altenburg und Wolfersdorf ist Ernst II. von Sachsen-Altenburg (1871-1955). Er war von 1908 bis zu seiner Abdankung 1918 regierender Herzog von Sachsen-Altenburg. Sowohl das Residenzschloss in Altenburg als auch das Schloss „Fröhliche Wiederkunft“ in Wolfersdorf gehörten zu seinen Besitzungen. Das Wolfersdorfer Schloss wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zusammen mit dem restlichen Eigentum Ernsts, das seit 1943 in einer von ihm gegründeten Kulturstiftung konzentriert war, durch die Bodenreform in der SBZ erfasst und enteignet. Doch Ernst II. selbst hatte ein sehr gutes Verhältnis zur Sowjetischen Militäradministration (SMAD), das ihm lebenslanges Wohnrecht im Schloss „Fröhliche Wiederkunft“ sicherte – ein Sonderfall auf dem Gebiet der SBZ – und wovon er bis zu seinem Lebensende im März 1955 Gebrauch machte.3 Sein noch verbliebener Besitz ging in Staatseigentum über.
Nach dem Tod Ernsts II. übernahm der Rat des Bezirks Gera die Verwaltung des Schlosses. Durch die geplante Einrichtung eines Jugendwerkhofes im Schloss wurde die Räumung des Gebäudes schnell vorangetrieben. Die verbliebenen Besitztümer Ernsts II. verteilte der Rat des Kreises Stadtroda an regionale Museen. Auf Vermittlung des Ministeriums für Kultur sicherte sich das MfDG Objekte aus dem Nachlass. Die Übergabe fand laut Protokoll, das nach ausdauernden Recherchen im Hausarchiv des DHM schließlich gefunden wurde, am 19. Juli 1955 statt.4
Auf dieser Liste ist nicht nur das Gemälde mit dem „Altenburger Prinzenraub“ verzeichnet, sondern auch etwa einhundert weitere Stücke. Alle genannten Objekte sind somit nach derzeitigem Erkenntnisstand auch rechtlich nachvollziehbar in die Museumssammlung aufgenommen worden. Anhand dieses Recherchefalls zeigt sich, dass die Provenienzrecherche zu einem Einzelobjekt viele weitere, zuvor „unverdächtige“ Objekte in einen neuen Kontext stellen und damit neue „Probleme“ generieren, aber eben auch deren Herkunft und Erwerbungsumstände klären kann.
Verweise
1 Der Künstler des Bildes ist unbekannt. Der Entstehungszeitraum liegt zwischen 1525 und 1550. Zu sehen ist das Gemälde in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums.
2 Die vier großformatigen Tafelgemälde entstanden vermutlich zwischen 1620 und 1650. Der Künstler ist unbekannt. Die Bilder sind heute in der Dauerausstellung des DHM zu sehen.
3 S. hierzu: Weigelt, Sylvia: Das Wasserschloss „Zur Fröhlichen Wiederkunft“ in Wolfersdorf. Wolfersdorf 2014.
4 Das Protokoll findet sich im DHM-Hausarchiv: DHM-HArch MfDG/Rot/29.