Deutsche Kolonialgeschichte – zur Neugestaltung in der Dauerausstellung
Stephanie Neuner | 16. September 2020
Mit der Wiedereröffnung der Dauerausstellung am 1. Juli 2020 präsentiert das Deutsche Historische Museum (DHM) einen neuen Bereich zur deutschen Kolonialgeschichte. Angesichts der intensiven Diskussionen zur deutschen Kolonialgeschichte und der Kontroversen um den Umgang mit kolonialem Erbe in Museen war es dem DHM wichtig, diesen Bereich noch vor der zeitnahen Schließung der Dauerausstellung zu überarbeiten. Dr. Stephanie Neuner, Leiterin der Dauerausstellung, schildert den Ansatz dieser Neupräsentation, den sie als ersten Schritt für eine weitere Überarbeitung in einer zukünftigen Dauerausstellung sieht:
Unser neuer Ausstellungsteil zum deutschen Kolonialismus zwischen 1880 und 1914 ersetzt die bisherige, stark kritisierte Darstellung der deutschen Kolonialgeschichte. Auf rund 100 Quadratmetern beleuchtet er die Themenbereiche „Wirtschaft und Welthandel“, „Koloniale Räume und Gesellschaften“, „Herrschaft und Gewalt“ sowie „Widerstand, Selbstbehauptung und Völkermord“. Der Schwerpunkt liegt auf den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika. Ein in sich geschlossenes Kapitel widmet sich zudem der deutschen Handelskolonie Kiautschou.
Unsere Recherchen in den eigenen Sammlungen und der Austausch mit externen Wissenschaftler*innen und Museumsexpert*innen haben in der Vorbereitungsphase eines klargemacht: Der neue Ausstellungsteil kann kein endgültiges Ergebnis präsentieren, sondern stellt für das DHM und seine vielfältigen Publika eine erste Diskussionsgrundlage dar. Ziel ist es, zukünftig in einen offenen und mehrstimmigen Dialog über die deutsche Kolonialgeschichte und deren (Re-)Präsentation im Museum zu treten.
Zentraler Ansatzpunkt dieser Auseinandersetzung sind unsere Sammlungsobjekte, die wir für die neue Ausstellungssequenz beispielhaft neu befragt haben – hinsichtlich dessen, was sie zeigen, woher sie kommen, in welchen Zusammenhängen sie gesammelt und ausgestellt wurden.
Neue Sichtweisen auf koloniale Objekte
Objekte in den Beständen des DHM, die thematisch mit der deutschen Kolonialgeschichte verbunden sind, reflektieren die – oftmals abwertenden und rassistischen – Sichtweisen der Kolonisator*innen auf Menschen und Kulturen der kolonisierten Gebiete in Afrika, Asien und im Pazifik. Sie transportieren damit stereotype koloniale Bilder, die um 1900 global zirkulierten und an nachfolgende Generationen bis heute weitergegeben werden.
Verpackungen von Kakao oder Seife sowie Spielwaren führen uns vor Augen, wie rassistische Sichtweisen eine breite Kundschaft fanden. Ansprechend gestaltet, blenden solche kolonialen Alltags- und Konsumprodukte ihre Herstellungsbedingungen aus, ihre visuelle Wirkkraft und Bildsprache verzerrt und beschönigt die Realität deutscher Kolonialpolitik. Gerade weil diese Objekte nicht die ganze Geschichte oder eine eigene, von der Realität losgelöste Geschichte erzählen, werden sie im Themenbereich „Wirtschaft und Welthandel“ der gewaltsamen und bis heute nachwirkenden Zerstörung afrikanischer Kultur- und Wirtschaftsformen durch die koloniale Politik gegenübergestellt.
Auch die singulären Objekte afrikanischen oder chinesischen Ursprungs in den Sammlungen verraten durch ihre Sammlungsgeschichte – soweit wir diese kennen – mehr über die Motive der europäischen Sammler*innen und deren Objektinterpretationen als über die ursprünglichen Entstehungs- und Verwendungskontexte oder Bedeutungszuschreibungen einheimischer Gesellschaften. Es wird unsere Aufgabe sein, koloniale Objekte in unserem Museum künftig noch besser zu erforschen, sie somit deuten zu lernen und angemessen ausstellen und vermitteln zu können. Dies erfordert den Dialog mit Wissenschaftler*innen und Kurator*innen aus Ländern ehemaliger deutscher Kolonien.
Ambivalente Objekte zum Sprechen bringen
Die Sammlungsobjekte sind materielle Zeugnisse, in welche die Perspektive der Kolonisator*innen eingeschrieben sind. Trotz oder gerade wegen ihrer Ambivalenz sind sie zentrale Quellen, um zu einem kritischen Verständnis der deutschen Kolonialgeschichte und ihrer Nachwirkungen zu gelangen. Sie verdeutlichen eindrücklich das Selbstverständnis der Kolonisator*innen als Zivilisator*innen und Herrschende und geben den Blick frei auf individuelle, oftmals widersprüchliche Annäherungen und Auseinandersetzungen mit den einheimischen Gesellschaften. So geht es zum Beispiel darum, die Bildsprache kolonialer Fotografie lesen und in ihrem historischen Zusammenhang reflektieren zu lernen und dabei auch über die Verbreitung vorgefertigter Bilder mitsamt ihren Stereotypen nachzudenken: Bestimmte Postkartenmotive zirkulierten um 1900 global – Bilder etwa von pazifischen „Sehnsuchtsorten“ und ihren Bewohner*innen, aber auch Darstellungen von Gewalt gegen die Menschen in den Kolonien.
Objektbiografien ausstellen
Sammlungsobjekte werden in Ausstellungen „zum Sprechen gebracht“; sie werden mit Fragen und Aussagen entsprechend dem Zeitgeist präsentiert und in eine Erzählung eingewoben. Im Laufe einer Objektbiografie entstehen durch das Sammeln und Ausstellen viele zusätzliche Bedeutungsschichten, die wir heute in der Objektforschung abtragen und untersuchen. Die Recherche zur Sammlungsgeschichte afrikanischer Waffen führte uns beispielsweise zur Ausstellungsgeschichte dieser Exponate im Museum für Deutsche Geschichte (MfDG), der Vorläuferinstitution des Deutschen Historischen Museums in der DDR. Neben Fragen der Herkunft und des Erwerbs taten sich Informationen zur inhaltlichen Präsentation dieser Waffen auf. Vor dem Hintergrund der afrikanischen Unabhängigkeitskriege ab den 1960er Jahren dienten diese Exponate in der Dauerausstellung des MfDG zur Illustrierung des aggressiven Charakters von Imperialismus und Kapitalismus, die für die Zerstörung einheimischer Kulturen in Afrika – symbolisch dargestellt anhand der Waffen – verantwortlich waren.
Kolonialgeschichte als Beziehungsgeschichte und Geschichte von Gewalt
Die Ausstellung erzählt eine Geschichte der vielfältigen Beziehungen zwischen Kolonisator*innen und Angehörigen einheimischer Gesellschaften, etwa im Kontext der Missionsarbeit oder im Siedlungswesen. Schlaglichter auf die Praxis kolonialer Herrschaft zeigen, dass Afrikaner*innen die Kolonialpolitik trotz des starken Machtgefälles zwischen sich und den Kolonisator*innen auch mitgestalteten.
Einheimische Männer und Frauen werden in der neuen Ausstellungssequenz auf unterschiedliche Weisen sichtbar: als Kooperationspartner*innen wie als Gegner kolonialer Politik, als Arbeitssklaven oder medizinische Versuchspersonen, als hilflose Opfer von Willkür und Gewalt. Beispielhaft für afrikanische Akteure stehen bekannte Protagonisten wie Hendrik Witbooi oder Rudolf Duala Manga Bell, deren Biografien die Ausstellung hervorhebt. Afrikanische Zeitzeugen kommentieren in Audiobeiträgen die historische Darstellung in der neuen Ausstellungssequenz, etwa im Kontext der Kolonialkriege.
Rassismus bildete die Grundlage deutscher Kolonialherrschaft, die nur durch Gewalt aufrechterhalten werden konnte. Voraussetzung und allgegenwärtiges Mittel deutscher Kolonialpolitik waren Zwang und Ausbeutung, basierend auf der Annahme, der „zivilisierteren“ Gesellschaft anzugehören und damit das Recht zu besitzen, Territorien „inwertzusetzen“ und „Herrschaft“ auszuüben. Sie gipfelte in den Kolonialkriegen und dem Völkermord an den Herero und Nama in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia. Die Exponate zeigen vor allem die Perspektiven der Kolonisator*innen; sie sind erschütternde Dokumente der brutalen Gewaltverbrechen im damaligen Deutsch-Südwestafrika. Der eindrückliche Bericht eines Nama, der in einem deutschen Konzentrationslager auf den sogenannten Haifischinseln inhaftiert war, stellt die Täterperspektive dem Blick eines unmittelbar Betroffenen gegenüber.
Erinnern an die deutsche Kolonialgeschichte
Wie wollen wir mit der deutschen Kolonialgeschichte und ihrer materiellen Überlieferung in einem Geschichtsmuseum wie dem Deutschen Historischen Museum künftig umgehen? Die Erinnerung an die deutsche Kolonialzeit muss gesellschaftlich immer wieder aufs Neue verhandelt und in Museen neu dargestellt werden. Es ist ein unumgänglicher Weg, die materielle Kultur des Kolonialismus nicht nur im Stadtraum bei Denkmälern und Straßennamen, sondern auch in Museumssammlungen neu zu diskutieren, an sie immer wieder Fragen zu richten und darüber aus unterschiedlichen Perspektiven ins Gespräch zu kommen. Die so gewonnenen Erkenntnisse werden für die Darstellung des deutschen Kolonialismus in einer zukünftigen neuen Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums wichtige Wegweiser sein.