Pandemie als Brennglas
Julia Franke | 24. März 2021
Seit mehr als einem Jahr prägt die Corona-Pandemie den Alltag der Menschen. Der erste Lockdown in Deutschland begann Mitte März vergangenen Jahres, inzwischen sucht die Politik nach Wegen aus dem zweiten Lockdown. Die Einschnitte der Corona-Pandemie haben ihre Spuren hinterlassen. In unserer Serie geben fünf Sammlungsleiter*innen Einblicke, wie die Corona-Pandemie Einzug in die Sammlung des Deutschen Historischen Museums gehalten hat. Julia Franke, Leiterin der Sammlung Alltagskultur, stellt drei Objekte vor, denen die Pandemie ebenso wie ihre gesellschaftlichen Folgen eingeschrieben ist.
Die Covid-19-Pandemie wurde schon in den ersten Monaten 2020 mit einem Brennglas verglichen, das bestehende gesellschaftliche Probleme noch klarer hervortreten lässt. So verstärkte die Pandemie etwa das Sterben der Innenstädte, konnte doch im Jahr 2020 ein Anstieg des Online-Handels um bis zu 30 Prozent registriert werden. Zudem verschärfte sich die soziale Ungleichheit, beispielsweise durch den Wegfall des Präsenzunterrichts an deutschen Schulen.
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie – darunter insbesondere die Lockdowns im Frühjahr 2020 und im Winter 2020/21 – brachten zahlreiche Herausforderungen mit sich: Kontaktbeschränkungen, das Zurückgeworfensein auf beengte Wohnverhältnisse sowie der Umgang mit wirtschaftlichen Sorgen bedingt durch Kurzarbeit oder den Verlust des Arbeitsplatzes. Belastungen entstanden durch die Betreuung kleiner Kinder zuhause oder das home schooling – oftmals parallel zu den eigenen beruflichen Aufgaben. Diese Herausforderungen im Alltag gehören zu den Gründen für eine Zunahme häuslicher Gewalt während der Pandemie. Bereits im Mai 2020 startete die Hilfsorganisation WEISSER RING e.V. ihre Kampagne „Schweigen macht schutzlos“. Weil viele Menschen in Deutschland ohnehin (oft selbstgenähte) Masken zur Bedeckung von Mund und Nase trugen, produzierten Organisationen wie der WEISSE RING Stoffmasken mit ihren Botschaften, um auf die Gewalt hinter geschlossenen Türen aufmerksam zu machen. Im Frühjahr und Sommer 2020 wurde das Tragen einer Maske zu einem Ausdruck gesellschaftlicher Rücksichtnahme und Solidarität. Im Verlauf des Jahres sollten die Stoffmasken dann allerdings zunehmend von den sichereren OP- und FFP2-Masken abgelöst werden.
Neben der Bedeckung von Mund und Nase, die im Verlauf des Jahres 2020 bei der Deutschen Bahn oder im öffentlichen Personennahverkehr zur Pflicht wurde, galt und gilt Abstandhalten als wichtige Präventionsmaßnahme. Rasch folgten den geltenden Maßnahmen grundsätzliche Debatten wie Diskussionen um ein Versammlungs- und damit ein Demonstrationsverbot.
Für den Aktionstag des Bündnisses #unteilbar am 14. Juni 2020 in Berlin wurden deshalb farbige Flatterbänder an die Demonstrierenden ausgegeben. Die drei Meter langen Bänder ermöglichten es, Abstand und so die Ansteckungsgefahr gering zu halten. Ein zu enger Kontakt wurde durch diese – „Band der Solidarität“ genannte – Aktionsform vermieden. Die farbigen Bänder dienten gleichermaßen als gestalterisches Element und schufen im Sommer 2020 neuartige Bilder von Demonstrationen.
Das Erscheinungsbild des SARS-CoV-2-Virions, also eines einzelnen Virus-Partikels, wurde in stilisierter Form mit seinen abstehenden virentypischen Stacheln zu einem Symbol für das Virus und zum Warnsymbol für die Ansteckungsgefahr. In der Vorweihnachtszeit 2020 produzierte das Düsseldorfer Studio Deepe Gefühle einen virenförmigen Weihnachtsbaumschmuck. Dieser wurde mit einem 3-D-Drucker hergestellt, anschließend sandgestrahlt und von Hand lackiert. Das Virion, das sich mit einer Größe von 60 bis 140 Nanometern in Aerosolen und Tröpfchen befinden kann, wurde durch seine Vergrößerung zum Weihnachtsbaumanhänger zu einer erträglichen, ironisch-augenzwinkernden Materialität transformiert. Diese symbolische Bemächtigung des Virus verweist zudem ebenfalls auf gesellschaftliche Verwerfungen: Der Erlös des Verkaufs geht an das internationale Bündnis Seebrücke.