Wie die Turnhose Ernst Thälmanns ins Museum kam – Eine Schenkung des Instituts für Marxismus-Leninismus an das Museum für Deutsche Geschichte
Christopher Jütte | 13. April 2022
Zu den Aufgaben eines Museums gehört die kontinuierliche Untersuchung der Sammlungsbestände hinsichtlich ihrer Herkunft. Den Tag der Provenienzforschung am 13. April nimmt Christopher Jütte, Provenienzforscher am DHM, zum Anlass, eine Schenkung des Instituts für Marxismus-Leninismus aus dem Jahr 1962 vorzustellen.
Seit der Deutschen Einheit 1990 gehören zur Sammlung des DHM auch die Bestände des früheren Museums für Deutsche Geschichte (MfDG). Dessen Sammlungen speisten sich zu einem großen Teil aus Überweisungen und Schenkungen von staatlichen Institutionen und Akteuren der DDR. Um sicher zu gehen, dass sich dahinter kein unrechtmäßiger Kulturgutenzug verbirgt, unterzieht die Provenienzforschung am DHM diese Erwerbungen einer kritischen Prüfung. So werden jenseits eines möglichen Entzugskontexts interessante Geschichten zu den Objekten sichtbar.
Zu den staatlichen Akteuren zählte auch das Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), kurz: IML. Eine Schenkung des IML soll in diesem Beitrag näher beleuchtet werden.
Am 7. März 1962 fand in der Eingangshalle des MfDG, ansässig im Berliner Zeughaus, eine „Öffentliche Geschenkübergabe“ statt. Aus dem Programm der Veranstaltung[1] geht hervor, dass verschiedene Schenker*innen dem Museum an diesem Tag Gegenstände überließen. Dazu gehörten u.a. die Dresdner Malerin und Grafikerin Lea Grundig und der Berliner Maler und Plastiker Hans Mocznay, die beide eigene Kunstwerke übergaben. Eine besonders umfangreiche Schenkung wurde dem MfDG aber durch Vertreter des IML übertragen. Das IML hatte sich im September 1949 aus dem bereits zuvor bestehenden wissenschaftlichen Forschungsinstitut beim Parteivorstand der SED heraus entwickelt.[2] Zu den Aufgaben des IML gehörte neben der Herausgabe und Edition der Werke von Karl Marx, Friedrich Engels, Wladimir I. Lenin und anfänglich Josef Stalin auch die Erforschung der deutschen und der internationalen Arbeiterbewegung. Zu diesen Zwecken betrieb das IML den Aufbau einer umfangreichen Spezialbibliothek sowie eines Archivs, das Dokumente und Materialien zur Geschichte der Arbeiterbewegung zusammentragen sollte.[3] Zu vermuten ist, dass in diesem Zusammenhang auch die Objekte an das IML gingen, die es später dem Museum schenkte.
Das 1952 gegründete MfDG hatte als nationales Geschichtsmuseum der DDR den Auftrag ein marxistisches Geschichtsbild zu vermitteln. Um dieser Aufgabe nachkommen zu können, sammelte und bewahrte es zahlreiche Objekte, die aus dem Besitz von bedeutenden Personen der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung stammten oder mit diesen in Verbindung standen. Zur Schenkung des IML zählten eine Kranzschleife vom Grab August Bebels, die Amtsrobe des Anwaltes Hans Litten, Fahnen der KPD und der SED, KPD-Mitgliedsbücher und verschiedene Objekte, die mit der politischen Verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus verknüpft sind. Aus dem Konvolut stechen besonders die Gegenstände aus dem Nachlass des KPD-Politikers Ernst Thälmann hervor. Im Anhang des zwischen dem MfDG und dem IML geschlossenen Übergabeprotokolls[4], datiert auf den 2. März 1962, werden dreizehn Gegenstände aus dem Thälmann-Nachlass aufgeführt, darunter auch solche, die zunächst für eine museale Präsentation zunächst nicht sonderlich interessant erscheinen, so wie etwa eine rote Turnhose und fünf Krawatten. Warum diese Objekte für das IML und das MfDG sammelwürdig waren, ergibt sich aus der besonderen Stellung, die Ernst Thälmann in der Erinnerungskultur der DDR einnahm.
In der Weimarer Republik war Thälmann zwischen 1925 und 1933 als Vorsitzender der KPD der führende deutsche kommunistische Politiker und wurde nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 3. März 1933 inhaftiert. 1944 wurde Thälmann im Konzentrationslager Buchenwald erschossen. In der DDR wurde Thälmanns Wirken verklärt und er selbst als Held verehrt, so gab es beispielsweise zahlreiche Denkmäler und eine nach ihm benannte Jugendorganisation. Laut Herfried Münkler war Thälmann eine Ikone des Gründungsmythos der DDR. Er war „die Identifikationsfigur Nummer eins der DDR“ und „der wichtigste Märtyrer des Sozialismus“.[5] Vor diesem Hintergrund hat auch das MfDG Devotionalien aus seinem Nachlass als besonders sammelns- und bewahrenswert angesehen. So war beispielsweise die Turnhose bis 1989 in der Dauerausstellung des Museums für Deutsche Geschichte zu sehen.
Warum aber gab das IML diese Objekte an das Museum ab? Der damalige Direktor des IML, Ludwig Einicke, begründete die Entscheidung in einem im Vorfeld der Übergabe entstandenen Schreiben an das MfDG folgendermaßen:
„Im Besitz unseres Instituts befindet sich ein ziemlich umfassender Bestand an musealen Gegenständen aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Diese Gegenstände wurden von den Mitgliedern unserer Partei, oft unter Einsatz ihres Lebens, über die Zeit des Faschismus hinaus gerettet und blieben somit unserem Volke erhalten. Das Museum für Deutsche Geschichte als würdige Pflegestätte deutscher humanistischer und revolutionärer Traditionen ist dazu berufen, auf musealem Gebiet unserem Volke die Geschichte für die Gegenwart nutzbar zu machen. Wir haben deshalb beschlossen, unseren gesamten Bestand an musealen Gegenständen dem Museum für Deutsche Geschichte zu übereignen.“[6]
Einicke benannte das MfDG als den geeigneten Ort, um derlei Gegenstände der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und gleichzeitig unter „revolutionären“ Vorzeichen ideologisch aufzuladen. Der im Zitat aufgeführte Topos des „Überlebens“ unter und des „Rettens“ vor der nationalsozialistischen Herrschaft, wurde häufig auch für die Aufnahme bestimmter Objekte in die Sammlungen des MfDG bemüht. So galten Relikte der Arbeiterbewegung bzw. von Kommunist*innen, die aus einer Zeit vor dem „Dritten Reich“ hinübergerettet wurden, als besonders wertvoll. Ob in der auf die Geschenkübergabe folgenden „zwanglosen Aussprache“ im kleinen Kreis auch über die Turnhose Ernst Thälmanns gesprochen wurde, muss wohl offenbleiben.
Verweise:
[1] Programm anlässlich der Übergabe von Geschenken an das Museum für Deutsche Geschichte, DHM-HArch, MfDG/Rot/002, o.Bl.
[2] Gräfe, Sylvia, Einleitung des Online-Findbuches „Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED“ im Bundesarchiv, Berlin Juni 2016. Online: http://www.argus.bstu.bundesarchiv.de/dy30iml/index.htm, zuletzt eingesehen: 28.03.2022.
[3] Ebd.
[4] Anhang zum Übergabeprotokoll für das „Museum für Deutsche Geschichte“, DHM-HArch MfDG/Rot/002, o. Bl.
[5] Münkler, Herfried: Antifaschismus als Gründungsmythos der DDR. Abgrenzungsinstrument nach Westen und Herrschaftsmittel nach innen. In: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. (Hrsg.): Der Antifaschismus als Staatsdoktrin der DDR, Sankt Augustin 2009. S. 40. Online: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=d9f3e645-bbd3-ac13-76b1-b571958ec05e&groupId=252038, zuletzt eingesehen: 29.03.2022.
[6] Schreiben des Direktors des IML, Ludwig Einicke, an das MfDG, 15. Februar 1962, DHM-HArch MfDG/Rot/002, o. Bl.
Christopher JütteChristopher Jütte ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter für Provenienzforschung am Deutschen Historischen Museum mit dem Schwerpunkt Sowjetische Besatzungszone (SBZ) und DDR. |