Wozu das denn? Eine Acht-Stunden-Uhr
Laura Groschopp und Eleonora Roldán Mendivil | 29. April 2022
Warum ist gerade eine kleine englische Taschenuhr von großer Bedeutung für die Geschichte der Arbeiterbewegung[1]? Dieser Frage gehen Laura Groschopp aus der Abteilung Kommunikation und Eleonora Roldán Mendivil aus dem Fachbereich Bildung und Vermittlung in der Ausstellung „Karl Marx und der Kapitalismus“ nach.
Im Bereich „Kämpfe und Bewegungen“ der Ausstellung „Karl Marx und der Kapitalismus“ ist eine Taschenuhr in einer Vitrine zu sehen. Es handelt sich dabei um eine sogenannte Acht-Stunden-Uhr, die mit der gravierten Umschrift von den Ursprüngen des Kampfes nach besseren Arbeitsbedingungen erzählt. Eng verknüpft ist der Kampf um den Achtstundentag mit dem 1. Mai, der bis heute in vielen Ländern als Internationaler Tag der Arbeiterbewegung begangen wird.
Der das Ziffernblatt umrahmende Schriftzug formuliert eine der zentralen Forderungen der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts: „We require 8 hours for work 8 hours for our own instruction and 8 hours for repose”.[1] Auf der Rückseite wird die kämpferische Losung um das transnationale Leitbild der Arbeiterbewegung verstärkt: „Workingmen of every country unite together to defend your rights”[2] steht ebenfalls kreisförmig entlang des Uhrenrandes geschrieben. Visualisiert wird dieser Aufruf mit einer Abbildung zweier Arbeiter, die sich, geeint durch eine Frauenfigur, die Hand geben. Die Taschenuhr mit einem Durchmesser von sechs Zentimetern ist eine von zwölf Uhren dieser Art, die vermutlich in den 1860er Jahren anlässlich der Versammlung der Internationalen Arbeiterassoziation in London gefertigt wurden. Es handelt sich damit um eines der frühsten Exemplare der aufgrund von Gravur und Inschrift so genannten Acht-Stunden-Uhr. Ab den 1880er Jahren wurden solche Uhren auch in Deutschland und Italien hergestellt.
Die auf der Taschenuhr offensiv proklamierte Forderung nach dem Achtstundentag wurde erstmals von Karl Marx beim Genfer Kongress der Internationalen Arbeiterassoziation im September 1866 eingebracht. Er forderte „8 Arbeitsstunden als gesetzliche Schranke des Arbeitstages“[3]. Der Anlass für die Forderung war der während der Industrialisierung stärker werdende Druck, den die Unternehmer*innen auf die Arbeiter*innen ausübten. Die durchschnittliche Arbeitszeit lag häufig bei 14 bis sogar über 16 Stunden pro Tag. Angesichts dessen sowie schwerer Frauen- und Kinderarbeit setzte bald eine Bewegung ein, um die Unternehmermacht einzuschränken: Arbeiter*innen verliehen mit Streiks ihren zentralen Forderungen nach humaneren Arbeitszeiten, verbesserten Arbeitsbedingungen und Lohnerhöhungen Nachdruck.
Die Arbeiterbewegung in Europa war zunächst lose organisiert und verfügte noch nicht über ausreichend Kraft und Einfluss, um insbesondere das Ziel eines Achtstundentages durchzusetzen. Wichtige Treibkraft für die internationale Arbeiterbewegung wurden die neuen Industriezentren in den USA und Kanada. Die Erfahrungen von Immigrant*innen europäischer Siedlungskolonien verliehen der Bewegung mehr Kraft – radikalisierten sie aber auch zunehmend.
Am 1. Mai 1886 versammelten sich in den USA eine halbe Million Arbeiter*innen unterschiedlichster Branchen, um den Normalarbeitstag von zwölf auf acht Stunden zu verkürzen. Aufgerufen hatten unter anderem die radikale Gewerkschaft The Knights of Labor, in der sich sowohl gelernte als auch ungelernte Arbeiter*innen, Arbeiter*innen unterschiedlicher Herkunft als auch Schwarze Arbeiter*innen organisierten. Auch die wesentlich größere American Federation of Labor, in der ungelernte Arbeiter*innen, Frauen und Schwarze nicht willkommen waren, rief zum Streik auf. Bei der größten Streikversammlung auf dem Haymarket in Chicago nahmen rund 90.000 Menschen teil.[4] Chicago war in den Jahrzehnten zuvor massiv durch die Industrialisierung und der damit verbundenen europäischen Immigration gewachsen. Nicht wenige der Immigrant*innen waren alte „Achtundvierziger“, kampferfahrene Radikale aus allen Ecken Europas.[5] Nachdem angeheuerte Streikbrecher*innen und die Polizei drei Tage lang versuchten, den Streik gewaltvoll zu beenden und es bereits mehrere Verletzte und einen toten Arbeiter gab, explodierte am 4. Mai eine Bombe in den Reihen der Polizei. Dutzende Polizisten wurden verletzt, sieben kamen ums Leben. Die Polizei schoss daraufhin wahllos in die Menge. Vier Streikende starben, sieben Deutsche und ein Amerikaner kamen in Haft und wurden wegen ihrer politischen Überzeugungen der Morde an den Polizisten für schuldig befunden. Vier wurden hingerichtet und vier im Nachgang begnadigt.[6]
Auf die Vorkommnisse am Chicagoer Haymarket Square bezog sich die Sozialistische Internationale, als sie den 1. Mai 1890 zum Kampftag der Arbeiterbewegung ausrief. Die Arbeitszeitverkürzungen, die dadurch erwirkt wurden, waren aber weiterhin nicht im Gesetz verankert. Erst um 1900 kam es in vielen europäischen Ländern zu gesetzlichen Regelungen der Arbeitszeit. Am 23. November 1918 wurde in Deutschland der Achtstundentag gesetzlich festgeschrieben. Der Kampf um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen war damit aber nicht beendet: Bis heute kämpfen Gewerkschaften für die Interessen der arbeitenden Bevölkerung.
Verweise
[1] Da es sich hierbei um einen feststehenden Begriff handelt, verzichten wir an dieser Stelle auf die gendergerechte Anpassung.
[2] Auf Deutsch: „8 Stunden für die Arbeit, 8 Stunden für den eigenen Unterricht und 8 Stunden für die Erholung.“
[3] „Arbeiter aller Länder vereinigt euch, um gemeinsam eure Rechte zu verteidigen.”
[4] Marx, Karl: Instruktionen für die Delegierten des Provisorischen Zentralrats zu den einzelnen Fragen. In: MEW, Bd. 16, S. 192
[5] 1. Mai: Warum der Tag der Arbeit ein Kampftag ist, https://www.youtube.com/watch?v=KeoFlqbFZLw
[6] Friederike Hausmann (1998): Die Deutschen Anarchisten von Chicago oder warum Amerika den 1. Mai nicht kennt, Berlin, S. 44.
[7] The Haymarket Square Riot & The Fight For Workers Rights, https://www.youtube.com/watch?v=wHRL4hlYJvg, Friederike Hausmann (1998): Die Deutschen Anarchisten von Chicago oder warum Amerika den 1. Mai nicht kennt, Berlin.
Eleonora Roldán MendívilEleonora Roldán Mendívil ist Politikwissenschaftlerin und promoviert seit 2020 über das Verhältnis von Ausbeutung und Unterdrückung im modernen Kapitalismus an der Universität Kassel. Seit 2016 unterrichtet sie an verschiedenen Universitäten und Hochschulen u.a. zu den Themen Geschichte und Theorie des Kapitalismus, Arbeiter- und Frauenbewegung und (Anti-)Kolonialismus. Seit Mai 2021 ist sie Bildungsreferentin in der Abteilung Bildung und Vermittlung des DHM. |
Laura GroschoppLaura Groschopp ist Kunsthistorikerin und Kulturmanagerin mit den wissenschaftlichen Schwerpunkten Kommunikation, Bild- und Mediengeschichte und Modefotografie. Sie war für die strategische und digitale Kommunikation sowie für das Marketing und die Medienarbeit verschiedener Institutionen verantwortlich. Seit September 2021 ist sie in der Kommunikationsabteilung des DHM tätig. |