Leitfäden für die Dame à la page: französische Modekupfer des 19. Jahrhunderts

Valeria Butera | 17. August 2022

Die französische Mode prägte stark den Geschmack in Europa im 19. Jahrhundert. Dazu haben Modezeitschriften und Modekupfer beigetragen. Sie boten nicht nur das Diktat der Mode und der Eleganz tout court, sondern indirekt auch ein historisches Dokument über Sitten und Gebräuche einer Gesellschaft, schildert Valeria Butera, Mitarbeiterin Sammlung Angewandte Kunst und Grafik in ihrem Beitrag zur Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“.

Modekupfer[1] – Modebilder, die als Einzelblätter in Modezeitschriften eingebunden waren – hatten in Frankreich eine sehr lange Tradition, mindestens seitdem Michel de Marolles, ab Mitte des 17. Jahrhunderts die „habits de nations“ sammelte.[2] Diese Stiche boten einen Überblick über Trachten anderer Länder, die in der Tat schon ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts europaweit Aufmerksamkeit erregten: Über Deutschland mit dem Trachtenbuch von Hans Weigel mit Holzschnitten von Jost Ammans[3] bis Italien mit der Publikation von Cesare Vecellio, De Gli Habiti Antichi, Et Moderni di Diverse Parti del Mondo[4]. Nichtsdestotrotz waren solche meist geografisch, teilweise nach Epochen oder Ständen gegliederten Trachtenbücher als Vorläufer der Modezeitschriften eher ein Ausschnitt aus dem Welttheater und Bestandteil einer Wunderkammer, weniger ein Medium, das die ständigen Veränderungen der Mode dokumentierte. Zudem entsprach die Mode der höfischen Kleiderordnung. Mit dem Aufkommen periodischer Erscheinungen und höheren Auflagezahlen erreichten Modezeitschriften erst Ende des 17. Jahrhunderts das wachsende bürgerliche Lesepublikum.

Abbildung 1: Modedarstellung französischer Frauen in Begleitung eines Herren, aus Les modes parisienne reunies, 1854 © DHM

Das Debüt der Modezeitschriften in Frankreich war der Mercure Galant,[5]welcher in Paris monatlich zwischen 1672 und 1714[6] und ab 1678 auch in Lyon, Toulouse und Den Haag veröffentlicht wurde. 1728 folgte Le Cabinet des Nouvellistes[7] und ab Ende der 1770er eine Vielfalt von Magazinen, u.a. die Gallerie des Modes et Costumes français, eine der schönsten und kostbartesten Publikation dieses Genres.[8]

Im 19. Jahrhundert stieg Frankreich zum Pionierland der Modezeitschriften auf. Titel wie Journal des Dames et des Modes (ab 1797), Petit courier des Dames (ab etwa 1821), Le Follet (ab 1829) sind nur einige der erfolgreichsten französischen Publikationen zum Thema. Im Jahr 1852 zählte man in Frankreich etwa vierzig Zeitschriften, die Hälfte davon erfolgreich etabliert.[9]

Modezeitungen bestanden nicht nur aus Modellen mit Begleittexten, die Schnittmuster und Stoffe beschrieben und Hinweise für Schneider*innen gaben, sondern auch aus Berichten über Trends in Politik, Theater, Innenarchitektur, Kindererziehung, Musik, Haushalt oder Gartengestaltung. Somit sind diese Publikationen überwiegend als allgemeine Gesellschaftsblätter zu betrachten. Diese literarisch-kulturellen Zeitschriften verbreiteten sich in ganz Europa sehr schnell und fanden in dem in Weimar gegründeten Journal des Luxus und der Moden (1787 bis 1812 und bis 1827 mit anderen Titeln) und in der in Leipzig erscheinenden Zeitung für die elegante Welt[10] (1801 bis 1859) entsprechende Pendants zu französischen Publikationen.

Abbildung 2: Modedarstellung französischer Frauen, aus Les modes parisienne reunies, 1854 © DHM

Obwohl aus Sicht vieler Kritiker*innen die Qualität der Stiche ab etwa 1830 abnahm, sind die Jahre zwischen 1830 und 1870 diejenigen der größten Expansion der Modemagazine, auch bezüglich der Auflagenhöhe von über 100.000 Exemplaren um die Mitte des Jahrhunderts.[11] Le Moniteur de la Mode (ab 1843) ist ein Beispiel dafür. Für die Magazine hat der Künstler und Illustrator Jules David (1808 bis 1892) bis zu seinem Tod Zeichnungen entworfen und gilt als Erneuer des Genres, indem er die Modelle im Interieur oder beim Spaziergang in bürgerlichen Kulissen dargestellt hat.[12]

Normalerweise ist der Hintergrund in Modezeitschriften kein festes Element der Darstellung. Bei vielen Modekupfern ist er weggelassen oder, falls anwesend, ist er minimalistisch und funktionell, um die Kleider in einer möglichen Situation zu präsentieren. Denn die Kleidung ist der echte Protagonist, das Mannequin nur ein Stereotyp, kein Porträt.

Aus der Grafiksammlung des DHM sind aktuell sechs[13] kolorierte Modekupfer aus einem Frauenmagazin, Les modes parisienne reunies, Jahrgang 1854, innerhalb des Kapitels „Eros“ in der Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“ zu sehen (Abb. 1-3). In räumlicher und gedanklicher Nähe zu einem wundervollen seidenen Damenkleid aus der Textilsammlung (siehe Ausstellungansicht oben) stehen sie für den Hang des Komponisten zu erlesenen Stoffen, Mustern und Farben, mit denen er sich privat umgab und schmückte. Wie auch immer man seinen Hang zum Luxus beurteilen mag: In Modefragen war Wagner stets auf der Höhe der Zeit, wohl auch Dank der Modezeitungen.

Abbildung 3: Modedarstellung französischer Frauen, aus Les modes parisienne reunies, 1854 © DHM

Trotz ihres französischen Titels wurde die Zeitschrift Les modes parisienne reunies für das deutsche Publikum herausgegeben, um die Pariser Mode bekannt zu machen. Paris galt als Quintessenz der Eleganz und des Stils. Die flächendeckende Präsenz von Schnittmustern aus Pariser Zeitschriften, gegebenenfalls mit veränderten Farben und Kombinationen, in unterschiedlichen (oft internationalen) Magazinen, ist ein Beweis dafür (Abb. 1 und 4).[14]

Die Modekupfer der Les modes parisienne reunies, die wöchentlich erschienen, zeigten sowohl das Outfit für mondäne Ereignisse, zum Beispiel Ball- oder Theaterabende, als auch Kleider und Accessoires für die Visitentoiletten oder sogar für ein Karnevalfest. 

Elegante Kleider aus bunten Seiden- und Satinstoffen mit Rüschen, Spitze, Schleifen und Volants, enger Taille auf natürlicher Höhe und abfallender Schulterlinie (Abb. 1), die der weiblichen Figur eine Sanduhrsilhouette verlieh, sollten in der Abendgarderobe der Dame á la page nicht fehlen.

Was zuerst bei dieser Damenmode auffällt, sind die steifen und bauschigen Unterröcke. Die aus Rosshaar bestehende Krinoline (erfunden 1850) stützte die ausladenden Reifröcke, deren Durchmesser bis zwei, zweieinhalb Meter anwuchs[15] und den Oberkörper noch schmaler aussehen ließ.

Auf einem Blatt (Abb. 2) sehen wir die Lieblingskleidungstücke für die „Promenaden-Toilette“, wie die Casaquin oder Mantille[16], ein hüftlanges tailliertes Mäntelchen aus Taffet und einen mit Blumen garnierten Strohhut. Der Hut oder die Schute – eine Kopfbedeckung bestehend aus einem hohen Kopf mit breiter Krempe und breiten Bändern zum Knoten unter dem Kinn – wurden schnell zu unverzichtbaren Bestandteilen der Frauenmise in der Öffentlichkeit. 

Ab und zu taucht in Modezeitschiften für das weibliche Lesepublikum auch Männermode auf – aber fast mehr als Ergänzung. In einem Modekupfer in der Ausstellung (Abb. 1) prunkt ein Herr mit enger, präzise geschnittener Tuchhose, einem mit Pelz gefütterten Mantel und einem Zylinderhut. Unter den Accessoires durfte der Spazierstock selten fehlen. Die Männermode wurde nach und nach schlichter: ein niedrigerer, steifer Hut und ein zweckmäßiges Sakko ersetzten im Alltag den Zylinder und das Oberteil des Fracks.[17] Außerdem muss man feststellen, dass die Männermode in den 1840er und 1850er-Jahren ihren Grundschnitt nicht sehr modifizierte – im Gegensatz zur Damenmode, die sich neu definieren musste.[18]

Seit den 1820er-Jahren und noch mehr mit dem Pomp des zweiten Kaiserreichs (1852 bis 1870) verwandelte sich der antikisierende Schnitt der napoleonischen Ära in komplett neue Formen, die sich nun vermehrt auf die Feinheit der Rokokozeit bezogen und aus diesem Grund „zweites Rokoko“ genannt wurde. Die Taille war wieder an ihrer natürlichen Stelle, aber ungünstig modelliert – mindestens aus einer gesundheitlichen Sicht: Quälend enge Korsette betonten die sogenannte Wespentaille. Diese scheinbar ästhetische Moderichtung hatte bei einer genauen Betrachtung auch eine soziale Auswirkung: bei einer so geringen Bewegungsfreiheit der Frauen traten die Repräsentationszwecke der Damen der Oberschicht, die nicht arbeiten müsste, in den Vordergrund. Bequemlichkeit war kein Anspruch an Mode.[19] 

Abbildung 4: Modedarstellung aus La Mode: revue des modes, galerie de moeurs, album des salons, [Paris], 5. Januar 1854, Paris, Bibliothèque nationale de France (Source gallica.bnf.fr / BnF).

Diese pompöse und – aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts bestimmt – unbequeme Mode sprach die edlen Damen der Hochgesellschaft, aber auch diejenige der Mittel- und Kleinbourgeoise an. Die Expansion der Textilindustrie und die Aufschwung der Chemieindustrie erlaubten die Beschleunigung und die Preissenkung bei der Herstellung von Farben,[20] Stoffen, Spitzen und Stickereien, ähnlich wie bei der Bearbeitung von Rohstoffen und Textilien aus den Kolonien.

Selbstnäher*innen konnten außerdem dank der ab den 1860er-Jahren „eingebürgerten“ Nähmaschinen und der preisgünstigeren Modefachzeitschriften mit Anleitung über Schnittmuster ihre favorisierten Kleidungstücke selbst herstellen. Damit spaltete sich der Fokus der Modezeitschriften in Fachblätter einerseits und in Modemagazine andererseits, die über Verhaltensweisen, Theater- und Operninszenierungen, literarische Erscheinungen, Sportmethoden bis hin zu Kur- und Badeorten berichtete und den Lesenden ermöglichte, stets am Puls der Zeit zu sein.  


Verweise:

[1] Der eingebürgerte Begriff Modekupfer bezieht sich auf die ersten, handkolorierten Kupferstiche bzw. Radierungen. Die Bezeichnung blieb aber weiterhin gängig, obwohl ab den 1840er-Jahren die angewandte Technik für die Illustrationen meistens der Stahlstich war. Außerdem wurde ab den 1850er-Jahren auch der Holzstich eingesetzt, was einen gleichzeitigen Druck von Letternsatz, aber leider nicht von kolorierten Bildern ermöglichte. Vgl. Kunstgewerbe Sammlung der Stadt Bielefeld – Stiftung Huelsmann, Streit der Moden. Modejournale von 1870 bis 1930, [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Museum der Kunstgewerbesammlung der Stadt Bielefeld/Stiftung Huelsmann, 25.10.1996 – 02.02.1997], Bielefeld, 1997, S. 11 (ab jetzt zitiert Bielefeld 1997).

[2] Gaudriault, Raymond. La gravure de mode feminine en France, Paris: les Edition de l’Amateur, 1983, S. 7.

[3] Weigel, Hans. Habitus praecipuorum populorum tam virorum quam feminarum singulari arte depicti = Trachtenbuch, Nürnberg: Weigel, 1577.

[4] Cesare Vecellio, De Gli Habiti Antichi, Et Moderni di Diverse Parti del Mondo Libri Due, Venedig: Zenaro, 1590.

[5] Nicht so unterschiedlich zu einem Feuilleton behandelten die Galante Zeitschriften Themen des kulturellen Gesellschaftslebens und keine Politik. Vgl. Völkel, Anika. Die Modezeitschrift. Vom „Journal des Luxus und der Moden“ zu „Brigitte“ und „Elle“, Hamburg: Verlag Dr. Kovač, 2006, S. 36.

[6] 1675 bis 1676 nicht erschienen.

[7] Le Cabinet des Nouvellistes, ou les Nouvelles du Tems mises en Figures, contenant un recueil général de toutes les curiosités, nouveautés et événemens qui arrivent chaque mois dans toutes les parties de l’Europe, avec une description des Modes, des habillemens, des meubles…, Paris: d’Houry, Vve Pissot et P. M. Brunek, fils, 1728. Vgl. Gaudriault 1983, S. 34.

[8] Gallerie des modes et costumes français, dessinés d’apres̀ nature / gravés par les plus célebres artistes en ce genre, et coloriés avec les plus grand soin par Madame Le Beau Ebenda. Paris: Esnauts et Rapilly, 1779- [1787]. Die insgesamt fast 420 farbigen Modegravuren erschienen unregelmäßig, ohne oder mit nur kurzen Texten.  

[9] Gaudriault 1983, S. 78.

[10] Die Zeitung für die elegante Welt erschien dreimal wöchentlich und war nach Bedarf illustriert oder mit Notenbeilagen versehen. Vgl. Völkel 2006, S. 76.

[11] 1872 steigerte der in Berlin herausgebrachte Bazar die Auflage auf 140.000. Vgl. Bielefeld 1997, S. 9.

[12] Gaudriault 1983, S. 70.

[13] Inv.-Nr. Gr S 60/18204, Gr S 60/1207, Gr S 60/18212, Gr S 60/18221, Gr S 60/18223 und Gr S 60/18232.

[14] Wie durch den Vergleich zwischen einem Modekupfer des DHM (Abb. 1) und jenem aus der Zeitschrift La Mode: revue des modes, galerie de moeurs, album des salons (Paris, 1829-1854) eindeutig erkennbar.   

[15] 1856 wurde eine künstliche Krinoline erfunden, die Rosshaarstoffe und –polster durch Stahlschienen ersetzte und leichter zu tragen war. Vgl. Thiel, Erik. Geschichte des Kostüms, Berlin: Henschelverlag, 1985, S. 343.

[16] Der Name stammt aus der spanischen, von Kaiserin Eugénie in die Mode eingebrachten Spitzenmantilla. Vgl. Bielefeld 1997, S. 31.

[17] Kybalová u.a. 1966, S. 274.

[18] Trotzdem fehlte es nicht an Modezeitschriften, die ausschließlich für Männer bestimmt waren: Le Narcisse (1830 bis 1848), Journal des Modes d’Hommes (1830 bis 1871) oder Le Dandy (1838) sind Beispiele dafür. Vgl. Kleinert, Annemarie. Die frühen Modejournale in Frankreich: Studien zur Literatur der Mode von den Anfängen bis 1848, Berlin: Schmidt Verlag, 1980, S. 14, Anm. 23.

[19] Ebenda, S. 319.

[20] Zum Beispiel der 1858 hergestellte Anilinfarbstoff Fuchsin, auch Magenta genannt. Diese intensive Purpurrotnuance leitet ihren Namen von der blutigen Schlacht bei Magenta her, eine lombardische Stadt, in der 1859 die österreichischen Heere von den Französischen besiegt wurden. Ähnliches gilt für die künstliche Farbe Solferino, aus dem Namen eines Dorfs bei Mantua, wo fast 5.500 Soldaten ihr Leben verlieren. Vgl. Bielefeld 1997, S. 31.

 

Valeria Butera

Valeria Butera arbeitet als Museologin in der Sammlung Angewandte Kunst und Grafik am Deutschen Historischen Museum. Sie promovierte an der Universität Bologna und war als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Göttingen tätig.