Wozu das denn? Fächer „Je désire voter“

Paulina Szoltysik | 2. November 2022

Dass Frauen gleichberechtigt wählen dürfen, war zu Beginn des 20. Jahrhunderts kaum vorstellbar. Was ein Fächer mit dem Kampf für das Frauenwahlrecht in Frankreich verbindet, erläutert die wissenschaftliche Mitarbeiterin Paulina Szoltysik im Rahmen der Ausstellung „Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789“.

„Ce qu’il faut aux femmes pour s’affranchir de la tyrannie masculine – fait loi, – c’est la possession de leur part de souveraineté; c’est le titre de Citoyenne française, c’est le bulletin de vote.“1 Hubertine Auclert

So forderte Hubertine Auclert bereits ab Mitte der 1870er Jahre die Einführung des Frauenwahlrechts. Erst mit dem Gang zur Wahlurne würden Frauen mündige Staatsbürgerinnen werden. Als erste Französin, die sich offiziell Feministin nannte, erregte sie 1880 viel Aufmerksamkeit: Sie verweigerte ihre Steuerzahlungen, nachdem ihre Forderung nach einer Registrierung als Wählerin abgelehnt wurde. Ihr Argument: Ohne Rechte, auch keine Pflichten! Knapp 35 Jahre – und etliche Demonstrationen, Petitionen und Artikel – später war das Frauenwahlrecht in Frankreich immer noch nicht eingeführt. Trotz einer wachsenden Befürwortung, lehnte die Abgeordnetenkammer und der Senat die Forderung weiterhin ab.

Kreative Ideen, um auf ihren Kampf um Gleichberechtigung aufmerksam zu machen, gingen den Frauenrechtler*innen jedoch nicht aus: Gustave Téry, Redakteur der Zeitung „Le Journal, rief in seinem Artikel vom 9. März 1914 alle Französinnen auf, an die Wahlurne zu gehen. Téry und das „Le Journalorganisierten eine symbolische Wahl, zu der Stimmzettel mit dem Vermerk „Je désire voter“ (Ich will wählen) verteilt wurden. Die Kampagne fand eine breite Resonanz. Viele Frauenvereine und Privatpersonen beteiligten sich an dieser besonderen Wahl und stellten provisorische Wahllokale zur Verfügung. Darunter befand sich auch der von Hubertine Auclert gegründete Verein Le Suffrage des femmes (Das Frauenwahlrecht) sowie weitere Verbände, die für das Frauenwahlrecht einstanden. Darunter La Ligue du droit des femmes (Die Liga für Frauenrechte), La Ligue nationale pour le vote des femmes (Die Nationale Liga für das Frauenwahlrecht) und die L’Union francaise du suffrage des femmes (Französische Union des Frauenwahlrechts).

Parallel zur Wahl der Abgeordnetenkammer in Frankreich konnten somit auch Französinnen ab dem 26. April 1914 ihre Stimme abgeben. Bis zum 3. Mai 1914 wurden die Wahlzettel in den improvisierten Wahllokalen entgegengenommen oder konnten in allen Verkaufsstellen des „Le Journal“ in ganz Frankreich abgegeben werden.

Auf die Frage „Mesdames, Mesdemoiselles, désirez-vous voter un jour ?” (Mesdames, Mesdemoiselles, möchten Sie eines Tages wählen dürfen?“) stimmten 505.972 Französinnen mit „je désire voter“ und lediglich 144 Wählerinnen dagegen. Um das eindeutige Ergebnis der Wahl zu verbreiten, wurden Postkarten mit Bildern der provisorischen Wahllokale und dem Wahlergebnis gedruckt. Ein besonders schönes und zugleich praktisches Werbemittel stellt der Papierfächer mit dem großen Schriftzug „Je désire voter“ dar. Die Farben Grün und Weiß, in denen der Fächer gestaltet ist, waren häufig auch auf Demonstrationen der englischen Suffragist*innen zu sehen. Zusammen mit Primeln und Olivenzweigen wurde der Fächer am 5. Juli 1914 an Teilnehmer*innen einer der bis dahin größten Straßendemonstration für Frauenrechte in Paris verteilt. Zwischen 5.000 bis 6.000 Menschen zogen vom Jardin des Tuileries entlang der Seine bis zur Statue des Aufklärers Nicolas de Condorcet, der sich schon 1790 für die Verleihung von staatsbürgerlichen Rechten an Frauen aussprach.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Juli 1914 setzte dem Aufwind der Frauenbewegung ein jähes Ende. Die internationale Krise bewegte viele Akteur*innen dazu, ihre Forderungen auf gleiche staatsbürgerliche Rechte zunächst zurückzustellen.

Dass der Wunsch der Frauen nach politischer Teilhabe die Krisen des Krieges überstanden hatte, beweist die Abstimmung der Abgeordnetenkammer über das Frauenwahlrecht im Jahr 1919. Bei dieser stimmte die Mehrzahl der Abgeordneten für die Einführung des Wahlrechts. Der Senat hingegen enthielt sich und blockierte damit die Gesetzesänderung. Erst am 21. April 1944 – 26 Jahre später als in Deutschland und Polen – erhielten, per Dekret von Charles de Gaulle, Frauen in Frankreich das aktive und passive Wahlrecht.


[1] Was Frauen brauchen, um sich von der männlichen Tyrannei zu befreien, ist der Besitz ihres Anteils an der Souveränität, der Titel „französische Staatsbürgerin“, der Wahlschein.

Literatur

Auclert, Hubertine: La Citoyenne, in: La Citoyenne. Journal Hebdomadaire, 13.2.1881.

Bard, Christine: Histoire des Femmes dans la France des XIXe et XXe siècles, Paris 2013.

Bock, Gisela: Frauen in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 1. durchges. Aufl., München 2005.

Condorcet: On the emancipation of women. On giving women the right of citizenship (1790), in: Steven Lukes/ Nadia Urbinati (Hrsg.): Cordorcet. Political Writings, Cambridge 2012 , S. 156-162.

Hause, Steven C.: Hubertine Auclert. The French Suffraguette, New Haven/London 1987.

Kedward, Rod: La Vie en Bleu. France and the French since 1900, London 2006.

McMillan, James F.: France and Women 1789 – 1914. Gender, Society and Politics, London/New York 2000.

Metz, Annie: Éventail suffragiste, 1914, in: Histoire par l’image (März 2017). URL : histoire-image.org/etudes/eventail-suffragiste-1914 (16.6.2022).

Ou les femmes pourront voter dimanche à Paris, in: Le Journal, 25.4.1914.

Sumpf, Alexandre, Le vote des femmes en France : le „référendum“ du 26 avril 1914, in: Histoire par l’image (März 2017). URL: histoire-image.org/etudes/vote-femmes-france-referendum-26-avril-1914 (23.6.2022). Téry, Gustave: Aux Urnes, Citoyennes! Le “Journal“ organize une experience decisive, in: Le Journal, 9.3.1914.

Foto: Privat

 

 

Paulina Szoltysik

Paulina Szoltysik arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Historischen Museum im Ausstellungsprojekt „Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789“. Sie studierte Zeitgeschichte an der Universität Potsdam sowie der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Toruń.