Auf der Suche nach Industriefotografinnen
Stefanie Grebe | 07. März 2023
Nur selten finden sich im Bereich Industriefotografie in Museen, Archiven und Veröffentlichungen von Fotografinnen. Anlässlich unserer Ausstellung „Fortschritt als Versprechen“ begibt sich Stefanie Grebe vom Ruhr Museum Essen auf eine erste Suche nach den Fotografinnen.
Im Fotoarchiv des Ruhr Museums haben wir uns aufgrund der über viele Jahre wiederkehrenden Anfragen nach Fotografien von Ruth Hallensleben (1898-1977) die Frage gestellt, ob es denn keine weiteren Industriefotografinnen gibt, zumal das Ruhr Museum ebenso Teilbestände der Industriefotografin Evelyn Serwotke (1925-2009) [1] besitzt. Die derzeit im DHM zu sehende Ausstellung „Fortschritt als Versprechen. Industriefotografie im geteilten Deutschland“ soll daher Ausgangspunkt einer ersten Übersichtsrecherche zum Thema werden. Hierbei interessieren uns nicht etwaige Korrelationen zwischen Geschlecht und ästhetischen Stilmitteln oder Motiven, sondern allein die Fragen, wo die Industriefotografinnen sind, die es (vermutlich) gab und gibt und ob ermittelt werden kann, wie viele es zu einem bestimmten Zeitpunkt waren.
In der Recherche gehen wir von durch staatseigene Betriebe oder die Industrie erteilten Aufträgen an Fotografinnen aus. Ziel war es, das Auftraggeber-Interesse visuell umzusetzen. Motivisch umfasst die Industriefotografie die Abbildung bzw. Inszenierung von der Gigantik der Industrieanlage über das Produkt bis hin zum Arbeitsprozess und den betriebseigenen Sozialeinrichtungen in der deutsch-deutschen Nachkriegszeit.
Ausgehend von einer allgemeinen Recherche zur Industriefotografie fällt bald auf, dass der Anteil der Fotografinnen dort noch geringer oder zumindest ebenso gering ist wie in den Feldern der künstlerischen Fotografie, Architekturfotografie, des Journalismus, der Kriegs- und Modefotografie. Der Ausbildungsweg verlief zumeist über eine fotografische Lehre in einem Atelier, bei einer*m Fotografenmeister*in, den Besuch einer Fachschule, ein Studium oder – in der Fotografie nicht unüblich – autodidaktisch und nach Besuch von Amateur*innenkursen. Die Ausbildung zur Fotografin über eine Lehre deckt bestenfalls das vielfältige Spektrum der Industriefotografie umfassend ab. Eine Ausbildung in der Handhabung aller Kameratypen, Techniken und Genres der Fotografie ist Voraussetzung für die erfolgreiche Bewältigung der industriefotografischen Anforderungen.
Bei der Suche nach den Fotografinnen kommt erschwerend hinzu, dass festangestellte Werksfotograf*innen in der Industriefotografie in der Regel namentlich nicht genannt wurden. Die Nutzungsrechte lagen beim Werk oder beim Industrieunternehmen, dessen Sichtweise sich in den beauftragten Fotografien manifestierte. Eine identifizierbare Autor*innenschaft war nicht vorgesehen. Eine Recherche in den Firmenarchiven könnte im Idealfall Aufschluss geben, wer sich hinter den nicht namentlich gekennzeichneten Fotografien verbirgt, doch sind die Archive oftmals nicht mehr existent. Wurden selbständige Fotograf*innen für die Industrieaufnahmen beauftragt, ist davon auszugehen, dass die Fotografierenden auf ihre Namensnennung bestanden haben. Firmeninterne und externe Publikationen können hier zur Quelle werden.
Auch der Kunsthandel und Auktionshäuser verkaufen vereinzelt Industriefotografien für die kleine Zielgruppe an Fotosammler*innen, die nicht explizit als freie Kunst definierte Prints sammeln. Gerade aus der Frühzeit der Fotografie gibt es viele Industrie- und Architekturmotive im Handel, aber ebenso die werbliche Industriefotografie des 20. Jahrhunderts taucht auf dem Kunstmarkt auf. Neben Albert Renger-Patzsch oder Ludwig Windstosser findet sich hierunter auch Ruth Hallensleben. Darüber hinaus lassen sich nur vereinzelt Werke der Industriefotografie von Frauen finden. Hier wäre es sinnvoll, Schwerpunkte wie Objektfotografie oder Reportage aus dem Bereich der Industrie – und nicht nur funkensprühende Monumentalästhetik – miteinzubeziehen.[2]
Sowohl im Kunsthandel als auch im Feld der Auftragsfotografie in der Industrie finden sich vereinzelte Fotografien oder Serien, die durchaus von Fotografinnen erstellt worden sind.
Um wirklich fündig zu werden, empfiehlt sich deshalb eine Suche in den Publikationen der Betriebe und Unternehmen und deren Firmenarchiven oder anderen öffentlichen Archiven, in die einige Bestände ihren Weg gefunden haben. Es heißt also, auf den Spuren von Reinhard Matz [3] in Archiven gezielt nach Fotografinnen zu forschen. Aber auch dort ist die Überlieferung nicht gewährleistet, da man alte Personalunterlagen regelmäßig vernichtet hat. Viel Ausdauer und detektivische Recherche ist gefragt.
Eine Recherche nach weiblichen Namen in der übersichtlichen Zahl an Publikationen über Industriefotografie führt ebenso zu ernüchternden Ergebnissen. Es empfiehlt sich, den geografischen und zeitlichen Rahmen der Suche auszuweiten, um nicht ergebnislos abzuschließen. Dann finden sich zum Beispiel Arbeiten von Marianne Strobl, Anne Winterer (Lichtbildwerkstatt Hehmke-Winterer), Erna Hehmke-Wagner, Charlotte und Gerda Meyer, Germaine Krull, Ursula Litzmann, Liselotte Purper, Lotte Laska, Abisag Tüllmann, Ulrike Mosbach und Evelyn Richter.
Ein Blick in die Gegenwart zeigt ein gewandeltes Bild: Da der industrielle Sektor massiv in Billiglohnländer abgewandert ist und es an Bildwelten automatisierter industrieller Fertigung, die es durchaus in Deutschland gibt, kein gesteigertes visuelles Interesse gibt, lassen sich vermehrt an einem Editorial Design orientierte Fotografien oder Business-Fotografien aus der Industrie finden. Diese zeigen oft Fotomodelle aus aller Welt, die in entsättigten oder übertrieben farbigen Umgebungen Zukunft und Fortschritt symbolisieren. Diese neue Art des werblichen Fotografierens wird auch von Fotografinnen ausgeführt. In diesem Bereich lassen sich also Industriefotografinnen finden. Die gigantischen Hallen, die Verherrlichung der Maschinen sind nur noch selten Motiv. Sie symbolisieren die alte Welt vor der Digitalisierung.
Genauso wie eine Gesamtdarstellung zur Industriefotografie in Deutschland fehlt, ist die weitere Forschung nach Industriefotografinnen ein Desiderat. Die Frage am Anfang des Textbeitrags nach dem Verbleib der Industriefotografinnen kann mit der Aufforderung nach gezielter Forschung in Wirtschafts-, Firmen- und Staatsarchiven beantwortet werden. Die zweite anfangs gestellte Frage wird leider nicht zu beantworten sein. Empirisch belastbare Zahlen zu nennen, die die Anzahl der Industriefotografinnen in einer Epoche belegen, ist momentan noch unmöglich.
Die zwei Bestände der Industriefotografinnen Ruth Hallensleben und Evelyn Serwotke im Fotoarchiv des Ruhr Museums sind also – bis zum Auftauchen weiterer Bestände – tatsächlich eine Besonderheit. Sie illustrieren positiv gesprochen exzeptionell, negativ formuliert überproportional das Schaffen zweier Fotografinnen. Ich hoffe, dass diese kurze Recherche in Zukunft den Blick schärfen wird, weitere Bestände aufzuspüren. Ohne Indizien dafür zu haben, ist davon auszugehen, dass es sie noch gibt.
[1] Ein Teil Evelyn Serwotkes industriefotografischen Werks liegt im LVR Industriemuseum Oberhausen und ein anderer Teil ihrer Arbeiten im Fotoarchiv des Ruhr Museums, Essen.
[2] Bei dieser Art der erweiterten Suche finden sich zum Beispiel Hildegard Dreyer, Edelgard Rehboldt und Monika von Boch als Fotografinnen, die neben anderen Aufträgen auch für die Industrie gearbeitet haben.
[3] Reinhard Matz untersuchte in den 1980er Jahren erstmals Firmenarchive auf ihre industriefotografischen Bestände hin. Reinhard Matz, Industriefotografie. Aus Firmenarchiven des Ruhrgebiets, Essen 1987 ist eine Buchpublikation, es wurde eine gleichnamige Microfiche Veröffentlichung mit umfangreichem Bildmaterial erstellt.
Titelbild: Ruth Hallensleben / Fotoarchiv Ruhr Museum: Stahlwerk des Bochumer Vereins, Bochum 1950 © Essen, Ruhr Museum
Ich bedanke mich bei Gabriele Conrath-Scholl, Thomas Dupke, Claudia Fährenkemper, Manuela Fellner-Feldhaus, Tillmann Franzen, Anna Gripp, Marion Scharmann und Kyllikki Zacharias für Informationen und anregende Gespräche bei meine Suche nach Industriefotografinnen.
Stefanie GrebeFotohistorikerin, Fotografin, Dozentin, Kuratorin und seit 2015 Leiterin der Fotografischen Sammlung und des Fotoarchivs im Ruhr Museum, Essen, auf dem Welterbe Zollverein. Forschungsschwerpunkte: Inszenierung von Authentizität in dokumentarischen Fotografien und die Kontextabhängigkeit von Fotografien. Kuratorin diverser Ausstellungen im Ruhr Museum; zuletzt „Beyond Emscher. Fotografische Positionen aus der Gegenwart“ und „Die Emscher. Bildgeschichte eines Flusses“ (2022/23); und „Wir sind von hier. Türkisch-deutsches Leben 1990. Fotografien von Ergun Çağatay“ (2021). |