Der Lyriker und Musiker Wolf Biermann
Monika Boll | 27. September 2023
Die Architektur der Ausstellung „Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland” ist angelehnt an den Corpus einer Gitarre. Die Medieninstallation der Ausstellung beleuchtet Lieder, Gedichte und Balladen im Spiegel der Kunstkritik. Kuratorin Monika Boll rückt den Lyriker und Liedermacher ins Zentrum und stellt sein künstlerisches Werk in diesem Beitrag vor.
Betritt man den Innenraum der Ausstellung, dessen konkav- und konvexgeschwungene Wände an einen Gitarrenkorpus erinnern, dann befindet sich dort, wo bei der Gitarre das Schallloch ist, eine große Medieninstallation. Diese Installation entstand aus der Idee heraus, Biermann hier gezielt als Künstler in den Mittelpunkt stellen. Denn in der öffentlichen Wahrnehmung steht zumeist das Politische des Liedermachers im Vordergrund. Seltener geht es um die künstlerischen Aspekte seiner Lyrik und Musik. Die Ausstellung wie auch die Publikation haben es sich daher zur Aufgabe gemacht, neben dem Politischen auch die ästhetische Seite seines künstlerischen Werks genauer zu betrachten. So verweist die Literaturwissenschaftlerin Hendrikje Schauer in der Publikation zur Ausstellung darauf, dass Wolf Biermanns erste Gedichtsammlung „Die Drahtharfe“, die 1965 im Wagenbach Verlag in West-Berlin erschien, lange Zeit der meistverkaufte Lyrikband nach 1945 war. Sehr früh schon, so Schauer, würden hier Biermanns Referenzen an François Villon, Heinrich Heine und Bertolt Brecht sichtbar. Dabei entstehe mit der Spannung aus dissidentem Ich und kollektivem Wir eine ganz eigene Tonlage, mit der Biermann selbstbewusst seinen Platz in der deutschsprachigen Lyrik nach 1945 einfordere.1 Die Musikwissenschaftlerin Sabine Sanio stellt hingegen den Musiker Biermann ins Zentrum. Ihr Essay tariert Nähe und Distanz zur Tradition des romantischen Kunstliedes und des französischen Chansons aus und fragt nach Biermanns musikalischem Verhältnis zum Komponisten Hanns Eisler.
Die Medieninstallation im Innenraum der Ausstellung rückt ebenfalls seine Kunst in den Fokus. Vorgestellt werden 21 Lieder, Gedichte und Balladen aus der Perspektive der Kunstkritik. Die Lieder entstanden zwischen 1962 und 2013 und umfassen fast die gesamte Zeitspanne von Biermanns Schaffen. Sie reichen von der frühen „Ballade von dem Drainage-Leger Fredi Rohsmeisl aus Buckow“ und „Deutschland, ein Wintermärchen“ über „Der Hugenottenfriedhof“, „Enfant perdu“ und der „Ballade vom preußischen Ikarus“ bis zu „Um Deutschland ist mir gar nicht bang“ und dem Lied „Ach, die erste Liebe“ in einer gemeinsamen Aufnahme mit Pamela Biermann aus dem Jahr 2013. Eine ebenso weite Zeitspanne spiegeln die Stimmen der Kritik, die von der Schauspielerin Anna Dramski und dem Schauspieler Romanus Fuhrmann in Kooperation mit RBB-Kultur hörbar gemacht wurden.
So etwa die Reaktion des Schriftstellers Stephan Hermlin infolge des Eklats um Biermanns Gedicht „An die alten Genossen“. Unter Hermlins Leitung hatte 1962 in der Akademie der Künste die Veranstaltung „Junge Lyrik“ stattgefunden. Die zunächst offene Debatte um das Gedicht Biermanns und um die Literaturpolitik der Zeitung Neues Deutschland eskalierte zum Skandal, in dessen Folge Hermlin seinen Akademie-Posten verlor. In einer Erklärung bat Hermlin die Partei (SED) anschließend, Biermann mit Rücksicht auf sein großes Talent nicht fallen zu lassen. Eine Art vorsorgliche Inschutznahme, die Biermann jedoch nicht vor dem späteren Auftrittsverbot in der DDR bewahrte. Eine nicht politische, sondern ästhetische Auseinandersetzung mit Biermanns Werk fand dann auch vornehmlich im Westen statt. Früh schon annoncierte der Kulturredakteur Dieter E. Zimmer Biermann in der ZEIT als einen der „vitalsten und begabtesten Dichter dieser Jahre“. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki sprach von „der überzeugenden Anschaulichkeit“ der Biermannschen Lyrik und pries die Ballade vom preußischen Ikarus als eines „seiner schönsten Gedichte“.
Der Musikredakteur Hans-Klaus Jungheinrich widmete sich dem Sänger mit seiner „rauen, krächzenden, gleichsam versoffenen, dennoch an Schattierungen unendlich reichen Stimme“ und feierte sein Lied „Enfant perdu“ als „imponierendes, bestürzendes musikalisches Theater“.
Auch kritische Stimmen sind in der Medieninstallation hörbar. So die Journalisten Sybille Plogstedt, die Biermanns Lyrik als „sexistisch und zotig“ verreißt oder der Lyriker Peter Rühmkorf, der nach Erscheinen der LP „Liebeslieder“ 1976 fürchtete, hier habe sich „ein bewährter Protestmann mit seiner eigenen Rolle sehr wohl abgefunden“.
Ähnlich urteilte im Jahr 2000 Steffen Jacobs, der Biermanns „rauem Widerstandston (…) nur noch geringes Verstörungspotenzial“ abhören konnte. Die Musikwissenschaftlerin Sabine Sanio hingegen attestierte 2022 Biermanns Musik „Klangraffinesse“, weil sie sich dem schönen Klang und der reinen Textillustration bewusst verweigere.
Zu Biermanns Musik gehört auch seine Leidenschaft für schöne und besondere Musikinstrumente. Im Innenraum der Ausstellung, dort wo sich bei der Gitarre der Steg befindet, stehen drei Instrumente aus seiner privaten Sammlung: ein Harmonium, dass er bereits in seiner Wohnung in der Chausseestraße nutzte, eine deutsche Drehleier vom Instrumentenbauer Hans Zölch und eine von Biermanns Gitarren, Modell La Caprice aus der Werkstatt von Curt Claus Voigt. Als Kostprobe zu seinem Spiel auf dem Harmonium höre man auf der Medieninstallation „Das kleine Lied von den bleibenden Werten“. Und als Kostprobe zur Drehleier sei unbedingt „In China hinter der Mauer“ empfohlen. Biermanns Gitarrenspiel aber muss nicht extra genannt werden, es ist in der Ausstellung allgegenwärtig.
1 Hendrikje Schauer: Der Sound der Drahtharfe, in: Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland, Hg. Dorlis Blume, Monika Boll, Raphael Gross, Berlin 2023, S. 78ff.
Monika BollMonika Boll ist Philosophin und Kuratorin. Sie kuratierte Ausstellungen an verschiedenen Museen u.a. zur Frankfurter Schule, zu Marcel Reich-Ranicki und Fritz Bauer. Für das Deutsche Historische Museum Berlin kuratierte Monika Boll bereits 2020 die Ausstellung „Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert”. |