Leihverkehr als logistische und kommunikative Meisterleistung
Karen Klein | 1. November 2023
Die Objekte in Ausstellungen stammen oftmals nicht nur aus den eigenen Museumssammlungen, sondern gehören auch anderen Institutionen und Privatpersonen. Diese bereitzustellen, bedarf einer größeren Logistik und der Kompetenz unterschiedlicher Fachgebiete eines Museums. Karen Klein, die als Registrar für den externen Leihverkehr im Deutschen Historischen Museum zuständig ist, gibt einen Einblick hinter die Kulissen unseres Hauses am Beispiel einer großen Leihanfrage für das Museum Arnhem.
Im Frühjahr 2022 trat das Museum Arnhem mit einer langen Wunschliste an die Leiterin der Kunstsammlung des DHM heran. Über 70 Gemälde aus dem Bestand „Haus der Deutschen Kunst“ und „German War Art Collection“ sowie das Modell der Ausstellung „Entartete Kunst“ wurden für die Ausstellung „Art in the Third Reich“ für Oktober 2023 angefragt.
Die erste Aufgabe für mich als Registrar war es, in enger Zusammenarbeit mit dem Team der Restaurierung die Ausleih- und Transportfähigkeit sowie den Restaurierungs- und Konservierungsaufwand für alle angefragten Leihgaben zu ermitteln.
Eine erste Vorbesichtigung durch das Team der Gemälderestaurierung ergab einen enormen Restaurierungsaufwand nicht nur bei den Gemälden an sich, sondern vielfach auch bei den originalen Rahmen. Durch die nicht optimale Lagerung in den Depoträumen der Oberfinanzdirektion München, die dem DHM die genannten Sammlungskonvolute übergeben hatte, waren die Holzkerne der Rahmen geschrumpft. So bildeten sich oft Hohlräumen zwischen Holzkern und Farbfassung, was schnell zu Abplatzungen führen kann. Es stellte sich zudem heraus, dass die Oberflächen der Gemälde gereinigt, Malschichten gefestigt, retuschiert und gekittet werden mussten. Leinwandspannung und Rückseitenschutz wurden ebenso als notwendig erachtet, und so ergab diese erste Prüfung die Restaurierungsbedürftigkeit von mehr als sechzig der angefragten Gemälde.
Schon aus Gründen der Sammlungspflege besteht ein grundsätzliches Interesse an der Restaurierung und Konservierung der Sammlungsobjekte. Der hier festgestellte hohe Restaurierungsbedarf ist von der eigenen Restaurierung jedoch nicht zu bewältigen. Externe Restauratorinnen und Restauratoren wurden hinzugezogen und mit dem potentiellen Leihnehmer in Arnhem eine Kostenteilung vereinbart. Das bedeutete für das Deutsche Historische Museum die Besichtigung der einzelnen Gemälde durch die externen Restauratoren in den Depots, die Erstellung von Kostenangeboten, die Aufteilung und Übernahmebestätigung der Kosten sowie die Auftragsvergabe an vier verschiedene Kolleginnen und Kollegen mit der dazugehörigen Korrespondenz zwischen dem Leihnehmer und dem DHM. Neben starken Nerven hieß dies ein hohes Maß an Verhandlungs- und Überzeugungsleistung. Für den Teil der Gemälde, für den die Restaurierungskosten durch das DHM selber übernommen wurden, wurden die Aufträge noch Ende 2022 vergeben und begonnen. Nach weiteren Gesprächen mit dem Leihnehmer wurde Anfang 2023 schließlich ein Teil der Restaurierungen seitens des Leihnehmers Arnhem beauftragt.
Gebunden an den Abschluss des Leihvertrages war zusätzlich die Zusendung einer rechtsverbindlichen Rückgabezusage des Leihnehmerlandes, die sog. „Immunity from Seizure“, die bewirkt, dass für die Dauer der Leihe die gerichtliche Durchsetzung von Herausgabeansprüchen Dritter (z.B. Restitutionsansprüche) und Vollstreckungsmaßnahmen ausgeschlossen sind. Im internationalen Leihverkehr ist dies ein bewährtes Vorgehen, um die Überlassung von Kulturgütern auf Zeit ins Ausland rechtlich abzusichern. Um die Rückgabezusage zu beantragen, musste ich als Registrar dem Leihnehmer eine Objektliste mit Provenienznachweisen für jedes einzelne Objekt zur Verfügung stellen.
Nach vielen Verhandlungsrunden konnte der Leihvertrag schließlich im Januar 2023 unterzeichnet werden. Damit ging der Leihvorgang in seine nächste Runde.
Die Objektliste des Leihnehmers enthielt Gemälde, die sich als Dauerleihgaben des DHM teils im Militärhistorischen Museum Dresden (MHM) und teils im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg befinden. Mit beiden Museen wurden Fragen zu Verfügbarkeit, zu örtlichen Restaurierungsmöglichkeiten und Transportkosten für den Leihnehmer geklärt, bis die Gemälde wegen zu hoher Kosten als Leihen abgesagt wurden.
Im Laufe der weiteren Vorbereitung der Leihe stellte sich erschwerend heraus, dass ein Teil der Gemälde im neuen Museumsflügel des Museums Arnhem – der brandneuen Tageslichtgalerie mit über 1.500 Lux an sonnigen Tagen – ausgestellt werden sollte. Bei einer Maximalvorgabe von 250 Lux durch die Restaurator*innen war eine Hängung nicht möglich, so dass auf einige Leihgaben verzichtet bzw. die Hängung der Gemälde in Absprache mit den Gemälderestaurator*innen umgeplant werden musste.
Im Laufe der Monate bis Ende September 2023, fast eineinhalb Jahre nach Eintreffen der ursprünglichen Leihanfrage, umfasste die Objektliste nach einem ständigen Austausch von Informationen und Entscheidungen immer noch beachtliche 59 Gemälde, für die nun die Verpackung und der Transport in Klimakisten ansteht: Alle Klimatransportkisten müssen in den jeweiligen Depots 24 Stunden vorklimatisiert werden, was aus Platzmangel eine weitere logistische Herausforderung bedeutet. Ich stimmte nun noch mit der Speditionsfirma, dem Leihnehmer und der Restaurierungsabteilung eine Transportabwicklung über einen Zeitraum von zwei Wochen ab. Vier Gemälderestauratoren des DHM werden als Kuriere sowohl das Ein- als auch das Auspacken und in Arnhem die Protokollierung der Objektzustände und die Hängung betreuen. Nach diesen umfänglichen, aber letztlich erfolgreichen Leihvorbereitungen wird die Ausstellung am 11.11.2023 im Museum Arnhem eröffnet werden – mit einer beachtlichen Anzahl an Objekten des Deutschen Historischen Museums, das damit zum bedeutendsten Leihgeber für die sicherlich interessante Ausstellung wird.
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Karen KleinKaren Klein ist Registrar für ausgehenden Leihverkehr im Deutschen Historischen Museum. |