Rein ins Museum! Susanne Gesser über Museen und Ausstellungen für Kinder
18. September 2024
Susanne Gesser leitet das Junge Museum in Frankfurt am Main (vormals Kindermuseum Frankfurt) und ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der DHM-Kinderausstellung „Rein ins Gemälde! Eine Zeitreise für Kinder“. Im Interview erzählt sie von ihren Erfahrungen, wie Museen gute Orte für Kinder werden können.
Seit über 50 Jahren ist das Kindermuseum in Frankfurt am Main eine Institution mit Vorbild- und Vorreiterfunktion. Seit 1972 konzipiert das Museum Ausstellungen für Kinder. Was ist das Besondere an Ihrem Kindermuseum?
Susanne Gesser: Das Junge Museum Frankfurt ist seit mehr als fünf Jahrzehnten ein ganz besonderer Ort. Es ist ein Kulturort explizit für Kinder, Jugendliche und ihre Familien. Die Ausstellungen des Kindermuseums bildeten sich in den 1970er Jahren zu eigenständigen Formaten heraus. Sie unterschieden sich formal und inhaltlich von denen der üblichen Museumsausstellungen. Ein Novum war z. B., dass bei der Objektpräsentation auf die Körpergröße von Kindern Rücksicht genommen wurde. Es gab sogar einige Objekte zur Benutzung. In den inszenierten Ausstellungen war die Aktivität der Besucher*innen erforderlich, um sich Inhalte zu erschließen und die Ausstellungen erst erfahr- und erlebbar machten. Mitdenken und Miterleben waren Voraussetzungen für den Erkenntnisgewinn. Das Format der interaktiven Ausstellung war geboren. Schon damals wurden Kindergruppen eingeladen, um sich aktiv an der Planung und Gestaltung der Ausstellung zu beteiligen.
Bis heute stehen die Eigenaktivität, das Mitmachen, das entdeckende Lernen und die Kreativität im Mittelpunkt der Ausstellungskonzeptionen.
„Geschichte – junge Menschen – Museum“ ist der Dreiklang, der Sie seit langem als Leiterin und Kuratorin am Jungen Museum Frankfurt beschäftigt. Was können Sie uns, dem DHM mit seiner ersten Kinder- und Familienausstellung „Rein ins Gemälde! Eine Zeitreise für Kinder“ und der Aussicht auf eine dauerhafte Ausstellungsfläche für Kinder in der neuen Ständigen Ausstellung, als Tipp mitgeben?
Susanne Gesser: Das Wichtigste ist, Themen zu finden und umzusetzen, die relevant für Kinder von heute sind. Wo gibt es Anknüpfungspunkte, mit denen Kinder und Jugendliche etwas anfangen können, die mit ihnen und ihrer Lebenswirklichkeit und ihrem Erfahrungshorizont zu tun haben? Da sie sich in der Regel leicht für alles interessieren, neugierig, entdeckfreudig und wissensdurstig sind, eignet sich eine große Fülle von Themen für eine kindgerechte Ausstellung.
Bei Themenwahl und Ausstellungskonzeption sollte großer Wert auf Pluralität und Vieldimensionalität gelegt werden. Eine Gleichzeitigkeit aber auch Widersprüchlichkeit von z. B. Prozessen und Handlungen sollte sichtbar und durch die Einrichtung von unterschiedlichen Stationen in der Ausstellung betont werden. Denn so können die Besucher*innen erfahren, dass eine (ihre) Sichtweise nur ein Aspekt ist und aus einem anderen Blickwinkel der gleiche Prozess ganz anders wahrgenommen werden kann. Wichtig ist, die Inhalte in einem sachlogischen Zusammenhang darzustellen, so können Vorkenntnisse der Kinder aktiviert werden. Das Aktivieren von eigenen Erfahrungen und Erlebnissen ist für das Aufnehmen, Verbinden und Umsetzen von bisherigem mit neuem Wissen entscheidend. Neben der lebensweltlichen Relevanz spielt aber auch die eigene Aktivität für die Kinder und Jugendlichen eine besonders wichtige Rolle in der Vermittlungsarbeit.
Warum ist Geschichte für Kinder relevant bzw. wann wird Geschichte für Kinder zu einem für sie bedeutsamen Thema?
Susanne Gesser: Die Fragen, was hat das mit mir zu tun, was bedeutet dieses Ereignis für mich heute, leitet uns bei der Arbeit. Das Junge Museum ist ein Ort, wo die Geschichte der Stadt und ein Stück der Welt erklärt wird. Mit uns können Kinder das kulturelle Erbe kennenlernen und über den eigenen Stadtteil hinaus Frankfurt erkunden. Mit unserer didaktischen Arbeit regen wir unser junges Publikum dazu an, sich selbst mit der eigenen Geschichte und Familiengeschichte als Frankfurter Kind – egal ob hier geboren oder nicht – in einen größeren Zusammenhang einzuordnen und sich gleichzeitig verortet zu fühlen. Kurz: Ein Bewusstsein für die eigenen Wurzeln zu entwickeln. So kann die für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen so wichtige Verbundenheit mit der Stadt, in der sie leben, gestärkt werden und ermutigt sie auf lange Sicht zu eigenständigem Handeln und Teilhabe an der Gesellschaft.
Sie haben viele Erfahrungen gesammelt und experimentiert, um Kindern im Geschichtsmuseum möglichst vielseitige Freiräume und Teilhabe auf Augenhöhe zu bieten – zugleich arbeiten Sie anhand von historischen Objekten mit handfesten geschichtlichen Ereignissen. Wie gelingt es dabei, das Gleichgewicht zu halten,
Susanne Gesser: Ein wichtiges Stichwort ist Handlungsorientierung. Unsere didaktische Sammlung von historischen Objekten ermöglicht es uns, Originale als Hands-on Objekte in die Vermittlungsarbeit zu integrieren. Der spielerische Zugang und das Ansprechen unterschiedlicher Sinne sind durch den Objektbezug und die Einbindung von originalen Objekten garantiert. Diese Hands-on Objekte werden in interaktive Bereiche integriert. Dort dürfen unsere Besucher*innen „handgreiflich“ werden, zupacken und können so Dinge und Zusammenhänge besser „be-greifen“ und „er-fassen“. Durch das Anfassen, Mitmachen und die eigene Aktivität werden Empathie und Mitdenken evoziert.
Unsere aktuelle Kinderausstellung ist für das DHM ein Zwischenschritt, gewissermaßen ein Experimentierfeld, in dem wir erfahren wollen, mit welchen Methoden und Inhalten wir unsere dauerhafte Ausstellungsfläche für Kinder entwickeln wollen. Was halten Sie für wichtig, damit eine Ausstellung für Kinder über einen längeren Zeitraum relevant und lebendig bleibt?
Susanne Gesser: Es ist eine Mischung aus unterschiedlichen Aspekten, die zum Gelingen einer Ausstellung beitragen können. Es sind neben der Handlungsorientierung, dem spielerischen Zugang und der Ansprache unterschiedlicher Sinne je nach Ausstellungsthema, auch unbedingt die Einbindung von originalen Objekten, denn so entsteht eine weitere Ebene des „ernst Nehmens“ der Zielgruppe. Dabei ist personale Vermittlung durch geschulte Mitarbeiter*innen, die mit Herz und Verstand glaubwürdig agieren und die jungen Besucher*innen altersgerecht ansprechen, besonders wichtig. Möglichkeiten für eigene Gestaltung und kreative Betätigung für Besucher*innen direkt in der Ausstellung sind weitere Erfolgsgaranten. Besonders schön ist – und regt zum Wiederkommen an – wenn Ergebnisse der eigenen Aktivität in der Ausstellung präsentiert werden können und so ein Beitrag zur Ausstellung sichtbar wird.
Susanne GesserSusanne Gesser ist seit 1992 Kuratorin am Jungen Museum Frankfurt (ehemals Kindermuseum Frankfurt), das sie seit 1998 leitet. Sie leitet außerdem die Abteilung Vermittlung und Partizipation am Historischen Museum Frankfurt. Gesser ist Gründungsmitglied des Bundesverbandes Museumspädagogik e.V. sowie des Bundesverbandes der Deutschen Kinder- und Jugendmuseen e.V. (Vorstandsmitglied von 1997 bis 2000 und 2015 bis 2017). Sie ist auch Vizepräsidentin von Hands On! International Association of Children in Museums. Zurzeit ist sie kommissarische Museumsdirektorin des Historischen Museums Frankfurt. |