Verloren und gefunden: Zwei Handzeichnungen von Franz Krüger

Dr. Heike Krokowski | 9. April 2025

Im Rahmen der Blogserie zur Arbeit der Sammlungen im Deutschen Historischen Museum (DHM) geht es um zentrale Punkte wie den Entscheidungen für oder gegen die Aufnahme von Objekten, um die unterschiedlichen Wege der Zugänge, die sich ändernden Forschungsfragen der Sammlungen, an die Erforschung der Herkunft der Objekte und viele weitere Aspekte.

Neben der Suche nach Museumsobjekten aus möglichen NS-Verfolgungskontexten oder aus Beschlagnahmen und Entzügen in der Sowjetischen Besatzungszone und später der Deutschen Demokratischen Republik sowie zu Kulturgut aus kolonialen Kontexten beschäftigen sich viele Museen in Deutschland auch mit den kriegsbedingten Verlusten ihrer eigenen Sammlungsbestände. Auch im Deutschen Historischen Museum, dem die Sammlungsbestände des alten, bis 1945 bestehenden Zeughauses übertragen worden waren, beforschen die wissenschaftlichen Sammlungsmitarbeiter*innen und Provenienzforscher*innen die Geschichte dieser ehemals umfangreichen militärgeschichtlichen Sammlungen. Zu ihnen gehörten zwei Handzeichnungen des Berliner Malers Franz Krüger, deren Geschichte Dr. Heike Krokowski, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Provenienzforschung, erzählt.

Franz Krüger, Bildnisstudie General August Graf Neidhardt von Gneisenau, 1818, Inv.-Nr. 2000/101-SH © Lübecker Museen, Museum Behnhaus Drägerhaus, als Leihgabe des Landes Schleswig-Holstein aus der Sammlung Dräger/Stubbe

Etwas mürrisch sieht der ältere Herr mit dem markanten, gefederten Hut schon aus: Direkt blickt er den Betrachter an, gibt aber kaum etwas von sich preis. Dennoch wissen wir, dass es sich hier um eine Porträtskizze des preußischen Generalfeldmarschalls Graf Neidhardt von Gneisenau handelt. Der Künstler Franz Krüger fertigte diese Zeichnung 1818 als Studie für ein mehrfiguriges Reiterporträt von Gneisenau, ein so genanntes Suitenbild, an. Das großformatige Gemälde befand sich seit seiner Fertigstellung 1819 im Besitz der Familie Gneisenau.

Fritz Freitag, „Gneisenau im Kreise seiner Offiziere“, 1954, Kopie nach Franz Krüger im Auftrag des Museums für Deutsche Geschichte, Inv.-Nr. Kg 54/50 © Deutsches Historisches Museum

Aber Gneisenaus Konterfei war nicht die einzige Skizze, die Krüger für die Vorarbeit an dem großen Bild zeichnete. Es existieren mindestens zwei weitere Zeichnungen, die in den 1940er Jahren im deutschen Kunsthandel angeboten wurden. Eine davon – die über und über mit Notizen zur farbigen Ausgestaltung der Uniform versehene Dreiviertelstudie eines jungen Ulanenoffiziers – wurde im Februar 1942 zusammen mit dem Generalsporträt in einer aufreibenden „Bieterschlacht“ vom damals als Heeresmuseum der Wehrmacht fungierenden Zeughaus im Leipziger Auktionshandel erworben.

Franz Krüger, Halbfigur eines preußischen Ulanenoffiziers, 1818, Inv.-Nr. 2000/219 © Lübecker Museen, Museum Behnhaus Drägerhaus, Lübeck

Im Zeughaus wurden beide Zeichnungen inventarisiert und fotografiert. Die dabei angefertigten Glasnegative sind die einzigen Spuren, die die Zeichnungen in der heutigen Sammlung des DHM hinterlassen haben.

Auszug aus dem Ankaufsbuch für 1941 des Berliner Zeughauses, HArch/ZH/576 © Deutsches Historisches Museum

Die Zeichnungen selbst befinden sich nicht mehr im Besitz des Museums. Und das ist eine Folge des Zweiten Weltkriegs. Lange Jahre galten die Skizzen als Kriegsverluste und waren als solche in der LostArt-Datenbank des Deutschen Zentrum Kulturgutverluste eingetragen und im Verlustkatalog des Berliner Zeughauses veröffentlicht worden.[1] Ausgelöst von den Hinweisen zweier Kolleginnen, begannen umfangreiche Recherchen zur Verlagerungsgeschichte und dem Verbleib der beiden Porträtskizzen von Franz Krüger.[2]

Nach ihrem Ankauf im dritten Kriegsjahr blieben die Zeichnungen nicht lange im Zeughaus. Bereits im Sommer 1943 wurden sie zusammen mit weiteren Sammlungsbeständen des Museums ausgelagert, um sie vor den Bombenangriffen auf Berlin zu schützen. Zunächst fanden sie Unterschlupf im Flakturm am Zoo, einem Verteidigungsbauwerk, das allen Angriffen standhalten sollte. Zu Beginn des Jahres 1945, als sich die Kriegsfront immer schneller auf Berlin zubewegte, wurden die Berliner Museumsbestände – und mit ihnen die beiden Handzeichnungen aus dem Zeughaus – in Bergwerke und Salzstöcke ausgelagert. Die Zeichnungen kamen nach Merkers in der Rhön und wurden im Stollen Kaiseroda untergebracht. Berliner Museumsbeamte begleiteten die Transporte, um das Kulturgut der Museen zu betreuen und zu bewachen.

Anhand der Auslagerungs- und Transportlisten für die Sammlungsbestände, die im Hausarchiv des DHM eingesehen wurden, konnte der weitere Weg der Zeichnungen nachvollzogen werden: Im April 1945 stießen US-amerikanische Truppen nach Thüringen vor und besetzten auch die Bergwerke der Nordrhön. Die in Merkers und in anderen Bergwerkstollen eingelagerten Berliner Museumsbestände wurden sichergestellt und nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht Anfang Mai 1945 zunächst nach Frankfurt und kurze Zeit später nach Wiesbaden, in ein von der US-Army im Landesmuseum Wiesbaden eingerichtetes Sammeldepot, Central Collecting Point genannt, transportiert. Hier waren große Teile der zu ihrem Schutz ausgelagerten Museumsbestände aus ganz Deutschland zusammengeführt worden. Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 kehrten die Sammlungen der Museen auf dem Staatsgebiet der BRD an ihre Heimatorte zurück. Für die Museumsbestände aus den Museen, die sich nun in der Deutschen Demokratischen Republik befanden, übernahm hingegen das Land Hessen die treuhänderische Verwaltung. Erst in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre wurden diese Gegenstände ebenfalls rückgeführt.

Wie die Recherchen zeigten, blieben die Zeichnungen von Generalfeldmarschall Gneisenau und dem Ulanenoffizier aus dem – nun Ost-Berliner – Zeughaus bis zum Sommer 1958 in Wiesbaden. Im August des Jahres wurden sie dann mit allen dort befindlichen Zeughausbeständen nach West-Berlin rückgeführt. Sie kamen in die Obhut der 1957 gegründeten Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die der Träger der im Westteil Berlins gelegenen Staatlichen Museen wurde.

Gneisenau und der Ulanenoffizier wurden in ein Depot der Staatlichen Museen in der Gardeschützenkaserne in Berlin-Lichterfelde gebracht. 1968 zogen sie zusammen mit den anderen Zeughausbeständen noch einmal innerhalb des Gebäudes um, dann verliert sich zunächst ihre Spur.

Ausschnitt einer Liste mit 34 Bildern aus der Sammlung des Berliner Zeughauses, die im August 1958 aus Wiesbaden zurückgeführt wurden, DHM-HArch/Mil 24a © Deutsches Historisches Museum

Aber sie tauchten wieder auf: Im Jahr 1984 stellte die AGO Galerie in West-Berlin die beiden Zeichnungen im Rahmen ihrer Ausstellung „Zeichnung und Malerei der Goethe-Zeit“ aus[3] und verkaufte sie noch im gleichen Jahr an einen norddeutschen Kunstsammler. Dieser wiederum gab den Ulanenoffizier im Jahr 2000 als Dauerleihgabe an das Lübecker Museum Behnhaus Drägerhaus und wandelte die Leihgabe später in eine Schenkung um. Generalfeldmarschall Gneisenau wurde im selben Jahre dem Land Schleswig-Holstein übereignet, das die Skizze ebenfalls dem Museum als Dauerleihgabe überließ.[4] Die Provenienzforschung konnte somit bestätigen, dass sich die beiden Zeichnungen heute rechtmäßig im Besitz des Lübecker Museum Behnhaus Drägerhaus befinden. Die Suchmeldung als Kriegsverlust wurde folglich in der LostArt-Datenbank gelöscht. Zukünftig wollen beiden Museen gemeinsam auf Herkunft und Verbleib dieser beiden Werke hinweisen.[5]

Das DHM hat als Erinnerung an die beiden Handzeichnungen von Franz Krüger noch immer die beiden Glasnegative aus dem Jahr 1942. Sie sind selbst inzwischen als Museumsobjekte in die Sammlungen eingegangen.


[1] Quaas, G./König, A.: Verluste aus den Sammlungen des Berliner Zeughauses während und nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 2011, S. 306/307, Nr. 1429 (falsche Abb.) und 1430. https://www.lostart.de/de/Verlust/438871; https://www.lostart.de/de/Verlust/438869 (zuletzt 14.12.2023).

[2] Besonderer Dank gilt hier Steffi Grapenthin und Dr. Caroline Flick.

[3] AGO Galerie Wolfgang Thiede: Zeichnung und Malerei der Goethe-Zeit. Vom Rokoko zum malerischen Realismus (autonom–malerischen Realismus), Berlin 1984, S. 142-145.

[4] Vgl. Heise, Brigitte (Hrsg.): Zum Sehen geboren. Handzeichnungen der Goethezeit und des 19. Jahrhunderts. Die Sammlung Dräger/Stubbe, Leipzig 2007, S. 173/174.

[5] Mit Dank an Dr. Alexander Bastek, Direktor des Museum Behnhaus Drägerhaus, Lübeck, für die Erlaubnis, die Abbildungen der beiden Porträt-Zeichnungen hier zu verwenden.