6. Worüber debattierten die Delegierten?
Die eigentliche Aufgabe der Nationalversammlung war es, eine Verfassung für einen vereinten deutschen Staat zu schaffen. Doch die Abgeordneten hatten von Anfang an über sehr viel mehr Fragen zu debattieren. So viele sogar, dass häufig gemutmaßt wurde, sie hätten mehr Erfolg haben können, wenn sie sich allein auf das Verfassungswerk konzentriert und es schneller vollendet hätten. Doch angesichts der fehlenden verwaltungstechnischen Infrastruktur, der ständig weiterbrodelnden Revolution von der einen, der wiedererstarkenden Monarchien von der anderen Seite und der verlockenden Chance, reale Reformen durchzusetzen, verzettelten sie sich in einer Vielzahl von Einzeldebatten und Detailfragen.
Nicht nur Anträge aus den eigenen Reihen, auch Tausende von Petitionen der Bevölkerung mussten bearbeitet werden. Der Eifer trieb dabei so manche skurrilen Blüten: So wurde u.a. der Bau einer deutschen Flotte beschlossen und mit einer beispiellosen Spendenaktion betrieben. Vor jedem Sitzungstag wurden die eingegangenen Beträge verlesen. Nachdem Ende 1849 schließlich siebenundzwanzig Boote und neun Dampfer auf der Weser trieben, war die Euphorie bereits wieder vorbei. 1852 versteigerte der Deutsche Bund kurzerhand die kleine Flottille.
Aber auch in wichtigen Fragen kam man nur mühsam voran. Die Abgeordneten waren zumeist so parlamentarisch unerfahren wie übereifrig. Endlose aber höchst gelehrte Debatten, die entweder zu nichts oder erst nach viel zu langer Zeit zu einem Ergebnis führten, trugen der Nationalversammlung den spöttischen Ruf eines „Professorenparlamentes“ ein. Erst nachdem die neugeschaffenen Ausschüsse ihre Arbeit aufnahmen und die Diskussionen in kleine Kreise verlagerten, wurden Entscheidungen schneller und damit effektiver getroffen.
Zunächst einigten sich die Delegierten darauf, mit den sogenannten Grundrechten zu beginnen. Die Freiheits- und Menschenrechte meinte man, könnten relativ problemlos und ohne die Zustimmung der Einzelstaaten verabschiedet werden. Doch die Beratungen darüber zogen sich bis zum 27. Dezember 1848 hin. Andere Probleme schoben sich in den Vordergrund. Die Frage nach einer Exekutive, die sowohl den Souveränitätsanspruch der Nationalversammlung ausdrücken, als auch praktisch die Leitung des Reiches übernehmen und damit der Gegenrevolution entgegentreten sollte, beschäftigte lange die Abgeordneten.
Als Anfang September 1848 Preussen mit dem Malmöer Friedensvertrag ohne die Nationalversammlung zu konsultieren oder auch nur zu informieren, einer Teilung Schleswig und Holsteins zwischen Dänemark und Preußen zustimmte, kam es zur nächsten Zerreißprobe in Frankfurt. Zunächst stimmten die meisten für eine Aussetzung des Vertrages. Angesichts der eigenen Machtlosigkeit stimmte ein Teil der Paulskirche aber zwei Wochen später doch noch zu und löste damit Unruhen in der enttäuschten Bevölkerung aus. Als schließlich nach langen Debatten über die Staatsform, das Staatsgebiet usw. am 27. März 1849 die Verfassung verabschiedet werden konnte, hatte die Nationalversammlung längst jede Macht verloren.