5. Gab es bereits Fraktionen?
Zunächst trafen über 500 Abgeordnete in der Paulskirche aufeinander, die sich überhaupt nicht oder nur flüchtig kannten, deren jeweilige politische Anschauungen weitgehend unbekannt waren. Lediglich bei bekannten Persönlichkeiten, die sich bereits in der Zeit des Vormärz oder in der Revolution hervorgetan hatten, konnte man ein bestimmtes Abstimmungsverhalten voraussehen. Da es noch keine Parteien gab, mussten sich Fraktionen erst entwickeln. Ein erstes Strukturierungsprinzip bildeten fünfzehn ausgeloste „Abteilungen“, die lediglich der Organisierung der Verhandlungen dienten und nach und nach an Bedeutung verloren.
Anfänglich fanden die Abgeordneten auch durch landsmannschaftliche Gemeinsamkeiten zusammen. Doch sehr schnell entwickelten sich auch sogenannte Klubs aus gleichen politischen Gesinnungen. Man traf sich in verschiedenen Gasthäusern, deren Namen man annahm und gab sich Satzungen und Statuten. In Diskussionen wurde ein geschlossenes Auftreten und gemeinsames Abstimmungsverhalten vorbereitet. Die formalisierte Fraktionszugehörigkeit zeigte sich spätestens durch die Unterzeichnung eines „Parteiprogramms“ und der heute als „Fraktionszwang“ bekannten Verpflichtung auf eine gemeinsame politische Linie. „Die Teilnahme an einer Partei hat freilich für die Abgeordneten das Unangenehme, dass sie ihre individuelle Freiheit teilweise opfern und oft gegen ihre Neigung stimmen müssen“ schrieb dazu der Abgeordnete Eisenmann. Durch dieses Problem kam es häufig zu Brüchen in den Fraktionen. Teile davon spalteten sich ab und gründeten eine neue Fraktion, oft auch mit Splittern anderer Parteien, manchmal auch nur für eine Abstimmung.
Fast ein Drittel der Abgeordneten war offiziell keiner Fraktion zuzuordnen, stimmt aber meist mit einer. Die Fraktionen waren nach französischem Vorbild bald in Linke, linkes und rechtes Zentrum und Rechte eingeteilt worden und saßen entsprechend. Vor wichtigen Abstimmung sprachen sich die verschiedenen Lager oft ab, mit dem Effekt einer temporären Koalitionsbildung. Die Fraktionsbildung der Paulskirche hatte einen nicht unerheblichen Anteil an der Entwicklung von Parteien nach der Revolution und trug damit, wie schon die massenhafte Vereinsgründung im Vormärz zu einer Politisierung der Bevölkerung bei.