Fortschritt als Versprechen. Industriefotografie im geteilten Deutschland
Ab dem 10. Februar 2023 im Deutschen Historischen Museum
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Im Rahmen des EMOP Berlin – European Month of Photography
Dramatisch beleuchtete Produktionshallen, glühender Stahl, scheinbar endlose Fließbänder, breite Lächeln auf rußverschmierten Gesichtern – hinter diesen wohl bekanntesten Motiven der Industriefotografie stehen Versprechen: die Aussicht auf mehr Konsum, schönere und funktionellere Produkte, höhere Arbeits- und Lebensqualität, technische Weiterentwicklung. Kurz: Fortschritt. Das Medium der Fotografie, selbst eine Errungenschaft der Industrialisierung, begleitet Unternehmen und Betriebe bereits seit den 1850er Jahren und hat einen eigenen Bildkanon geprägt.
Das Deutsche Historische Museum setzt seine Reihe fort und zeigt auch 2023 wieder eine Fotoausstellung: „Fortschritt als Versprechen. Industriefotografie im geteilten Deutschland˝ präsentiert vom 10. Februar bis 29. Mai 2023 eine Auswahl fotografischer Arbeiten, die in den Jahrzehnten der deutschen Teilung zwischen 1949 und 1990 im Auftrag westdeutscher Unternehmen und ostdeutscher Betriebe entstanden sind.
Erstmals werden diese eindrucksvollen Fotografien im Kontext ihrer zeitgenössischen Verwendung gezeigt: nämlich in vielfältig gestalteten Printmedien der Stahl-, Chemie-, Textil- und Automobilindustrie. Dabei richten die Kuratorinnen Stefanie Regina Dietzel und Carola Jüllig den Blick auf die mit den historischen Bildquellen verknüpften Vorstellungen und machen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Darstellungen des Fortschritts – und damit des Versprechens auf ein besseres Leben – in Ost und West sichtbar.
Die Fotografien aus der DHM-Sammlung sowie 40 Archiven und Museen sind vor dem Hintergrund ihrer Entstehung zu sehen: Während die Bundesrepublik ab den 1950er Jahren einen beispiellosen ökonomischen Aufstieg vollzog, steuerte die Wirtschaft der DDR bis Ende der 1980er Jahre zunehmend auf ihren Bankrott zu. Die repräsentativen Auftragsfotografien spiegeln das Selbstverständnis beider deutscher Staaten als Industrienationen und das damit verbundene Menschenbild. Sie geben wenig Aufschluss über tatsächliche Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, vielmehr zeigen sie Inszenierungen der Wirklichkeit, mit denen Fortschrittsversprechen und Aufschwungserzählungen in DDR wie BRD transportiert werden sollten.
Als Präsentationsmedium der technischen Entwicklungen und Leistungsfähigkeit der auftraggebenden Industrien decken die Fotografien ein breites Spektrum an Bildmotiven ab: Von den Arbeiterinnen und Arbeitern über die Produktionsschritte und die neuesten Maschinen bis hin zum industriellen Komplex selbst. Angefertigt von festangestellten oder freien Fotografinnen und Fotografen, wurden die Aufnahmen für Werkszeitschriften, Werbebroschüren, Produktkataloge, Festschriften oder Messestände verwendet, die Kundschaft, Investoren sowie potenzielle Beschäftigte ansprechen, aber auch die Konkurrenz beeindrucken sollten.
Die Ausstellung präsentiert auf 1.000 Quadratmetern neben Bildern bekannter Vertreterinnen und Vertreter der Industriefotografie – wie Ludwig Windstosser oder Wolfgang G. Schröter – noch nie gezeigte Fotos oft namenloser Werksfotografinnen und -fotografen aus den exemplarisch ausgewählten Branchen Stahl-, Chemie-, Textil- und Automobilindustrie. Nach einem Prolog zur Kohle als Grundstoff der Industrie folgen die Museumsgäste vier industriellen Bildwelten, die ein breites Spektrum repräsentativer Auftragsfotografie in beiden deutschen Staaten visualisieren.
Als eine der überraschendsten Eigenschaften der Industriefotografie erweist sich die Stabilität der Bildsprache und -motive: Die rund 500 Fotografien sind sich nicht nur über die vier Jahrzehnte deutscher Teilung hinweg erstaunlich ähnlich, sondern sie sind auch nicht immer eindeutig der Bundesrepublik oder DDR zuzuordnen. Im Bergbau dominieren dunkle Bilder, vorzugsweise in schwarz-weiß, die mit Dunkelheit und harter Arbeit assoziiert sind. Die Produktion von Eisen und Stahl zeichnet sich durch imposante Funkenregen aus. Scheinbar nicht enden wollende Reihen von Spinnmaschinen finden sich in der Textilindustrie ebenso oft wie das Versuchslabor mit seinen bunt gefüllten Kolben in der Chemieindustrie. Diese Rückgriffe auf eine Motivik, die oft noch aus der Frühzeit der jeweiligen Branche stammt, verdeutlichen das Dilemma der Industriefotografie, nie wirklich innovativ sein zu können: Zwar steht sie sinnbildlich für die Innovationskraft der Unternehmen und Betriebe, doch muss sie zugleich verständlich sein und bedient sich deshalb bewährter und plakativer Bildtraditionen.
Die Ausstellung ist Teil des 10. EMOP Berlin – European Month of Photography vom 2. bis 31. März 2023.
Ausstellungsbegleitend erscheint ein umfangreicher Katalog (256 Seiten, 280 Abbildungen) im Verlag Hatje Cantz. Ein Begleitprogramm sowie ein Kinoprogramm vertiefen und ergänzen die Themen der Ausstellung.