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„Was ist Aufklärung?“, fragte der Berliner Pfarrer Johann Friedrich Zöllner 1783 in einem Beitrag für die Berlinische Monatsschrift. Diese griff die Frage auf und stellte sie ihren Leserinnen und Lesern. Damit begann eine Debatte um diesen Begriff, der die Philosophiegeschichte prägen sollte und unter anderem Moses Mendelssohn und Immanuel Kant zu ihren berühmten Antworten anregte. Vom 18. Oktober 2024 bis 6. April 2025 nimmt das Deutsche Historische Museum die Frage nach dem Wesen der Aufklärung in einer umfangreichen Ausstellung auf und stellt zugleich weitere „Fragen an das 18. Jahrhundert“, die aus ihr hervorgehen.

In aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussionen werden die universalen Werte der Aufklärung oft zitiert oder in ihrer Reichweite hinterfragt. Zugleich prägen die Widersprüche dieser Epoche das heutige Denken und Handeln. Die Ausstellung „Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert“ schafft einen historischen Rahmen für die Debatten unserer Zeit: Sie konzentriert sich auf die zentralen Auseinandersetzungen der Epoche und beleuchtet ihre Ambivalenzen, indem sie die Ideen der Aufklärung nicht als homogenes Fortschrittsprojekt präsentiert, sondern die Konflikte um Konzepte und Forderungen sichtbar macht. Dabei wird deutlich, dass damalige Vorstellungen von Gleichberechtigung oder Toleranz unseren heutigen Vorstellungen nicht entsprechen und oft in der Praxis nicht eingelöst wurden. So deklarierte Friedrich II. von Preußen eine religiöse Toleranz, die nicht verwirklicht wurde. Thomas Jefferson postulierte in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten die Gleichheit aller Menschen und war selbst Sklavenhalter. Im Zuge der Französischen Revolution wurden die Menschen- und Bürgerrechte ausgerufen, sie galten jedoch nicht für Frauen. Es war die Zeit der Kosmopoliten, aber auch eines Kolonialismus, in dem Menschen in den kolonisierten Gebieten versklavt und zur Handelsware degradiert wurden. Im Zuge populärer Entdeckungsreisen begegneten Europäer unbekannten Völkern, die sie mit großer Neugierde beschrieben. Zugleich bereiteten ihre Versuche, Menschen systematisch zu klassifizieren, auch die Grundlage eines wissenschaftlichen Rassismus.

Die Kuratorin Liliane Weissberg nimmt das sogenannte „lange 18. Jahrhundert“ in einer internationalen Perspektive in den Blick und stellt die wesentlichen Fragen der Epoche in den Mittelpunkt: Nach einem Prolog zum Begriff der Aufklärung folgt der Ausstellungsrundgang auf 1100 Quadratmetern dem Prinzip des Kaleidoskops und ermöglicht den Besucherinnen und Besuchern fortlaufende Querbezüge zwischen den zwölf Kapiteln. Das Themenspektrum reicht dabei von der Suche nach Wissen und der Entstehung neuer Wissenschaften und Ordnungsprinzipien über Fragen nach der Religion, der Gleichheit und Freiheit der Menschen und der Forderung nach bürgerlichen Rechten bis hin zu Merkantilismus und Weltbürgertum. Sie beschäftigt sich mit den politischen und wirtschaftlichen Modellen der Zeit und dem neuen Begriff von Öffentlichkeit, der auch die populären Publikationsmedien, Akademien und Salons einschloss. Weitere Sektionen widmen sich dem hohen Stellenwert der Pädagogik und der Entstehung des modernen Individuums, zeichnen die vorherrschenden Geschlechtermodelle nach und blicken auf eine Moderne, die die Antike wiederentdeckte.

Die Ausstellung betrachtet Ereignisse, Probleme und Personen der Zeit in unterschiedlichen Konstellationen und bezieht sie gleichzeitig fortwährend aufeinander. Dabei wird sichtbar, dass die Aufklärung als politische, soziale und geistige Bewegung vor allem von europäischen Denkern und einigen Denkerinnen getragen wurde, die ihre Ideen nicht zuletzt aufgrund außereuropäischer Reisen, eines regen Austauschs von Büchern und Schriften und eines intensiven Handels mit Waren von anderen Kontinenten formulierten.

Die Ausstellung spannt den Bogen vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart: In Videointerviews widmen sich bekannte Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur und Medien – unter anderem der Immunologe Drew Weissman, die Philosophin Martha Nussbaum und der Philosoph Kwame Anthony Appiah, die Historikerin Annette Gordon-Reed und der Historiker Neil MacGregor, die Publizisten Jens Bisky und Jürgen Kaube sowie die ehemals politische Geflüchtete aus dem Iran und heutige Bürgermeisterin von Frankfurt am Main Nargess Eskandari-Grünberg – aus heutiger Perspektive der Frage „Was bleibt?”. Neben den in der Ausstellung präsentierten Interviewauszügen ermöglichen die Langfassungen auf der DHM-Website eine Vertiefung über den Museumsbesuch hinaus.

Die inklusiv und weitgehend barrierefrei gestaltete Ausstellung präsentiert im Pei-Bau auf zwei Etagen Gemälde, Zeichnungen, Grafiken, Skulpturen, Modelle, Gipsabgüsse, Dokumente, Publikationen, Münzen und wissenschaftliche Geräte aus der DHM-Sammlung sowie von Leihgebern aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich und den USA. Zu sehen sind rund 400 hochkarätige, teils noch nie gezeigte Objekte, darunter Originalmanuskripte von Isaac Newton, das silberne Mikroskop Georg III. von England, eine französische Erklärung der Menschenrechte in Form einer runden Oblate, ein weltweit seltenes graviertes Straußenei oder ein französisches, mit Luftschiffen besticktes Ballkleid.

Multimediale und interaktive Elemente ergänzen die Ausstellungsthemen und beziehen die Museumsgäste aktiv mit ein: So können die Besucherinnen und Besucher etwa die Wege des Raubdrucks von Schriften Voltaires oder Rousseaus nachverfolgen. Ein inklusives Ausstellungsheft stellt anhand einer Kinderspur Aufgaben, fördert selbstentdeckendes Lernen und verdeutlicht jungen Museumsgästen, dass sich die Fragen der Aufklärung auch an sie richten. Eine Hörführung in deutscher und englischer Sprache sowie mit Audiodeskriptionen bietet Hintergrundinformationen zur Ausstellung und zu ausgewählten Objekten sowie Interviewausschnitte mit dem Ausstellungsteam.

Zur Ausstellung erscheint im Oktober im Hirmer Verlag eine reich bebilderte Publikation in deutscher und englischer Sprache mit Beiträgen von internationalen Wissenschaftlerinnen und Philosophen wie Roger Chartier, Robert Darnton, Peter E. Gordon, Jürgen Habermas und Emma Rothschild. Das digitale DHM-Format More Story führt ebenfalls ab Oktober auf Deutsch und Englisch in die Ausstellung ein und bietet ausführliche Hintergrundinterviews und -informationen. Ein breitgefächertes Begleitprogramm vertieft und ergänzt ab November die Themen der Ausstellung.

Umfangreiches Outreach- und inklusives Bildungsprogramm

Welche Bedeutung haben (Un-)Gleichheit, Toleranz, Bildung und Erziehung, Menschenrechte, Geschlechtermodelle, Individualität und Vernunft? Welche hatten sie im 18. Jahrhundert, welche haben sie heute und was verbinden junge Menschen mit diesen Themen? Im Rahmen der Ausstellung arbeitet das DHM – gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes – auf breiter Basis mit Jugendlichen und jungen Menschen aus der Berliner Stadtgesellschaft und inklusiven Schulklassen aus Berlin und Brandenburg zusammen. Ziel der Zusammenarbeit ist es, in Workshops und mehrmonatigen Arbeitsprozessen die Perspektiven der Beteiligten zu erfassen und in die Ausstellung und deren Rahmenprogramm einzubetten. Im Sinne einer demokratischen Teilhabe sollen so Barrieren gegenüber der Institution Museum abgebaut und ein junges, diverses Publikum zum Mitmachen und Mitgestalten eingeladen werden.

Ein eigener Bereich der Ausstellung ist der Frage „Was bleibt?” gewidmet. Er wird von jungen Berlinerinnen und Berlinern kuratiert und bietet Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit, selbst zu Wort zu kommen. An einer interaktiven Station thematisiert eine weitere Gruppe anhand von für sie relevanten Themen wie Erziehung oder Geschlechtermodelle den Wandel und die Kontinuitäten zwischen Aufklärung und Gegenwart. Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern aus inklusiven Schulen erarbeiten Mitarbeitende des DHM zu ausgewählten Exponaten kreative Zugänge zu multisensorischen und interaktiven Ausstellungsstationen, die sich gezielt an Kinder und Jugendliche richten.

Unter dem Motto „Aufklärung NOW˝ öffnet sich das Haus an drei Abenden während der Ausstellungslaufzeit unterschiedlichen Fragestellungen der Aufklärung unter heutigen Gesichtspunkten: Ein wissenschaftlicher Slam, performative Rundgänge, ein unterhaltsames Quiz, Performances auf der Bühne, Musik, Gespräche und andere Programmpunkte versprechen informative und kurzweilige Abende.

Ein Fachtag mit Expertinnen und Experten aus Bildungs- und Kultureinrichtungen, Politik und Sozialarbeit zum Thema „Über Aufklärung sprechen. Bildung und Outreach” wird die Ergebnisse und Lernerfahrungen im Februar 2025 abschließend zusammenfassen. Digitale didaktische Materialien werden die gewonnenen Ergebnisse auch nach Ausstellungsende dokumentieren und verbreiten.

Pressekonferenz: Mittwoch, 16. Oktober 2024, 11 Uhr, Auditorium, Pei-Bau

Erste hochauflösende Pressefotos stehen im Pressebereich der DHM-Website zur Verfügung.

Das Vermittlungsprogramm wird gefördert durch: