Literatur als politisches Machtinstrument
Eine Ausstellung zur Rolle von Bibliotheken in der Nationalsozialistischen Kulturpolitik in der DHM-Bibliothek
Fast gleichzeitig mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 durch die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler beginnt auch die rechtsextreme Einflussnahme auf die Kultur- und Literaturpolitik in Deutschland. Mit dem Ziel das öffentliche Leben politisch zu entgiften und moralisch zu sanieren, wird die ideologische Prägung des Volkes Hauptaufgabe von Archiven, Bibliotheken und Museen. Bücher sollen fortan weniger genussvoller Zeitvertreib, sondern vielmehr propagandistische Waffen und politische Schulungsmittel sein.
Dementsprechend erfolgen Maßnahmen auf vier Ebenen. Zunächst werden Bücher von jüdischen und politisch unerwünschten Schriftstellerinnen und Schriftstellern verboten, Buchhandlungen und kulturelle Einrichtungen von deren Werken gesäubert. Des Weiteren unterliegen neu entstehende Schriften einer harten Zensur, ihr Erscheinen wird kritisch überwacht. Außerdem werden in Kulturbetrieben nicht nur unliebsame Veröffentlichungen ausgesondert, sondern ebenso auch nicht NS-konformes Personal entlassen, den entsprechenden Benutzern wird der Besuch der Bibliothek unmittelbar verwehrt. Allein in Berlin verloren 44 Angestellte in 18 verschiedenen Einrichtungen in diesem Zusammenhang ihre Arbeitsstelle. Im letzten Schritt sollten regimetreue Bibliotheks- und Museumsammlungen aufgebaut werden.
Der Anteil, den Bibliotheken an der nationalsozialistischen Kulturpolitik hatten, darf derweil nicht unterschätzt werden. Der Umstand, dass das gesamte Bibliothekswesen unter parteipolitischer Aufsicht stand, hatte meist Kooperationsbereitschaft zur Folge. In vielen Fällen wurden Bibliotheken zum ausführenden Organ. So waren Bibliotheksmitarbeiterinnen und –mitarbeiter u.a. entscheidend an der Erstellung von sogenannten Schwarzen Listen für verbotenes Schrifttum beteiligt. Die Mehrheit der Einrichtungen wurde selbst zur Nutznießerin, wenn im Zuge von Arisierungskampagnen Privatsammlungen oder museale und universitäre Einrichtungen beschlagnahmt und dann Teil der eigenen Sammlung wurden.
Für tausende Werke, die so in den Staatsbesitz kamen, hatten diese rechtswidrigen Aktionen aber auch eine positive Seite. Die Vorschriften für wissenschaftliche Bibliotheken im Juni 1933 sahen u.a. vor, dass eine Vernichtung jüdischer oder marxistischer Literatur außer Frage stand. Lediglich ihre Benutzung wurde auf Personen mit nachweislich wissenschaftlichem Interesse beschränkt. So erwiesen sich Bibliotheken, die sich auf der einen Seite dem NS-Regime beugten, auf der anderen Seite auch als Hort, an dem eine Vielzahl der verhassten Schriften vor einer Vernichtung bewahrt wurden.
Heute gelten die genannten Maßnahmen sowie ihre gesellschaftspolitischen und kulturellen Folgen als NS-Unrecht. Seit vielen Jahren beschäftigen sich deswegen Bibliotheken und andere Kultureinrichtungen mit einer aktiven Provenienzforschung, um die eigenen Bestände auf zweifelhafte Zugänge aus jener Zeit hin zu überprüfen und durch Restitutionen an die Nachfahren zumindest einigen Schaden wieder gut zu machen.
Unvergessen aber bleibt der Höhepunkt der Säuberung in deutschen Büchersammlungen: Die von der Deutschen Studentenschaft geplante Aktion wider den undeutschen Geist, welche am 10. Mai 1933 deutschlandweit in zahlreichen Bücherverbrennungen öffentlichkeitswirksam umgesetzt wurde. Die DHM Bibliothek nimmt den 90. Jahrestag dieser Operation zum Anlass, um an bedeutende Autorinnen und Autoren aus jener Zeit und deren verbotene Werke zu erinnern.
Idee und Auswahl: Charlotte Lenz
Exponateliste
Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums
(Stand vom Oktober 1935)
Berlin: Reichsdruckerei, 1935 | Z 7898 -1.1935
Liste der für Jugendliche und Büchereien ungeeigneten Druckschriften
(Stand vom 15. Oktober 1940)
Leipzig: Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, 1940 | Z 7897 -1.1940
Liste schädlichen, unerwünschten u. verbotenen Schrifttums
(maschinenschriftliches Typoskript)
Wien: o.A., 1938 | RA 19/493
Werner Schlegel: Dichter auf dem Scheiterhaufen
Berlin: Verlag für Kulturpolitik GmbH, 1934 | G 2585
AIZ vom 10. Mai 1933
Prag: Industrie-Druckerei, 1933 | RZB 954 -12.1933,18
Karl Marx: Das Kapital Band 1 – Der Produktionsprozess des Kapitals 4. durchges. Auflage
Hamburg: Otto Meissner, 1890 | R 51/34 -1<4>
Thomas Mann: Der Zauberberg Band 1
Berlin: Deutsche Buch-Gemeinschaft GmbH, [1924] | R 2023/11 -1
Karel Vanek: Die Abendteuer des braven Soldaten Schwejk in Russischer Gefangenschaft Band 1
Prag: Synek, 1927 |18/196 -1
Rainer Maria Remarque: Im Westen nichts Neues 51. - 75. Tausend
Berlin: Propyläen-Verlag, 1929 | R 58/2343<51.Tsd.>
Egon Erwin Kisch: Schreib Das auf, Kisch! 1. - 10. Tausend
Berlin: Reiss, 1930 | R 61/1010
Ilja Ehrenburg: Die heiligsten Güter 9. - 15. Tausend
Berlin: Malik-Verlag, 1931 | 2023/232
Theodor Plivier: Der Kaiser ging, die Generäle blieben 1. - 12. Tausend
Berlin: Malik-Verlag, 1932 | 77/470