Provenienzforschung
Die Sammlung des Deutschen Historischen Museum (DHM) bildet die Geschichte unseres Hauses ab. Die etwa 1 Million Objekte der deutschen Geschichte unterschiedlichster Art vom Spätmittelalter bis zur unmittelbaren Gegenwart stammen aus Beständen des preußischen Zeughauses, des Museums für Deutsche Geschichte der DDR (MfDG) und den Erwerbungen des DHM seit 1987.
Die Provenienzforschung gehört für uns als kulturhistorisches Museum zu unseren originären Kernaufgaben. Zum einen bestimmt die Klärung der Herkunft, des Gebrauchs und der Überlieferung von Objekten ihren musealen Wert. Zum anderen ist für uns als deutsches Museum leitend, die Eigentumsverhältnisse und die Umstände der Erwerbung von Objekten in der Zeit des Nationalsozialismus, der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR systematisch auf Enteignung und Raub hin zu überprüfen. Diesem Erbe der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts fühlen wir uns verpflichtet.
Schwerpunkte der Provenienzforschung
Ende 2019 wurden am DHM zwei neue Stellen mit ausgewiesenen Wissenschaftler*innen besetzt, die sich zwei Schwerpunktbereichen der Provenienzforschung widmen.
NS-Raubgut
Die Enteignungen von Kulturgütern in Folge der Entrechtung, Verfolgung, Vertreibung und Ermordung von Jüdinnen und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus bilden einen Schwerpunkt der Provenienzfroschung, darüber hinaus werden weitere Kontexte verfolgungsbedingten Entzugs recherchiert. Systematisch und proaktiv werden die Recherchen nach NS-Raubgut in den Beständen unserer Sammlung geführt, um einen etwaigen Entzugskontext zu klären und ggf. eine Restitution einzuleiten. Ebenso umfassend wird externen Anfragen zu konkreten Objekten nachgegangen. Objekte, deren Provenienzlücken einen eventuellen unrechtmäßigen Entzug möglich erscheinen lassen, werden in der Datenbank LostArt veröffentlicht. Zum Erwerb vorgeschlagene Objekte werden auf ihre Provenienz hin untersucht, bevor sie in den Museumsbestand aufgenommen werden.
Leitend für unsere Forschungen zu NS-verfolgungsbedingt geraubtem Kulturgut sind die ethischen Prinzipien der folgenden internationalen Vereinbarungen:
Kunst- und Kulturgutentzug während der sowjetischen Besatzung und in der DDR
Der zweite Schwerpunkt bezieht sich auf Entzugskontexte zur Zeit der SBZ und in der DDR. Dieses ebenfalls große Forschungsfeld ergibt sich aus der Übergabe der Sammlungen des nationalen Geschichtsmuseums der DDR, dem Museum für Deutsche Geschichte (MfDG), an das DHM. Auch in diesem Bereich gehen wir die Recherchen der MfDG-Bestände an – sowohl systematisch wie auf Basis externer Anfragen und Rückgabeforderungen nach den gesetzlichen Grundlagen des Vermögensgesetz und Ausgleichleistungsgesetz.
Die beiden Forschungsschwerpunkte unterscheiden sich nicht allein durch die juristischen Grundlagen. Verschieden sind auch die archivalische Ausgangslage und die Recherchemöglichkeiten. Im Bereich NS-Raubgut können häufig einzelne Objekte als potentiell belastet ausgemacht werden. Eigentumswechsel und Objektbewegungen bleiben jedoch trotz vieler Rechercheansätze oft lückenhaft. Die Bewegung von Objekten in der Zeit der SBZ und DDR hingegen sind häufig über Konvolute recherchier- und nachvollziehbar. Die Erkenntnisse können wiederum oft nicht an einzelne Gegenstände zurückgebunden werden.
Zugleich bestehen Bezüge zwischen den beiden Forschungsfeldern. Vor allem durch den systematischen Recherchezugang können Überschneidungen aufgedeckt werden. So tauchen beispielsweise während der NS-Zeit enteignete Kulturobjekte in den Beständen des Museums für Deutsche Geschichte der DDR wieder auf. Auch doppelte Enteignungen – Erstentzug während der NS-Diktatur und folgender, zweiter Entzug in der Zeit der DDR - können entschlüsselt werden.
Objekte aus kolonialen Kontexten
Recherchen zu Objekten aus kolonialen Enteignungskontexten bilden bislang keinen Schwerpunkt, da der Sammlungsbestand zwar Objekte aus kolonialen Kontexten, aber bislang keine Objekte aus nachweislich genuin kolonialen Enteignungskontexten aufweist.
Als einzigartiges Objekt, das in diesen Forschungsbereich bereits zu weitreichenden Recherchen führte, ist die Wappensäule von Cape Cross zu nennen, die als portugiesisches Hoheitszeichen in den Besitz des Deutschen Kaiserreichs überging, als das heutige Namibia Teil der Kolonie „Deutsch-Südwest-Afrika“ war. Nach Anspruchstellung Namibias wurde die Säule inzwischen zurückgegeben. Im Rahmen eines Symposiums wurde im Sommer 2018 über Fragen historischer Gerechtigkeit mit Museumsfachleuten und Wissenschaftler*innen aus Europa und Afrika diskutiert.
Kriegsbedingt verlagerte Objekte aus dem Zeughaus
Jenseits der bislang benannten Bereiche der Provenienzforschung werden gezielte Recherchen zu den Kriegsverlusten des Zeughauses durchgeführt, die bislang vereinzelt zu Rückgaben an das DHM geführt haben.
Struktur und Netzwerke
Die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen des Fachbereichs Provenienzforschung widmen sich durch systematische Bestandsforschung und anlassbezogene Objektforschung den beiden Schwerpunktbereichen in all ihren Facetten. Der kontinuierliche Austausch mit Kollegen*innen in Museen, Forschungseinrichtungen und Archiven in Deutschland, Europa und international ist ein wesentlicher Bestandteil ihrer Recherchearbeit. Im Bereich von Enteignungen in der SBZ und DDR werden zudem in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste Grundlagenforschungsprojekte durchgeführt. Symposien wie zur Säule von Cape Cross wurden auch zu weiteren Themenfeldern veranstaltet, so zu den Möglichkeiten der Provenienzforschung im Bereich SBZ und DDR, sie werden auch in Zukunft den Austausch mit anderen Forscher*innen und Expert*Innen fördern.
Unabhängig von den Forschungen zum eigenen Sammlungsbestand stellt das DHM drei Datenbanken für die internationale Provenienzforschung bereit, die in Kooperation mit verschiedenen Partnern entstanden sind.
Kontakt
Leiterin Zentrale Dokumentation und Provenienzforschung
Dr. Brigitte Reineke
Tel +49 30 20304-406
reineke@dhm.de