„Nordkalotte“ wird die polare Grenzregion zwischen Schweden, Finnland, Norwegen und Russland genannt, die heute wieder verstärkt in den geopolitischen Fokus rückt. Anfang der 1990er Jahre, nach dem Zerfall der Sowjetunion, hatte Peter Nestler die Möglichkeit, sich dort frei über Grenzen hinweg zu bewegen, und es entstand einer seiner schönsten Filme, den er Jean-Marie Straub und Danièle Huillet gewidmet hat. Die Schönheit des Films äußert sich im sensiblen Beobachten der tradierten Lebensrituale der indigenen Bevölkerung sowie im Zeigen der so kargen wie anmutigen Landschaft. Zugleich ist der Film eine wütende Anklage gegen die maßlose Ausbeutung der Natur als Rohstoffquelle, gegen die Zerstörung eines fragilen Gleichgewichts durch industrielle Großprojekte, gegen die nukleare Verseuchung nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, die massive Auswirkungen auf die Polarregion hatte. „Nestler beschreibt (…) vor allem das Naturverständnis der Lappen, das nicht auf die Unterwerfung der Natur zielt, sondern auf eine spirituelle Harmonie zwischen Mensch und Schöpfung. Raubbau an den Ressourcen, wie er heute in Lappland betrieben wird (Erzabbau, Nickelverhüttung, Holzeinschlag, Regulierung der Flüsse und Seen), ist den Ureinwohnern des europäischen Nordens fremd. Sie haben vielmehr in Jahrhunderten gelernt, ihre Bedürfnisse auf die Kargheit des Landes und die klimatischen Bedingungen des Polarkreises einzustellen.“ (Frankfurter Rundschau, 1991) (fl)
Stefan Ramstedt arbeitet als Kurator und Autor.
Die Nordkalotte
- D 1991
- DCP
- OmeU
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R/B/S: Peter Nestler, K: Manfred Schmidt, 92‘