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Bereits seit Mutmassungen über Jakob (1959), seinem ersten veröffentlichten Roman, wurde Uwe Johnson (1934-1984) als ein Schriftsteller wahrgenommen, der als wacher Zeitgenosse seine Figuren in die historischen und gesellschaftlichen Ereignisse ihrer Zeit, etwa die deutsche Teilung, einbindet. Auch in seinen kürzeren Texten sind die deutsch-deutschen Verhältnisse für Johnson, der 1959 die DDR verlassen hatte, relevant. Zwischen Juni und Dezember 1964 rezensierte er zum Beispiel für die West-Berliner Zeitung Tagesspiegel das DDR-Fernsehendas einzige Mal, dass der Schriftsteller regelmäßig über einen längeren Zeitraum für eine Tageszeitung schrieb. Unter dem Titel Der 5. Kanal wurden diese Kritiken posthum 1987 veröffentlicht. Als Teil der Uwe Johnson-Werkausgabe sind sie 2024 mit einem umfassenden Kommentar von den Literaturwissenschaftlerinnen Yvonne Dudzik und Denise Naue sowie dem Medienwissenschaftler Andy Räder neu herausgebracht worden.

Die 99 Rezensionen, die Johnson in der zweiten Jahreshälfte 1964 verfasste, bilden einen Querschnitt des DDR-Fernsehens Anfang der 1960er Jahre ab. Sie widmen sich politischen Magazinen, der Nachrichtensendung Aktuelle Kamera, Sportsendungen, Wirtschafts- und Frauenratgebern, Dokumentationen und Fernsehsendungen für Kinder. Hinzu kommen Spielfilmproduktionen des DDR-Fernsehens und der DEFA sowie internationale Filme. Die Veranstaltungsreihe Der 5. Kanal präsentiert ausgewählte Fernsehsendungen und Filme, über die Johnson im Tagesspiegel geschrieben hat, und erläutert, wie der Schriftsteller diese Produktionen kommentierte. Den Auftakt bilden die politischen Magazine Prisma und Der schwarze Kanal, mit denen sich Johnson am häufigsten beschäftigte. Wiederholt schrieb Johnson auch über „szenische Dokumentationen“, wie die von Lutz Köhlert inszenierte Dokumentation Die Oswald-Story (1964). Den 1961 entstandenen und 1964 im DDR-Fernsehen ausgestrahlten DEFA-Film Der Fall Gleiwitz empfahl Johnson seinen West-Berliner Leser*innen nachdrücklich, an der Adaption des Theaterstücks Prozeß Richard Waverly (1964) befragte er den Umgang des Fernsehens mit nachprüfbaren Fakten. Zwei eigenständige Filme runden die Reihe ab. Saskia Walkers Dokumentarfilm Uwe Johnson sieht fern (2006) stellt Bildmaterial des DDR-Fernsehens und Johnsons Text nebeneinander, zudem kommen Forscher*innen und Zeitgenossen zu Wort. Letztlich war Johnson selbst einige Jahre nach seiner Arbeit als Fernsehrezensent an einer Filmproduktion beteiligt, er schrieb den Kommentar für den Dokumentarfilm Summer in the City (1969). (Yvonne Dudzik)