Direkt zum Seiteninhalt springen

Als um 1960 nicht nur in Westdeutschland und West-Berlin vor allem durch junge Kreative der Ruf nach einem „neuen Film“ laut wurde, bedeutete dies bei weitem nicht nur eine Absage an die meist wirklichkeitsfernen Inhalte, die bisher im Kino dominierten. Es ging auch um neue, realitätsnahe Bilder, das Filmedrehen in den Straßen und in echten Räumen, bei natürlicher (oder zumindest natürlich wirkender) Beleuchtung. Ermöglicht wurde all dies durch technische Neuerungen wie empfindlicheres Filmmaterial und kleinere, leichtere (Hand-)Kameras.

Dem Kameramann Wolf Wirth fiel es zu, mit diesen neuen technischen Möglichkeiten neue Bilder zu machen vom gerade entstandenen Wirtschaftswunderland (das den jungen Intellektuellen freilich gern als Hort der Entfremdung erschien): Oft expressiv, manchmal auch surreal angehauchte Ansichten von rationalistischen Fassaden aus Beton, Stahl und Glas, von Brandwänden an noch nicht wieder bebauten Grundstücken, von in den Himmel stechenden Laternen und Baukränen. In den Räumen mit Weitwinkelobjektiv aufgenommene Totalen, in denen Personen und Gegenstände in ausgefeilter Asymmetrie angeordnet wurden, immer wieder Draufsichten von der Zimmerdecke aus, aber auch distanzierte Blicke durch eine Zimmertür oder von einer flüssig durch Räume gleitenden Handkamera. Und Großaufnahmen oft mit verkanteter Kamera gemacht, schräg von oben oder unten, teils auch nur Ausschnitte von Gesichtern, vielleicht vor Hochhausfassade, vielleicht hinter einer spiegelnden Autoscheibe.

Man hätte Wolf Wirth, der 1928 in Nürnberg geboren wurde und 2005 in München starb, fragen müssen, ob er sich etwa von der Malerei Giorgio de Chiricos oder Werner Heldts inspirieren ließ. Aber Wolf Wirth wurde kaum gefragt, und er war offenbar auch kein besonders mitteilungsbedürftiger Mensch: Was er zu sagen hatte, hat er in Gestalt seiner Filmarbeit der Nachwelt hinterlassen. Erstmals bietet die Werkschau Wolf Wirth Gelegenheit, sich ganz auf sein Schaffen zu konzentrieren.

Dabei gehörte Wirth zu den bis heute wenigen Kameraleuten, deren Arbeit von der zeitgenössischen Kritik immer wieder erwähnt und gewürdigt wurde: Mochte auch der jeweilige Film auf Ablehnung stoßen, Wirths Fotografie wurde praktisch immer gelobt, allenfalls bemängelt, sie wäre zu schön, zu virtuos, zu cool. Oft fiel auch der Begriff „manieriert“. Wolf Wirth war der prominenteste Kameramann des frühen Jungen Deutschen Films, er prägte dessen „Look“ und machte damit auch für Laien augenfällig, wie sich der Nachwuchs von „Papas Kino“ abgrenzen wollte.

Nichtsdestoweniger wusste mit Rolf Thiele auch einer der prominentesten und umstrittensten Vertreter der „Altbranche“ Wirths Talent für sich zu nutzen: Schon ab 1962 – dem Jahr, in dem auch Wirth das Oberhausener Manifest unterzeichnet hatte – fotografierte dieser die meisten der, oft nicht nur in ihrem gesellschaftskritischen Streben eigenwilligen, Inszenierungen Thieles. Ab Mitte der siebziger Jahre arbeitete Wirth ausschließlich in der Werbung.

Jahrzehntelang konnte der Regisseur erst Tage nach den Dreharbeiten, bei der Vorführung der Muster, sehen, was der Kameramann überhaupt fotografiert hatte. Dennoch wird der Arbeit der Kameraleute bis heute zu wenig Bedeutung beigemessen. Die Werkschau Wolf Wirth versteht sich auch als Anregung, Filmgeschichte nicht nur wie üblich als Werk von Produzenten, Regisseuren, Drehbuchautoren und Schauspielern zu betrachten. Manchmal konnte die Arbeit eines Kameramannes mindestens ebenso wichtig sein. Wie im Falle von Wolf Wirth.

Die Werkschau Wolf Wirth wird kuratiert von Jan Gympel und gefördert vom Hauptstadtkulturfonds.

Rückblick