Dokumentarische Positionen: Gerd Kroske
Als einer der letzten in der DDR ausgebildeten Dokumentaristen nimmt Gerd Kroske eine Sonderstellung im aktuellen Dokumentarfilmschaffen ein. Sein umfangreiches, breit gefächertes Werk widmet sich seit Ende der 1980er Jahre deutschen Zuständen und Biografien im Umbruch, gewaltförmigen Manifestationen deutscher Geschichte und Randbereichen der Gesellschaft.
Seine ersten dokumentarischen Arbeiten dreht Kroske, als die DDR gerade in der Auflösung begriffen ist. Es sind einzigartige Zeitdokumente. Sie erfassen eine Gesellschaft im Aufbruch: Demonstrierende auf den Straßen in Leipzig und überfordert wirkende Repräsentanten der Obrigkeit. In drei zwischen 1990 und 2006 entstandenen Filmen porträtiert Kroske in einer Langzeitbeobachtung drei Leipziger*innen, die in prekären Verhältnissen leben und deren brüchigen Biografien er folgt. Als Straßenkehrer*innen fegten sie einst die Straßen der Stadt, im wiedervereinten Deutschland kämpfen sie mit dem Sozialsystem, sind arbeitslos, krank und isoliert. Kroskes besonderer Fähigkeit, mit diesen an den Rand gedrängten Menschen ins Gespräch zu kommen, verdanken schon diese drei Kehraus-Filme ihre berührenden Nahverhältnisse.
Kroskes Interesse ist jedoch nicht auf den Osten Deutschlands beschränkt. In den 2000er und 2010er Jahren wendet er sich vielmehr drei Hamburger Kiez-Größen zu, die als Boxer, Bordellbetreiber oder Radiomacher zeitweise Kultstatus besaßen, ehe sie aus der Bahn geworfen wurden. Kroske nähert sich seinen Interviewpartnern neugierig und im offenen Dialog. Seine Filme schaffen Räume, die die Menschen vor der Kamera unterschiedlich zu nutzen wissen: als Bühne für Selbstdarstellungen, als Ort des Verdrängens und Leugnens, als Schutzraum für nüchterne Selbstreflexion.
Spielen schon in Kroskes Portraitfilmen gesellschaftliche, politische und historische Zusammenhänge, die in den Personen und ihren Lebenswegen greifbar werden, eine wichtige Rolle, so ist dieses Interesse für andere Filme erst recht prägend. Mal untersucht Kroske die Installierung robusterer Schlagbäume, die in den 1980er Jahren an Grenzübergangsstellen der DDR Flüchtende am Verlassen des Landes hindern sollen, mal die ostdeutschen Transitstrecken, über deren Funktion „Experten“ – Planer, Konstrukteure, Architekten, Polizisten – räsonieren. Auch einer alten, zwischen Autobahnspuren übriggebliebenen Eiche, die, gefällt und abtransportiert, von einer Künstlerin in eine Skulptur verwandelt wird, widmet Kroske eine eigene Beobachtung von Zeitzuständen. So werden Vorkehrungen, Funktionsweisen und Strukturen der Macht zu wiederkehrenden Themen in Kroskes Filmen. Sie fragen nach dem großen Ganzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, einst und jetzt, in Ost- und West- und Gesamtdeutschland.