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Als eine der ersten Frauen beginnt Gisela Tuchtenhagen 1968 an der zwei Jahre zuvor gegründeten Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) zu studieren. Die bereits ausgebildete Fotografin entwickelt einen prägnanten Kamerastil, dessen Nähe und gleichzeitig respektvoller Abstand die Bilder ihrer Filme bestimmt. So bleibt die Filmemacherin oft hinter der Kamera und ist trotz ihrer Qualifikation und ihres einzigartig-feinfühligen Blicks männlichem Gegenwind ausgesetzt. 1977 berichtet sie in der ersten Ausgabe der EMMA, wie ihr der damalige Chef-Kameramann des NDR von diesem technisch anspruchsvollen und körperlich anstrengenden Beruf abrät, müsse beim Dokumentarfilmdreh doch auch ab und zu mal im Freien gepinkelt werden. Mit dem Text Am Pissen soll’s nicht scheitern kontert sie gewitzt und selbstbewusst mit eigenen Forderungen an eine zukünftige Filmproduktion: „Gemeinsame Arbeit aller am Film Beteiligten (Kamera, Ton, Schnitt) vom Entstehen bis zur Fertigstellung des Films. Aber im Fernsehen kommt solche Zusammenarbeit schwer zustande“ (EMMA, Nr. 1, Februar 1977). Diesen Vorstellungen folgend, sucht sich Tuchtenhagen von Beginn an ihre Filmfreundschaften selbst – und bleibt dennoch dem Medium Fernsehen, seinem Publikum und seinen Finanzierungsmöglichkeiten treu.

Mit ihren sozialengagierten, teils aktivistischen Filmen und mit ihrem kontinuierlichen Einsatz für feministische und proletarische Belange, innerhalb und außerhalb der Filmbranche, ist Gisela Tuchtenhagen Vorbild für eine ganze Reihe nachfolgender Filmerinnen wie unter anderem Lilly Grote und Quinka Stoehr, für die sie nicht nur Dozentin war, sondern Freundin und Kollegin wurde. Prägend für ihre eigene Laufbahn ist vor allem die Zusammenarbeit mit Klaus Wildenhahn, die bereits während ihres Studiums in der von Wildenhahn an der dffb initiierten Wochenschaugruppe beginnt. Beeinflusst von der britischen Dokumentarfilmbewegung der 1930er und des amerikanischen Direct Cinema der späten 1950er/1960er Jahre engagieren sie sich für ein Kino der Unmittelbarkeit, das sich der Geschichte der „kleinen Leute“ verschrieben hat. So soll vor allem denen Gehör geschenkt werden, die aus der Gesellschaft und der Geschichte ausgeschlossen werden. Dabei ist auch die Wahl der vor den Augen der Öffentlichkeit versperrten Orte wichtig. Ob Kinderheim, psychiatrische Klinik oder Frauenhaus, ob „Küche, Theater, Krankenhaus“ (Dokumentarfilmübung an der dffb unter Tuchtenhagens Anleitung, 1979), die Hinwendung zu den Menschen in diesen Institutionen lassen die Kritik an den Verhältnissen immer mitschwingen, ohne den Personen darin den Vorrang zu nehmen oder sie in ihren Nöten und Ängsten zu entblößen: ein politisches Kino, das sich um die Menschen sorgt.

Die Werkschau mit Arbeiten von Gisela Tuchtenhagen ist der Auftakt einer neuen Programmreihe, die wir in den folgenden Quartalen fortsetzen werden. Unter dem Titel Dokumentarische Positionen stellt sie die Filmarbeit von Dokumentarfilmschaffenden vor, die die deutsche Film- und Fernsehgeschichte in besonderer Weise geprägt haben oder deren Themen, Arbeitsweisen und Einblicke in Wirklichkeiten jenseits des konventionellen Dokumentarfilms liegen. Dokumentarische Positionen wird in die Filmgeschichte zurückblicken, sich aber auch in der aktuellen Filmproduktion umschauen, um faszinierende marginalisierte Formen der dokumentarischen Filmarbeit zu entdecken: Positionen, die etwas riskieren, mit vermeintlichen Regeln brechen und Wirklichkeiten erschließen, zu denen wir sonst keinen Zugang hätten.

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