Dokumentarische Positionen: Wiltrud Baier & Sigrun Köhler
Die Inspiration lieferte ein Aufruf zu Silvester: Brot statt Böller. „Wir wollen – im übertragenen Sinn – für unsere Filmarbeit beides, Humor und Ernst, Licht und Schatten: Böller UND Brot.“ Was die Dokumentarfilmerin Wiltrud Baier, die zusammen mit Sigrun Köhler das einzigartige Regie-Duo Böller und Brot bildet, anekdotisch formuliert, berührt ein Anliegen, das im Dokumentarfilm selten anzutreffen ist. Gemeint ist die Verbindung von Ernstem und Lustigem, von sachlich-analytischer Beobachtung der Welt und ihrer ironisch-spielerischen Brechung, von Recherche und Wissensdurst einerseits und der komischen Erfahrung, diesen nicht stillen zu können und selbst Teil der erzählten Geschichte zu sein. Ihr verwandter Sinn für Humor bildet das Fundament für die erfolgreiche Zusammenarbeit der beiden Dokumentarfilmerinnen.
Kennengelernt haben sich die 1967 in Schwäbisch Hall geborene Sigrun Köhler und die gleichaltrige Erlangerin Wiltrud Baier auf der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg, unweit von Stuttgart. Dort entstanden auch ihre ersten gemeinsamen Arbeiten, darunter der vielfach prämierte Kurzfilm How Time Flies über Köhlers hundert Jahre alten Großvater. Während die meisten ihrer Kommiliton*innen nach dem Studienabschluss die Region verließen, um in Berlin und andernorts ihr Glück zu suchen, blieben Baier und Köhler im süddeutschen Raum und finden hier bis heute die Themen ihrer Dokumentarfilme. Mit ihrer im Jahr 2000 gegründeten Firma Böller und Brot produzierten sie die in Gammesfeld angesiedelte heimatethnologische Dorfstudie Schotter wie Heu, dokumentierten in Alarm am Hauptbahnhof das Aufeinandertreffen von Gegnern und Befürwortern des Deutsche-Bahn-Projekts „Stuttgart 21“ und porträtierten in Oberbayern den texanischen Schlagzeuger Jimmy Carl Black, einen Mitgründer der Mothers of Invention. Sieben abendfüllende Dokumentarfilme, etliche Kurzfilme und andere Arbeiten, darunter Daumenkinos, sind in den vergangenen 25 Jahren entstanden. Auf originelle und humorvolle Weise verknüpfen sie Beobachtungen von Personen, Orten und Ritualen mit Fragen, die die großen Themen des Lebens berühren: Zeit, Geld, Glaube, Tod. (Jörg Frieß)