Aquila
Produktion: Jacopo Erbi for ECA Italy
Regie: Jacopo Erbi
Land/Jahr: IT 1950
Länge: 20min
Sprache: English
Format: 35 mm, 1:1.37, mono, b/w
Ästhetisch gehört Aquila zweifellos zu den interessantesten Marshall-Plan-Filmen: er verzichtet vollständig auf Kommentar und Dialog, vertraut also, wie im Stummfilm, den eindringlichen Bildern und der emotional verstärkenden Musik. Die Rechnung Jacopo Erbis geht auf, er baut seinen Film um eine Hauptfigur herum, deren Schicksal er zu einem exemplarischen macht. Die Story erinnert dabei in manchem an Fahrraddiebe, den neorealistischen Klassiker von Vittorio de Sica. Allerdings merkt man der Geschichte an, dass sie über die Fiktion hinaus reichen soll. Die Beobachtungen des Alltags in Triest sind treffend, aber manchmal auch befrachtet mit der Aufgabe, politischen Effekt hinterlassen. So dient die Hauptfigur vor allem als ein Exempel. Ihre Arbeitssuche strukturiert den Film – am Zugang zum Hafen wird er abgewiesen, später auch in einem Steinbruch.
Die Realität Triests kommt einerseits bildlich prägnant im noch immer herumliegenden Kriegsschrott vor, den die Jungen als Spielplatz nutzen. Zum anderen durch Aufnahmen, die eine bestimmte Bedrohung belegen sollen. Schon den Anfangstiteln sind Bilder von marschierenden Formationen unterlegt – erst Männer bei einer Sportveranstaltung, dann Demonstranten in der Stadt, mit roten Fahnen und Transparenten. Die Kommunisten, heißt das, sind wohlorganisiert – und sie profitieren von der wirtschaftlichen Misere. Das ist die Botschaft des Films, auch seine Hauptfigur hört den kommunistischen Redner auf einer Massenversammlung zustimmen nickend an.
Die kritische Wendung der Story kommt, als wieder eine Abweisung zu ertragen ist. In der Küche schreit das Baby, die Frau stellt die Suppe auf den Tisch, die Musterung der kargen Einrichtung macht die verzweifelte Lage klar. Der Mann hält es nicht mehr aus, rennt ins Freie. Und hier kommt die Szene, die vor allem die Assoziation zu Fahrraddiebe begründet: der Mann stiehlt für seinen Sohn eine Schachtel Pralinen, wird verfolgt und schließlich gestellt. Auf der Polizeiwache lässt man ihn laufen, nicht zuletzt wegen des Fotos seiner Familie, das er bei sich trägt.
Mutlos geht der Mann danach eine endlos scheinende Folge von Treppen herab, kickt dabei achtlos eine Zeitung beiseite. Deren Schlagzeile bringt dann die entscheidende Wende, auch für ihn: 2,7 Milliarden Lira stehen für die Fertigstellung der Raffinerie „Aquila“ zur Verfügung. Von dieser Schlagzeile überblendet der Film auf das Schild des ERP-Hauptquartiers und der Ton verändert sich nun in Richtung einer stärker dokumentarisch angelegten Erzählweise. Auch wählt Erpi eine überraschende Lösung, wenn er die feierliche Unterzeichnung des Schecks als publikumswirksame, von Fotografen festgehaltene Zeremonie zeigt – als eine Inszenierung für die Öffentlichkeit.
Mit den Bildern vom Aufbau der Raffinerie kehrt der Film zu seiner Hauptfigur zurück. Für das neue Werk eingestellt, gewinnt er neuen Lebensmut und Schwung. Auf dem Weg nach Hause zündet er sein Streichholz an einer Mauer an. Das dort direkt neben ihm hängende Plakat der Kommunistischen Partei aber beachtet er nicht mehr. Dank ERP ist die Gefahr gebannt und Triest auf gutem Wege.
© Rainer Rother