Film + Notfilm
Film
USA 1965, R: Alan Schneider, K: Boris Kaufmann, S: Sidney Meyers, P: Barney Rosset, Evergreen Theatre, 22' · DCP, OF
Notfilm: A Kino-Essay by Ross Lipman
USA 2015, R/K/S: Ross Lipman, T: Gábor Bánházi, M: Milhály Víg, P: Dennis Doros, Amy Heller, 128' · DCP, OF
SO 09.10. um 15 Uhr · Zu Gast: Ross Lipman
Der irische Schriftsteller und Dramatiker Samuel Beckett versuchte sich nur ein Mal als Drehbuchautor. Sein 20-minütiger Kurzfilm Film entstand 1965 unter der Regie von Alan Schneider mit dem berühmten Stummfilmstar Buster Keaton in der Hauptrolle. Keaton spielt einen mysteriösen Fremden, der in den unwirtlichen Straßen Brooklyns vergeblich versucht, sich dem stetigen Blick der Kamera zu entziehen – einem Blick, der sich womöglich als das allsehende Auge Gottes deuten ließe, wäre Beckett nicht unter anderem als Atheist bekannt gewesen.
„Der Beobachter wünscht sich nichts sehnlicher als zuzuschauen, während der Beobachtete verzweifelt versucht, sich zu verbergen“, erklärt Beckett. „Am Ende gewinnt einer der beiden.“ Oder wie er an anderer Stelle schreibt: „Ein Mensch kann sich von allen anderen fernhalten, aber sich selbst kann er nicht entkommen.“
Ross Lipmans Dokumentarfilm widmet sich dem berühmten Kurzfilm nun aus unterschiedlichen Blickwinkeln, angefangen mit dem Verleger Barney Rosset von Grove Press, der den Film in Auftrag gab, über das Casting von Keaton (der Wunschkandidat war ursprünglich Charlie Chaplin) bis zur Mitarbeit Becketts an den Dreharbeiten in New York (letzteres war ungewöhnlich für den Dramatiker, der sonst nie an den Inszenierungen seiner Stücke teilhatte). Ehemalige Mitarbeiter und Beteiligte erzählen in lebhaften Interviews von ihren Erinnerungen, und die Wirkung des Films auf verschiedene Generationen von Kritikern und Filmwissenschaftlern wird mit scharfsinnigem Blick erforscht.
Ein interessanter Exkurs erzählt von Becketts Bewunderung für das russische Kino. In den 30er Jahren hatte er an Sergei Eisenstein geschrieben und um die Aufnahme an der Moskauer Filmhochschule gebeten. Für Film stand Boris Kaufman hinter der Kamera, ein Bruder des Regisseurs und Filmtheoretikers Dziga Vertov, der den Begriff „Kino-Auge“ prägte.
Lipman verbindet sorgfältig ausgewählte Archivaufnahmen mit aktuellen formalen Analysen und zeichnet so ein facettenreiches Porträt von einem faszinierenden Kapitel der künstlerischen Avantgarde. (mlf)
Mit freundlicher Unterstützung der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika.