Schauplätze geistiger Erfahrung
Samstag, 14. Juli 2018, 19.00 - 00.00 Uhr
Gespanntes Verhältnis. Literatur und Politik im „Treibhaus“ Bonn / Canettis Reise in die Provinz des Menschen
Gespanntes Verhältnis. Literatur und Politik im „Treibhaus“ Bonn / Canettis Reise in die Provinz des Menschen
Gespanntes Verhältnis. Literatur und Politik im „Treibhaus“ Bonn
BRD 1989, R/B: Peter Goedel, K: Klaus Lautenbacher, mit: Wolfgang Koeppen, Hildegard Hamm-Brücher, Walter Jens, Erich Kuby, Dieter Lattmann, 44‘ · BetaSP
„Der Mensch wird noch alles und ganz werden …“ Elias Canetti. Eine Reise in die Provinz des Menschen
BRD/AT 1975, R/B: Peter Goedel, Peter Laemmle, K: Peter Schäfer, mit: Elias Canetti, Gottfried Langenstein, Herbert Achternbusch, Wolfgang Bächler, Jörg Drews, Michael Krüger, Paul Wühr, 45‘ · DigiBeta
SA 14.07. um 19 Uhr
Zwei Jahre nach Peter Goedels Koeppen-Verfilmung Das Treibhaus (1987) entstand der instruktive Kommentarfilm Gespanntes Verhältnis. Prominente aus Politik und Literatur der 1950er Jahre treten auf, die, indem sie über Koeppens Buch sprechen, gleichzeitig sich selbst darstellen. Koeppen seinerseits liest eine Passage aus dem Roman vor, in dem sich das Schicksal seines Helden Keetenheuve, der schließlich von einer Rheinbrücke in den Tod springt, wie ein unsichtbarer Faden durch sein Leben spinnt. Von eigentümlichem Reiz ist die Unterhaltung Peter Goedels mit dem Darsteller des Keetenheuve, Christian Doermer, die sich während einer Drehpause vor einem Imbissstand abspielt: In den lebhaften, tagespolitisch getönten Äußerungen des Schauspielers ist von der schwermütigen Passivität der von ihm verkörperten Filmfigur, die das nachdenkliche Bild einer Gegenwelt zum Politikbetrieb vor uns erstehen lässt, nichts mehr zu spüren.
Während Canetti in „Der Mensch wird noch alles und ganz werden …“ spricht, blüht eine begeisternde Zwischenwelt aus Tönen und Oberflächen, eine Wortmusik auf, die uns sagt, dass wir die Kunst haben, um an der Wahrheit nicht zugrunde zu gehen. Dies gilt vor allem auch für einen jungen Leser Canettis, den wir im Billardsalon und in seiner Schwabinger Mansardenwohnung antreffen. Wir spüren, sobald er über Canetti spricht, wie hier Gleiches durch Gleiches verstanden wird, Tiefes durch Tiefes, Leidendes durch Leidendes.
Während bei dem Jungen ein angestrengtes Nachdenken seinen Äußerungen vorausgeht, legt der Dichterphilosoph selbst eine geradezu somnambulische Ungebrochenheit in der Artikulation seiner enormen Geisteskraft und Beobachtungsgabe an den Tag. Es war deshalb ein bewundernswerter Kunstgriff der Regie, das von Canetti Gesagte im Off ablaufen zu lassen, während er sinnend in seinem Abteil oder im Speisewagen eines sich von Zürich nach Wien durch Bergtäler schlängelnden Zuges sitzt. (pn)