Ikarus
Ikarus
DDR 1975, R: Heiner Carow, B: Klaus Schlesinger, K: Jürgen Brauer, M: Peter Gotthardt, D: Peter Welz, Karin Gregorek, Peter Aust, Hermann Beyer, Rolf Hoppe, 91' · 35 mm
SA 16.04. um 19 Uhr
Zur Premiere von Ikarus wies Heiner Carow darauf hin, dass es sich hier um ein „künstlerisches Modell“ handele, „nicht etwa um ein emotionales Äußern in Sachen Scheidung oder Pädagogik“. Mit einer solchen „Klarstellung“ trat der Regisseur von vornherein dem Vorwurf entgegen, der Film sehe im Alltag der realsozialistischen Gesellschaft nur Kälte und Einsamkeit und entwerfe das Szenario einer vollkommenen Entfremdung.
Zugleich beharrte Carow auf seinem Standpunkt, dass das Ideal einer freundlichen Welt auch in der DDR noch längst nicht erreicht sei. Solidarität, Verständnis und Güte müssten zu allgemeinen Tugenden werden, es bedürfe dringend auch einer Revolution der Gefühle. Carow misst die moralische Integrität der Gesellschaft, ihren ethischen Reifegrad, am Verhältnis zu ihren Kindern. Ikarus, der aus der Perspektive des achtjährigen Mathias erzählt ist, beschreibt die Nöte eines jungen Menschen, der sich allein gelassen fühlt, von seinem Vater ausgerechnet am Geburtstag abgrundtief enttäuscht und von Alpträumen geplagt wird. Wie in der antiken Sage, die der Szenarist Klaus Schlesinger adaptiert, verzichtet auch der Film auf ein Happy-End und setzt einen verzweifelten Aufschrei an den Schluss: eine letzte Möglichkeit des Jungen, auf sich aufmerksam zu machen.
Als der neue DEFA-Generaldirektor Hans Dieter Mäde unmittelbar nach seinem Amtsantritt zu Erich Honecker gebeten wurde, erklärte ihm dieser in einem Vier-Augen-Gespräch, Ikarus sei für ihn politisch der schlimmste DEFA-Film seit dem verbotenen Das Kaninchen bin ich (1965). (rs)